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VIII.

Die Canarischen Inseln.

Aus eigener Anschauung beschrieben von Dr. Carl Bolle.

2. Historischer Umrifs.

Es wird allgemein angenommen, dafs die erste Kenntnifs der Fortunaten oder glücklichen Inseln so nannte das Alterthum die Cabei den Phöniciern gewesen sei. Schon in vorhomerischer Zeit mochten diese kühnen Seefahrer so weit nach Westen vorgedrungen sein und, heimkehrend, die früheste, orientalisch ausgeschmückte Kunde von der Schönheit der atlantischen Eilande und von der wunderbaren Milde ihres Klima's, auch zu den Griechen gebracht haben. So entstand und verbreitete sich die Sage von den elysäischen Gefilden, von den Inseln der Seligen, die im Dämmerlichte kaum erkennbar, am Saum der Erde, inmitten des weltumgürtenden Okeanos gelegen, der Phantasie der Dichter reichen Stoff darboten. Halb religiöser Mythus, als Aufenthalt abgeschiedener Geister, halb ein erträumtes Märchenland, ein Eldorado, wie es der Durst nach Glück und unbefriedigte Sehnsucht den Menschen sich ersinnen lehrt, lagen, für die hellenische Weltanschauung, jene gepriesenen Gegenden im äussersten Niedergange, unfern der Gärten der Hesperiden, in welchen der Drache die goldenen Aepfel hütete. Der am fernsten Horizonte undeutlich sich emporthürmende Teyde aber war zum Atlas geworden, dessen Schultern das Himmelsgewölbe stützten.

Die engherzige und schlaue Handelspolitik der Phönicier hütete sich wohl, den Schleier von ihren im Weltmeere gemachten Entdeckungen vollständig wegzuziehen. Er blieb viele Jahrhunderte hindurch gleich undurchdringlich, auch nachdem die Herrschaft zur See auf die stammverwandten Karthager übergegangen war; nur ist es unzweifelhaft, dass, wegen gröfserer Nähe der punischen Metropole und weiterer

Zeitschr. f. allg. Erdk. Neue Folge. Bd. X.

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und geregelterer Ausdehnung ihrer maritimen Unternehmungen, die glücklichen Inseln den Mitbürgern Hannibals schon bekannter gewesen sein müssen. Als Tyrus zerstört ward, als Karthago in Flammen aufging, mögen - ein unersetzlicher Verlust wichtige Aufzeichnungen über die Urgeschichte und den frühesten Zustand jenes Archipels verloren gegangen sein. So verharrt derselbe in tiefem Dunkel, bis die Römer das weltbeherrschende Volk wurden.

Während des ersten Bürgerkrieges, als Sulla Rom terrorisirte, hatte Sertorius durch Klugheit und Glück sich in den Besitz Spaniens zu setzen gewufst. Mitten in dem Glanze dieser Herrschaft scheint er an der Dauer seiner Erfolge gezweifelt zu haben. Eine seiner Seefahrten soll ihn zufällig, vom Sturm verschlagen, auf zwei kleine Inseln des Oceans geführt haben. Er fand den Rückweg nach Gades, dem heutigen Cadiz, wo die atlantischen Inseln sicher damals kein unbekanntes Land waren. Unfern der Mündung des Baetisstromes traf der römische Feldherr mit von jenen Eilanden heimkehrenden Seeleuten zusammen, deren lockende Schilderungen ihn den Entschlufs fassen liefsen, an den stillen Küsten der Fortunaten ein Asyl gegen die Wechselfälle des Geschicks zu suchen. Er ward indefs ermordet, ehe er diesen Plan ins Werk setzen konnte.

Der erste historische Lichtstrahl, welcher der einzige im ganzen Alterthum auf die Canaren fällt, zeigt uns einige Triremen Juba's, Königs von Mauritanien, in den Gewässern am Fuss des Teyde kreuzend. Dieser gekrönte Kosmograph, dem sein Wissen mehr Ruhm erwarb als das von ihm getragene Diadem, ein Zeitgenosse und Vasall des Augustus, hatte zwei Männer ausgesandt, um die, wie es scheint in Vergessenheit gerathene Gruppe zu erforschen. Sie kehrten zurück mit wichtigen Aufschlüssen über alles Gesehene, über die Anzahl der Inseln, die sie auf sechs feststellten, über deren Lage, Namen und Produkte. Ein Paar kolossale Hunde von Canaria wurden dem Monarchen als Geschenk zugeführt. Was Juba in einem seiner zahlreichen geographischen Werke über diese von ihm veranstaltete Expedition geschrieben, ist leider verloren gegangen; doch hat uns Plinius einen Auszug davon geliefert, der etwa folgendermassen lautet:

„Die Fortunaten liegen westlich von den Purpurarien. Die erste derselben heifst Ombrion; sie ist ohne Spur menschlicher Wohnungen. In ihren Bergen liegt ein See. Es wachsen daselbst der Ferula ähnliche Bäume, aus denen ein Saft fliefst, der bei der schwarzen Art bitter, bei der helleren trinkbar und von angenehmem Geschmack ist. Die zweite Insel ist Junonia. Dort steht ein kleiner, von Steinen erbauter Tempel. Nahe dabei liegt Junonia minor. Die Nächstfolgende ist Capraria, voll grofser Eidechsen. Den genannten gegenüber liegt

Nivaria, der ewiger Schnee und die sie umhüllenden Wolken den Namen gaben. Wieder ihr zunächst nennt man das Land Canaria, von der Menge ungeheuer grofser Hunde; man sieht dort in Trümmer gesunkene Bauwerke. Wie alle Inseln reich an Baumfrüchten (poma) und den verschiedenartigsten Vögeln sind, so hat Letztere insbesondere Ueberflufs an Dattelpalmen und Pinien. Auch Honig ist in Menge vorhanden und in den Bächen die Papyrusstaude und der Wels."

Diese wichtigen, aber allzu lakonischen Fingerzeige, denen noch Fragmente des Statius Sebosus hinzugefügt werden können, haben einen reichen Stoff zu Commentaren dargeboten; insbesondere sind die durch Plinius mitgetheilten Inselnamen von den Schriftstellern, nicht ohne einen bewundernswürdigen Aufwand von Scharfsinn, auf das Verschiedenartigste gedeutet worden. Am meisten zu bedauern ist, dafs der Bevölkerung durchaus keiner Erwähnung geschieht. Die aufgefundenen Ruinen waren jedenfalls Ueberbleibsel älterer phönicischkarthagischer Ansiedelungen; während aus der Gegenwart von Hunden und aus dem Namen der Ziegeninsel (Capraria) die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins dort angesessener Menschen hervorgeht. Juba soll später auf den Purpurarien, worunter entweder Fuertaventura und Lanzarote oder einige der kleineren Islotes zu verstehen sind, Niederlassungen gegründet haben, deren Hauptzweck das Sammeln des den gätulischen Purpur liefernden Farbestoffs war. Es kann dies nichts anderes als die Orseille (Roccella tinctoria), welche noch heut eine Erwerbsquelle jener Gegenden abgiebt, gewesen sein. Von da an scheinen die Fortunaten, deren Strabo, Pomponius Mela und Ptolomäus beiläufig Erwähnung thun, nicht mehr als ein phantastisches Land betrachtet worden zu sein. Sie blieben jedoch sehr unbeachtet und sind nie römische Provinz geworden. In den Stürmen der hereinbrechenden Völkerwanderung endlich, ging selbst die geringe Kenntnifs, die man bisher von ihnen besafs, wieder verloren.

Den bei weitem gröfsten Theil des Mittelalters hindurch schweigt die Geschichte hinsichtlich der uns beschäftigenden Gegenden. Der Invasion der Araber war vom atlantischen Ocean Stillstand geboten worden; die abenteuerlichen Züge der Normannen hatten andre Richtungen eingeschlagen. Hinter den breiten Meeresarmen lebte das Inselland, von der Welt vergessen, ungestört sein eignes, friedliches Dasein. Die Zeit der patriarchalischen Blüthe des Guanchenvolks, von der keine Nachricht auf uns gekommen ist, mufs in jene Periode gefallen sein. Mochte immerhin der Unternehmungsgeist der hochcivilisirten maurischen Spanier diese von Zeit zu Zeit auf das „finstere“ Meer (mare tenebrosum) hinauslocken, mögen Einige derselben, wie Ben Farroukh im 10ten, und die von Edrisi, dem Geographen Nubiens,

verherrlichten Almagruinos des damals muhamedanischen Lissabon's im 12ten Jahrhundert, selbst die canarischen Inseln, in arabischer Zunge Gezayr el Khaledat genannt, betreten haben, so waren das vorübergehende Erscheinungen, ohne jedweden dauernden Einfluss auf den Zustand des Landes und seiner Bewohner. Es geht dies am klarsten daraus hervor, dafs die Europäer bei Letzteren später auch nicht den leisesten Anklang an islamitische Bräuche vorfanden.

Die Völker Europa's mufsten sich in ihrer nationalen Existenz konsolidiren, ehe sie über die Grenzen ihres Welttheils hinaus nach überseeischen Ländern spähen konnten; auch mufsten die Kreuzzüge abgeschlossen sein, um ihnen zu gestatten, die bisher unverwandt dem Orient zugewendeten Blicke gen Westen zu richten. Als die zweite Hälfte des 13ten Jahrhunderts diese Vorbedingungen erfüllt sah, begann die Erforschung des Oceans. Fast alle Stämme der iberischen Halbinsel: Portugiesen, Basken, Andalusier, Majorkiner und Catalonier stürmten fast gleichzeitig auf diesen neu sich eröffnenden Tummelplatz, von dem auch die Bürger der italienischen Republiken und die Franzosen nicht fern blieben. Was die Alten gekannt, wovon einige Kunde bei den Arabern geblieben war, das erscheint mit wunderbarer Schnelligkeit aufgefrischt im Gedächtnifs der christlichen Welt. Bei so bewandten Umständen wäre es fruchtlos, den Zeitpunkt der Wiederentdeckung der Fortunaten genau bestimmen zu wollen. Sie sind unvermerkt für mehr als eine Nation Westeuropa's das Ziel anfangs seltener und gewagter, bald jedoch sich mehrender, abenteuerlicher Seefahrten geworden. Das war die Zeit der Vorläufer des Infanten Don Enrique.

Schon im Jahre 1291 unternahmen edle Genuesen, Ugolino Vivaldi und zwei Doria's, eine Reise dorthin; mit ungünstigem Erfolg, denn sie kehrten nicht wieder zurück und blieben verschollen.

König Alfons IV. von Portugal sandte 1341 den Florentiner Angiolino Tegghia mit einigen Caravelen nach den glücklichen Inseln. Es war dies eine Explorationsfahrt, der von Juba anbefohlenen nicht unähnlich und, wie diese, eine Rundreise um den Archipel. In dem Bericht über dieselbe treffen wir jedoch mehr Klarheit und Ausführlichkeit. Ein in der Literatur hochgefeierter Name, Boccaccio, hat uns die naive Erzählung seiner Landsleute aufbewahrt, welche vom höchsten Interesse, als das älteste Dokument betrachtet wird, das nicht nur vom Lande, sondern auch von den Ureinwohnern redet. Es weht uns darin eine köstliche Frische an und jener Hauch der Wahrheit, der unverkennbar ist. Nach tausendjähriger Nacht, röthet das Morgenroth der Geschichte zum erstenmal den erhabenen Gipfel des Piks von Teneriffa. Gerade so viel Licht und so viel Dunkel, als die Zeit erwarten

läfst. Angiolino fand schöne, blondhaarige Menschen in fast paradiesischer Nacktheit, deren Blöfse nur ein Schurz von Palmblättern deckte; wohlgebaute Häuser, Saaten, Kohlgärten, Feigen; in einem Tempel ein steinernes Idol. Auf dem waldigen Gomera staunte er über die Zutraulichkeit der wilden Tauben, die sich mit Stöcken erschlagen liefsen. Er belud seine Fahrzeuge mit werthvollen Landesprodukten, brachte auch drei von Canaria weggeführte Jünglinge mit nach Portugal. Diese, in denen man jedenfalls Dolmetscher für zukünftige Unternehmungen gewinnen wollte wie denn auch eine kleine Probe ihrer Sprache gegeben wird tanzten mit fast französischer Grazie und erschienen, ihrem ganzen Wesen nach, dem italienischen Seemann freundlicher und weniger wild als manche Bewohner Hispaniens.

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Die Kunde hiervon ging durch Europa; sie reizte die Herrschbegierde der Mächtigen und derer, die es werden wollten. Drei Jahre später liefs sich der Infant Don Luis de la Cerda, aus einer Nebenlinie der castilischen Dynastie, durch den Pabst Clemens VI. als Herrscher der Fortunaten, mit welchen die Kirche wie mit herrenlosem Gut schaltete, proklamiren. Er erkannte die Oberlehnsherrlichkeit des päbstlichen Stuhles an, gelobte die heidnische Bevölkerung zu bekehren und aufserdem einen jährlichen Tribut von 400 Goldgulden zu zahlen. Die Namen der in der Belehnungsbulle genannten elf Inseln zeigen am besten den Grad der Kenntnifs, welchen der Nachfolger Petri, hinsichtlich des so grofsmüthig verschenkten Archipels, aus seinen klassischen Reminiscenzen geschöpft hatte. Sie heifsen: Canaria, Ningaria, Pluviaria, Capraria, Junonia, Embronea, Atlantica, Hesperida, Cernent, Gorgonas und La Goleta! Petrarca sah den Prätendenten Don Luis, der den Titel Princeps Fortunae annahm, in glänzendem Aufzug, mit Krone und Scepter durch die Strafsen Avignon's reiten. Derselbe blieb jedoch, zum Heil für die Inseln, ein König in partibus, mehr ein Glücksritter, als ein Glücksfürst. Die Souveräne Castiliens und Portugals widersetzten sich seinen ehrgeizigen Plänen, indem ein jeder von ihnen die künftige Eroberung als ein ihm gebührendes Recht in Anspruch nahm. Don Luis de la Cerda hat sein Königreich nie mit Augen gesehen.

Gegen das Jahr 1360 gelangten zwei Schiffe von der Baleare Majorca nach Gran - Canaria. Ihre Bemannung, welche in der Bucht von Gando an's Land stieg, ward von den Eingebornen angegriffen und musste sich nach tapferer Gegenwehr ergeben. Die dreizehn allein übrig gebliebenen Männer wurden menschlich behandelt. Es waren fünf Franziskanermönche darunter, welche zuerst auf den Fortunaten die Mysterien des christlichen Cultus regelmässig begingen und während eines siebenjährigen Aufenthalts unter den Insulanern sogar zwei

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