bei Differenzen zwischen Einzelnen der Zweikampf, so bei Staaten der Krieg eintreten, falls nicht etwa durch Vermittlung der Sache eine Ausgleichung herbeigeführt werden kann, während ein Schiedsspruch sich für einen solchen Fall nicht eignen wird. Jedenfalls ist aber der Eintritt eines Krieges ohne vorhergehende Unterhandlungen oder ohne Beriuch eines Ausgleichs unthunlich, während Retorsion oder Repressalien in einem Fall verletter Staatsachtung kaum angewandt werden fönnen, da er keine blose Unbilligkeit enthält, welche allein zu Retorfionen Anlaß giebt, noch eine geringere und ausgleichbare Unrechtmäßigfeit, da eine die Mißachtung des anderen Staates ausdrückende Hand. lung an sich nicht gerechtfertigt wäre, auch eine Beleidigung mit einer Beleidigung unter Staaten nicht passend erwidert werden und endlich auch das Maß der Erwiderung an der zugefügten Beleidigung schwerlich zu meñen wäre. Zweites Kapitel. Beilegung der Streitsachen. Die verschiedenen Arten der Rechtsmittel der Staaten. im Frieden. Literatur: v. Kaltenborn, Zur Revision der Lehre von den internationalen Rechtsmitteln. (Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. XVII. 1861 S. 69 ff.) Zwischen den Staaten entstandene Streitigkeiten können entweder durch diese selbst beigelegt werden auf dem Wege der Unterhandlung mit einander oder durch Mitwirkung dritter Staaten als Vermittler oder durch einen Schiedsspruch. Reagiren kann aber ein verlegter Staat gegen den verlegenden durch Retorsion, Repressalie, Embargo und Friedensblocade. Welche Mittel ein mit einem anderen Staat in Streit begriffener oder gegen diesen wegen einer Unbilligkeit oder Ungerechtigkeit reagirender Staat zu ergreifen habe, läßt sich nicht von vornherein bestimmen, sondern nur nach Umständen der Streitsache ermeñen. Ebeniowenig kann eine bestimmte Reihenfolge in der Anwendung der Mittel allgemein festgesezt werden. Wohl aber ist zunächst ein milderes Mittel anzuwenden, aber nur dann, wenn dadurch eine zur Schlichtung des Streites bestimmende Wirkung auf den gegnerischen Staat erreichbar erscheint. Vor allem aber ist unter den streitenden Theilen zu unterhandeln, bevor zur Anwendung eines gewaltsamen Mittels geschritten wird. Von Kaltenborn hat die Mittel noch zu vervielfachen gesucht und, weil die völkerrechtlichen Streitigkeiten sich im Allgemeinen auf dreierlei Weise schlichten lassen, auch das „Völkerproceßrecht" in drei Ab. theilungen getheilt, zunächst in: I. Friedliche Rechtsmittel. Als solche führt er auf: 1) den Austrag des Rechtsstreites oder Sicherung (?) 4) Entschluß der Parteien, ihre Sache einer schiedsrichterlichen 5) freiwillige Zuziehung dritter Mächte von Seiten der Parteien, damit durch deren Mitthätigkeit die Ausgleichung der Proceßsache zu Stande komme, sei es in Form jener Ver= ständigung (sub 1) oder des Compromisses (sub 3). Die Form dieser Mitthätigkeit der dritten Macht erfolge hier entweder blos durch sogenannte gute Dienste oder durch eigentliche Vermittelung; 6) Aufforderung der einen oder im geeigneten Fall auch beider Parteien zum Rechtsschuß an die Garanten, Schußmächte, Verbündeten, wobei das unter 5 bezeichnete Verfahren eintrete; 7) einseitige Einmischung dritter Mächte, um den Streit der Parteien zur Ausgleichung zu bringen. Die Anwendung des Zweikampfs als Mittel zur Austragung von Rechtsstreitigkeiten verwirft von Kaltenborn und die des Looses statuirt er nur in Streitigkeiten über unbedeutendere Dinge. II. Transitorische Rechtsmittel, welche sich im Wesentlichen als Uebergänge von der friedlichen zu der kriegerischen Ausgleichung völkerrechtlicher Streitigkeiten charakterisirten. Sie kennzeichneten sich sämmt. lich als Selbsthülfe, brächten aber diese in sehr verschiedenen Graden zur Anwendung und namentlich der Anwendung der physischen Gewalt, wie sie erst vollständig bei der kriegerischen Selbsthülfe einträte, nur einen relativen Spielraum gewährend, indem erstlich nicht alle in Anwendung von physischer Gewalt ihren Ausgangspunkt nähmen und zweitens überhaupt nur vereinzelte Gewaltsmaßregeln selbst bei der strengsten Art dieser Rechtsmittel der Selbsthülfe in Ausübung gebracht würden. Sie schlößen, obgleich die einzelnen mehr oder weniger, sämmtlich eine directe Anwendung des Kriegsmittels bereits in sich, doch sei die directe Absicht des Krieges für's erste noch durch sie ausgeschlossen und führten sie keineswegs nothwendig zum Kriege, seien deshalb nicht bereits als dessen Anfänge anzusehen. Als einzelne Mittel führt v. Kaltenborn an: 1) die Retorsion; 2) den Abbruch des Verkehrs mit dem gegnerischen Staat, sei es, daß zunächst und allein nur der diplomatische Verkehr durch Abberufung der Gesandten unterbrochen würde, sei es, daß man den Verkehr auch der beiderseitigen Unterthanen ganz oder theilweise beschränke oder gar aufhebe; 3) Repressalien und als wirksamste und äußerste das Embargo und die Friedensblocade. § 4. Auf Selbsthülfe und nicht auf Selbsthülfe beruhende Die Haupteintheilung von Kaltenborn's in friedliche und transitorische Rechtsmittel ist beachtenswerth, wenn sie auch in Völkerrechtsdarstellungen, so auch in einer der neuesten der von Friedrich von Martens' (Deutsche Ausgabe von Bergbohm, Berlin 1886), keine Beachtung gefunden hat und ebenso auch nicht in unserem Handbuch des Völkerrechts (Freiburg 1884). Von Martens unterscheidet friedliche und weniger friedliche Mittel, wir aber gütliches und gewaltsames Verfahren. Daß in der v. Martens'schen Unterscheidung kein rechter Gegen= sah ausgedrückt wird, sondern nur eine Gradation, welche einem äußeren Merkmal Rechnung trägt, ist einleuchtend, indeß wollen wir auch gerne zugeben, daß gegen unsere Unterscheidung durch von Kaltenborn (S. 84) mit Recht eingewandt worden ist, da wir die Retorsion zum gewaltsamen Verfahren rechnen, daß bei dieser selten von dem die Rede ist, was man gewaltsam nennen könnte. Aber auch die von Kaltenborn'schen Unterscheidungen: friedliche und transitorische Maßregeln bilden keinen Gegensatz, und kann man mit vollem Recht auch die friedlichen als transitorische bezeichnen, ja selbst der Krieg ist kein dauernder Zustand und kann unter Umständen von kürzerer Dauer sein als die während des Friedenszustandes angewandte Retorsion und Repressalien, da diese erst dann aufhören, wenn ihr Zweck erreicht ist und ihre Anwendung keineswegs immer die Wirkung hat, daß es in kurzer Zeit geschieht. Wir glauben daher, den unterscheidenden Charakter in einem anderen Moment erblicken zu müssen, indem wir uns dabei vor einer Selbstcorrectur nicht scheuen im Moment der Selbsthülfe. Darnach würden wir dann alle die von uns als Arten des gütlichen Verfahrens charakterisirten Mittel zu den nicht auf Selbsthülfe beruhen. den rechnen, dagegen zu den auf Selbsthülfe beruhenden die Retorsion, Repressalien und den Krieg und als Unterarten der Repressalien das Embargo und die Friedensblocade. Die Selbsthülfe im Frieden. würde sich dann entweder realisiren durch die Retorsion als Reaction. gegen eine Unbilligkeit oder als Repressalie mit ihren Arten als eine Reaction gegen ein Unrecht. Classificiren würden wir dann die beiden Hauptverfahren oder die in demselben anzuwendenden Rechtsmittel als ein Verfahren oder Mittel und als Reactionen zur friedlichen oder nichtkriegerischen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten. Nur leztere würden sich als Selbsthülfe charakterisiren lassen, denn die guten Dienste, die Vermittelung und der Schiedsspruch können selbstverständlich nicht als Mittel der Selbsthülfe gelten, und selbst die Unterhandlungen zwischen den streitenden Theilen können es nicht, da doch hierbei nicht ein einzelner der streitenden Theile ohne Mitwirkung des anderen Theiles sich hilft, sondern beide Theile sich einander zu einer friedlichen Beilegung verhelfen. Schon Rotteck und Welder's Staatslexikon widmet in erster, zweiter und dritter Auflage besondere Artikel der „völkerrechtlichen Selbsthülfe". Wurm behandelt in der ersten und zweiten Auflage gründlichst und mit eingehender Berücksichtigung der Staatenpraxis verbunden und getrennt Retorsion und Repressalien und sodann diejenige Selbsthilfe, die zu Kriegsmaßregeln greift und doch nicht Krieg heißen will", wobei auch des Embargo und der Friedensblocade Erwähnung geschieht. Held, der Verfasser des Artikels „völkerrechtliche Selbst. hülfe" in der dritten Auflage des Lexikons sieht als Formen der Selbsthülfe an den Krieg und außerdem die Talion, Retorsion und Repressalie, während er als Mittel, um Kriege abzuwenden bei geringeren Collisionen zwischen Staaten, diplomatische Verhandlungen und bei wichtigeren Collisionen diplomatische Congresse anführt. Berner unterscheidet im Bluntschli'schen Staatswörterbuche im Artikel: Krieg, Kriegsrecht gütliche Versuche, um den Krieg zu vermeiden, wohin er die von uns sog. Arten des gütlichen Verfahrens rechnet und vereinzelte Gewaltmaßregeln. Berner's Gegensaz besteht demnach wesentlich wie bei unserer früheren Unterscheidung im Güt. lichen und Gewaltsamen, und rechnet er zu den lezteren Embargo und Friedensblocade, während Wurm und Held das unterscheidende Moment in der Selbsthülfe erblicken und zu dieser dieselben Mittel rechnen wie es weiter oben von uns geschehen ist, wobei Held dazu noch die Talion fügt, welche jedoch als selbstständiges völkerrechtliches Mittel kaum an zusehen ist, sondern nur die Art und die Ursache der Uebung von Retorsion und Repressalien bezeichnen kann. Während nun die meisten Völkerrechtsautoren sich einerseits an den nichtkriegerischen Mitteln der Unterhandlung, guten Dienste, Vermitte lung und des Schiedsspruches, sowie andrerseits an der Retorsion und den Repressalien mit Einschluß des Embargo und der Friedensblocade genügen lassen, hat v. Kaltenborn noch den Austrag des Rechtsstreites durch gegenseitige Verständigung hinzugefügt, welche doch nur erst Wirkung der Unterhandlung sein kann, ferner die Appellation an die Meinungsäußerung unbefangener Dritter und die öffentliche Meinung, welche doch nur eine politische Maßnahme und eine rechtlich ungeregelte ist, während die befürwortete einseitige Einmischung dritter Mächte entweder als sog. gute Dienste oder als Intervention sich geltend machen kann, und endlich die Aufforderung der einen oder auch beider Parteien an die Garanten zur Leistung des Rechtsschußes, welche doch nur in Folge eines bestehenden Garantievertrages ergehen und nicht als allgemeines völkerrechtliches Rechtsmittel bezeichnet werden kann Dagegen ist der durch von Kaltenborn als transitorisches Rechtsmittel bezeichnete Abbruch des Verkehrs mit dem gegnerischen Staat als zeitweilige Versagung eines Grundrechts aufzufassen und demnach auch als gerechter Kriegsgrund für den anderen Theil. Indeß wird der Abbruch, soweit er nicht Wirkung eines erklärten Krieges ist, factisch oft nur als politische Pression geübt, um einen Staat zu Zugeständnissen zu veranlassen in einer bereits geführten wichtigen diplomatischen Verhandlung und kann daher als eigentliches Rechtsmittel nicht angesehen werden, da der Abbruch insbesondere der diplomatischen Beziehungen, ebenso aber auch die theilweise Beschränkung oder Aufhebung des Verkehrs der beiderseitigen Unterthanen in der Nichtgewährung eines Rechtsanspruches besteht, da Staaten einer internationalen Rechtsgemeinschaft sowohl ein Recht auf diplomatischen Verkehr haben, als auch deren Unterthanen einen Anspruch auf gewisse Verkehrsrechte, deren Nichtgewährung den anderen Staat zu einem gleichen Verfahren berechtigt, ohne daß von ihm besondere Repressalien geübt werden oder gar ein Krieg erklärt wird. |