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einander; das Völkerrecht beruht auf Gegenseitigkeit und diese wird sc: rohen oder fanatischen Völkern nicht beobachtet, sie bieten nicht die Ge währ fester staatlicher Ordnung, weßhalb die Berührung civilisire ; Staaten mit ihnen, wie Frankreich in Algerien, Rußland in Mittelan England in Indien, der Vereinigten Staaten in ihren Beziehungen z den Indianern zu fortwährenden Interventionen führen. Eine civilisur Regierung kann sich solchen Völkern gegenüber nicht immer rein defen verhalten; fortwährende Beunruhigungen durch dieselben sezen sie oft i die Alternative, solche Stämme, wenn nicht zu unterwerfen, doch in eine hängigkeit zu bringen, welche ihnen weitere Angriffe unmöglich mac: und eben diese Abhängigkeit macht weitere Einmischungen unvermeidlit In dieser Hinsicht hat unstreitig das Circular des Fürsten Gortschate: vom 21. November 1864 Recht, wenn es sagt: „Beschränkt man fi darauf, die Plünderer zu züchtigen, so wird die Lection bald vergefie und der Rückzug der Schwäche zugeschrieben. Die Asiatischen Völke besonders achten nur auf die sichtbare und fühlbare Macht, die moralisc Gewalt des Rechtes und der Interessen der Civilisation hat bei ihne noch kein Gewicht. C'est donc toujours à recommencer." Die Inte vention ist hier das nicht zu entbehrende Mittel weiterer Entwicklung Damit wird in keiner Weise eine Politik wie die Palmerston': gerechtfertigt, der 1838 unter dem nichtigsten Vorwand suchte, Doi Mohammed vom Afghanischen Thron zu stürzen und 1840 1 1857 zwei gleich ungerechte Kriege gegen China begann, um letzterem die Opiumeinfuhr aufzuzwingen, lediglich weil die Opiumcultur ein wichtige Einkommenquelle in Indien ist. Aber auch hiervon abgesehen kann unter civilisirten Völkern eine schwere Verlegung des Völkerrecht seitens eines Staates die Intervention anderer berechtigen. Ein recht Loser Ueberfall eines Staates, eine barbarische Kriegsführung, eine grobe Mißachtung aller Rechte der Neutralen schließen eine Gemeingefahr für alle anderen Staaten ein, gegen welche diese einzuschreiten berechtig sind und auf Anrufung der Betroffenen einschreiten sollten. Von diesem Gesichtspunkte kann man die bewaffnete Neutralität von 1780 als eine legitime Intervention ansehen, durch welche die betheiligten Mächte er klärten, daß sie sich die willkürliche Behandlung neutraler Mächte zur Sa seitens Englands nicht länger gefallen lassen würden.

§ 46.

Intervention im Osmanischen Reiche.

7. Es führt dies schließlich auf die Intervention der Europäischen Mächte in die Angelegenheiten des Osmanischen Reiches, bei denen meh rere der genannten Motive zusammen und gegeneinander wirkten. Der Gegensaß der ganzen religiösen, sittlichen und rechtlichen Anschauung

unserer christlichen Gesittung und der, auf welcher das Leben der Muselmänner beruht, ist so durchgreifend, daß die Unmöglichkeit vorliegt, die auf demselben Gebiete wohnenden Personen beider Art unter dasselbe Recht zu stellen, zumal Recht und Religion im Islam untrennbar verbunden sind. Da derselbe grundsäßlich nur Vertilgung oder Unterwerfung der Ungläubigen kennt, so drückte dieser Gegensaß Jahrhunderte lang sich in gegenseitigem Kampfe aus. Als der muselmännische Fanatismus so weit nachgelassen hatte, daß eine Ansiedlung nicht unterworfener Christen auf muhammedanischem Gebiete überhaupt zugelassen wurde, lag die Unmöglich. keit vor, dieselben der wesentlich auf religiöse Vorschriften des Korans gegründeten Türkischen Rechtspflege zu unterwerfen, welche alle Nichtmuselmänner als rechtlos behandelte, ihr Zeugniß gegen Gläubige nicht zuließ u. s. w., das einzige Auskunftsmittel blieb daher, daß die Angehörigen christlicher Staaten eine geschlossene Gemeinschaft unter der Jurisdiction eigener nationaler Beamten bildeten. Zuerst sette dies Venedig durch, das schon unter den byzantinischen Kaisern für seine dortigen Angehörigen das Privileg erhalten, daß sein Gesandter zugleich deren Richter war, dann Franz I. durch den Vertrag von 1535 mit Soliman, der durch spätere wie namentlich den von 1604, zuletzt durch den von 1740 vervoll. ständigt wurde. Diese Verträge, Capitulationen genannt, gaben that. sächlich Frankreich ein Schußrecht über alle Angehörigen christlichen Glaubens fremder Nationalitäten. Es war begreiflich, daß die andern Europäischen Mächte - Desterreich, Rußland, England und Preußen seit dem 17. Jahrhundert sich von dieser Vormundschaft frei zu machen suchten und im Laufe der Zeit eine ebenbürtige Stellung erlangten. Alle diese Verträge, wie speciell der Russische von 1700 (Art. 12), be ziehen sich nur auf die Unterthanen der betreffenden Mächte, der Graf St. Priest, der 1767-85 Französischer Botschafter in Constantinopel war, erklärte »Jamais les Sultans n'ont eu seulement l'idée que les Monarques Français se crussent autorisés à s'immiscer dans la religion des sujets de la Porte.« (Moniteur, Juin 3. 1853). Indeß ließ die Pforte sich doch herbei, in den Verträgen des 18. Jahrhunderts den Schuß der christlichen Religion in ihrem Gebiete zu versprechen. So heißt es im Vertrage von Carlowig von 1699 mit dem Kaiser: (Art. 13) ,,Pro religiosis ac religionis Christianae exercitio juxta ritum RomanoCatholicae Ecclesiae, quaecunque praecedentes gloriosissimi Ottomanorum Imperatores in regnis suis sive per edicta et mandata specialia favorabiliter concesserunt, ea omnia serenissimus ac potentissimus Ottomanorum Imperator imposterum etiam observanda confirmabit ita ut ecclesias suas praefati religiosi reparare atque resarcire possint, functiones suas ab antiquo consuetas exerceant et nemini permissum sit contra sacras capitulationes et contra leges Divinas aliquo genere molestiae aut pecuniariae petitionis eosdem religiosos cujuscunque ordinis et conditionis afficere sed consueta imperatoria pietate gaudeant et fruantur." Diese Bestimmungen wurden durch den Art. 18 des Pas

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saromizer Friedens von 1718, sowie Art. 9 des Belgrader Frieden von 1739 und Art. 12 des Vertrages von Sistow von 1791 lediglic wiederholt und bestätigt. Nichts anderes besagt auch der Vertrag vo Kudjuk-Kainardji von 1774 mit Rußland. Art. 7 erklärt La Fulg Porta promette una ferma protezione alla religione Christiana, e all chiese di quella; permette ancora a' Ministri dell'Imperial Corte d Russia di fare in ogni occurrenza varie rappresentanze a favore dell sotto menovata eretta chiesa in Constantinopoli, accennata nell'Art. 14 non meno di quei che la servono, e promette ricevere queste rimonstranze con attenzione, come fatte da persona considerata d'una vicina et sinceramente amica Potenza." Nur auf diese Kirche in Galata, dere Concession der Art. 14 näher regelt, geht das Recht Rußlands Ver stellungen zu machen, von einem solchen, zu Gunsten der Griechisch-orthodoxen Unterthanen der Pforte, die in dem ganzen Vertrage nicht ein mal genannt sind, war keine Rede. In den weiteren Artikeln 10, 16 17 wird nur freie Ausübung der christlichen Religion in Bessarabien den Donaufürstenthümern, den Inseln des Archipelagus, Mingrelien und Grusien zugesagt, das Recht Rußlands zu Vorstellungen ist auf die Donaufürstenthümer beschränkt, bezieht sich für diese aber nicht blos ari religiöse, sondern auf alle Angelegenheiten. Die Anmaßung des Kaiser: Nikolaus, nicht blos ein Einmischungsrecht in die Angelegenheiten de orthodoxen Unterthanen, die in jenem Vertrage, wo nur von der christ lichen Religion überhaupt die Rede ist und jene nicht einmal genannt wurden, sondern sogar ein Schußrecht zu beanspruchen, war somit ein Novum, das durch keinerlei vertragmäßige Bestimmung begründet war und deshalb von allen anderen Mächten als unvereinbar mit der Sou veränetät der Pforte zurückgewiesen ward. Nach den Erörterungen, welche 1853 über diesen Gegenstand stattfanden, ist es deshalb unbe greiflich, daß F. v. Martens noch jezt behaupten kann, der Vertrag von 1774 habe die zukünftige Einmischung Rußlands in die inneren Angelegenheiten des Türkischen Reiches, aus religiösen Motiven entsprungen“, sanctionirt und das „ausschließliche Protectorat Rußlands über die Tür kischen Christen sei in seinen Händen zu einem legalen Mittel der Ausübung eines Druckes auf alle internationalen Verhältnisse der Pforte" geworden. (Völkerrecht II, S. 126, 27). Die späteren Verträge Rußlands und der Pforte bringen in dieser Beziehung nichts Neues, der Sultan, nicht der Kaiser von Rußland beschüßt die christlichen Unterthanen der Pforte.

Inzwischen hatten die politischen Verhältnisse der Mächte zur Türkei steigende Wichtigkeit gewonnen; Katharina II. entriß ihr die Krim, der Friede von Jassy 1792 gab Rußland den Dniestr als Grenze, der von Bucarest 1812 rückte dieselbe bis an den Pruth vor. Auf dem Wiener Congreß wünschte Metternich lebhaft die Pforte in das Europäische System aufzunehmen. Desterreich" schrieb Genz am 5. Febr. 1814 1), ,,will nicht eine Gefahr gegen die andere austauschen und nicht das Ueber

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gewicht Frankreichs zerstören, um das Rußlands vorzubereiten und zu begünstigen. Der Fürst Metternich betrachtet heute mehr als jemals die Ottomanische Pforte als eines der wesentlichsten Gegengewichte des Europäischen Gleichgewichtes. Seine erklärte Absicht ist, in diesem Sinne zu handeln, seine Pläne, Vorschläge und Schritte werden unwandelbar auf dieses Ziel gerichtet sein." Der Fürst wollte, da die Pforte keinen Vertreter zum Congreß sandte, die Initiative nehmen. eine Garantie ihres Besißstandes in die Congreßacte zu bringen, Lord Castlereagh unterstüßte ihn dabei, und Kaiser Alexander hatte Anfangs nichts dagegen einzuwenden, später erklärte er, er wünsche noch zuvor einige Streitpunkte mit der Türkei beizulegen, und die Sache wurde verschleppt, bis Napoleons Rückkehr von Elba sie vergessen ließ. Die Intervention in der Griechischen Sache, so gerechtfertigt sie war, begünstigte doch die Zwecke Rußlands, indem sie die Pforte schwächte und Griechenland nicht zu einem wirklich lebensfähigen Staat werden ließ; es benußte diese Lage, um der Pforte den Krieg zu erklären, der Friede von Adrianopel 1829 gab ihm die Inseln und Mündungen der Donau, bedeutende Neuerwerbungen im Kaukasus und das Schußrecht über die Donau-Fürstenthümer. Das Ergebniß desselben faßt eine Depesche Nesselrodes an den Großfürsten Constantin vom 12. Febr. 1830 dahin zu sammen:2) „Die Bedingungen des Friedens haben Rußlands Uebergewicht in der Levante verstärkt, seine Grenzen verbessert, seinen Handel befreit, seine Rechte und Interessen gesichert. Es hing nur von unserer Armee ab, auf Constantinopel zu marschiren und das Türkische Reich zu stürzen, 3) keine Macht hätte sich dem widerseßt, keine unmittelbare Ge fahr uns bedroht. Aber nach der Ansicht des Kaisers war der Bestand dieser Monarchie, die darauf angewiesen ist, unter dem Schuß Rußlands zu existiren und nur nach seinen Wünschen zu leben, für unsere Interessen vortheilhafter als jede neue Combination, die uns genöthigt hätte, unser Gebiet durch Eroberungen zu sehr auszudehnen, oder an die Stelle des Ottomanischen Reiches Staaten zu sehen, die bald mit uns an Macht, Civilisation, Industrie und Reichthum rivalisirt hätten."

Die Gelegenheit, die Pforte zu gefügiger Erfüllung seiner Wünsche zu nöthigen, sollte sich Rußland bald bieten. Durch Mohamed-Alis Aufstand war der Sultan in die höchste Bedrängniß gerathen, die andern Mächte verhielten sich passiv, es blieb ihm nur übrig, sich in Rußlands Arme zu werfen, das ihm zu Hülfe kam, aber dafür den Vertrag von Unkiar-Skelessi (1833) erreichte, der wohl das schneidendste Beispiel der ständigen Einmischung einer Großmacht in die inneren Angelegenheiten eines anderen schwächeren Staates bietet. Art. 1 besagt: »Leurs Majestés promettent de s'entendre sans réserve sur tous les objets qui concernent leur tranquillité et sûreté respectives et de se prêter à cet effet mutuellement des secours matériels et l'assistance la plus efficace,<«< In einem geheimen Zusazartikel aber sagte Rußland zu, daß es »voulant épargner à la Sublime Porte la charge et les embarras qui résul

Handbuch des Völkerrechts IV.

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teraient pour elle de la prestation d'un secours matériel diese vor kommenden Falls nicht beanspruchen wolle, wofür diese ihre Thätigle zu seinen Gunsten darauf beschränkte, die Einfahrt in die Dardanelle keinem fremden Kriegsschiffe zu gestatten. Rußland also, das von de Pforte doch niemals Hilfe erwarten konnte, erreichte damit die Bürg schaft, daß seine Feinde es niemals im Schwarzen Meere angreifen konnten, andrerseits erlangte es das Recht, sich in alle inneren An gelegenheiten der Türkei zu mischen, sobald es behauptete, daß eine Frage die gegenseitige Ruhe und Sicherheit der beiden Staaten berührt. Der Protest Englands und Frankreichs gegen diesen Vertrag blieb zu nächst unbeachtet, die gefährliche Natur desselben führte indeß doch eine Annäherung derselben herbei, und um diese zu zerstören, gab Rußland zum erstenmale seinen bisher stets festgehaltenen Grundsaß auf, die Angelegen heiten der Pforte nie zu einem Gegenstand collectiver Abmachungen mit den übrigen Mächten werden zu lassen. Es erklärte sich, als Thiers Mohamed-Ali offen unterstüßte, bereit mit England, Desterreich und Preußen den Vertrag von 1841 über die Schließung der Meerengen zu unterzeichnen und England zu ermächtigen, den Vicekönig zur Unter werfung zu bringen. Indeß Frankreich trat dem Vertrage nach Thier! Fall bei und Guizot griff sogar den Vorschlag Villèles von 1826 auf den Status quo des Ottomanischen Reiches zu garantiren. Eine sold Bestimmung, die Rußland damals als ganz unzulässig und gegen seine,,droits acquis" verstoßend, lebhaft zurückgewiesen4), wurde freilich nicht durchgesezt, man mußte sich mit einer allgemeinen Erklärung über die souveräner Rechte des Sultans und ihre Unverleßlichkeit begnügen, die freilich keine bestimmte Verbindlichkeit einschloß und wie Baron Brunnow 1853 behauptete, nichts sei als »une belle idée ayant la même valeur que formule: Au nom de la sainte et indivisible Trinité“.5) Indeß diese schöne Idee ward doch der Ausgangspunkt der gemeinsamen Action da vier Mächte Rußland gegenüber, als dasselbe die Donaufürstenthüme: besezte, um das erwähnte Schußrecht über die Griechischen Christen zu erzwingen und verdichtete sich bereits in der ersten Wiener Conferenz vom 5. Dezbr. 1853 zu der Erklärung »L'existence de la Turquie dans les limites que les traités lui ont assignées, est en effet devenue une des conditions nécessaires de l'équilibre européen«.

Der Pariser Frieden vom 30. März 1856 Art. 7 erklärt »la Sublime Porte admise à participer aux avantages du droit public et du concert européen. Leurs Majestés s'engagent, chacune de son côté, à respecter l'indépendance et l'intégrité territoriale de l'Empire Ottoman, garantissent en commun la stricte observation de cet engagement. et considéreront, en conséquence, tout acte de nature à y porter atteinte. comme une question d'intérêt général«.

Im Art. 9 sagt der Sultan den Mächten zu, den Firman,,spontanément émané de sa volonté souveraine" mitzutheilen, der die Verbesserung der Lage seiner Unterthanen und seine großherzigen Absichten für die

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