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Denn aus der Auffassung dieses Gewaltmittels als eines Rechtsmittels folgt noch nichts für die Art und Ausübung und die rechtliche Einschränkung der Gewalt. Erst aus den Regeln und Schranken, welche das Kriegsrecht der Ausübung der Gewalt giebt, erwachsen die wichtigen Folgen. 22)

1) Namentlich von Bluntschli, Völkerr. §§ 510, 511, und, jedoch von unrichtiger Grundauffassung ausgehend, Eichelmann a. a. D. Vgl. auch Bluntschli's § 52, Note 14 zu erwähnende Zurückweisung Rüstow's, wonach der Krieg zwar als physischer Kampf erscheint, in der Regel aber ein Rechtsstreit zwischen Staaten als Kriegsparteien über öffentliches Recht ist; dagegen mit Recht die schon in Note 4 zum vor. Paragraphen angef. Hartmann S. 19 u. Geffcen Note 2 zu § 113 von Heffter, sowie in Laband's und Störck's Archiv des öffentl. Rechts I. S. 157. Vgl. auch Resch, Das Europ. Völkerrecht der Gegen. wart, 1885, § 139, Grotius I. 1, § 2, Pufendorf I. 1, § VIII., Klüber § 235, Moser, Grunds. S. 77 unten, Field 703, andererseits Vattel III. 1, § 1, Neumann § 39, Phillimore IX. 4, 49, Holzendorff § 55, Dahn S. 1. Gegen die Bluntschli’sche Auffassung ferner einstimmig die militärischen Schriftsteller. Vgl. außer Hartmann Clausewiß, S. XI. 16, 17; vgl. auch Raßen. hofer, Staatswehr S. 261, Blume, Rüstow, Kriegspolitik und Kriegsgebrauch. Das nach Bluntschli (§ 510, Anm. 2) bestehende große humane Interesse, den Krieg möglichst als Rechtshülfe aufzufassen und darzustellen, vermag doch nicht die richtige Aufstellung des Begriffs zu bestimmen. In der Lehre vom Kriegsziel (§ 536) giebt Bluntschli den Rechtsbegriff übrigens selbst wieder auf. Die Meinung der Militärschriftsteller, namentlich Clausewiß's, wonach umgekehrt der Krieg nur fortgeseßte Staatspolitik sein soll, ist ebensowenig aufrecht zu erhalten. Sie ist aus demselben Grunde unrichtig: die Politik kann die Veranlassung zum Kriege sein, sie braucht es aber nicht in allen Fällen zu sein; und die Behaup tung, daß jeder Kriegsfall sich auf einen politischen Grund zurückführen lasse, ist ebenso unzutreffend wie die, daß jeder Krieg im lezten Grunde auf einen Rechts. grund zurückgeführt werden könne. Jedoch wird das erstere noch immer häufiger der Fall sein als das leßtere (vgl. F. v. Martens, Völkerrecht II. S. 477), wenigstens wenn man nicht den blosen Schein und Vorwand eines Rechtsgrunds für den wirklichen Grund nehmen will. Darüber gleich weiter unten. Neuerdings nähert v. Martens, Völkerrecht II. S. 477 sich dem Richtigen dadurch, daß er den Krieg als den bewaffneten Kampf zwischen unabhängigen Staaten behufs Vertheidigung ihrer Rechte und Interessen definirt, und zwar mit der ausdrücklichen Erklärung, dadurch für die Versöhnung der juristischen und der militärischen Auffassung wirken zu wollen. Er unterläßt aber, auf dieser richtigen Concession an die militärische Auffassung klar und bestimmt weiter zu bauen.

2) Oppenheim, Friedensglossen, S. 102. Vgl. Calvo, § 1596 G. 5 unten; Schulze, Grundriß zu Vorlesungen über Völkerrecht § 8.

3) Hartmann S. 140.

4) S. Note 10 und Resch, § 139; Geffcken in Laband's und Stoerck's Archiv für öffentl. Recht I.

5) Vgl Heffter § 113. Mit dem im Text Vorgetragenen stimmt im Grunde auch Neumann § 39 überein, der zwischen dem Kriege als einer Thatsache und dem Kriege als Rechtsbegriff unterschieden wissen will, den leßteren aber erst dann auftreten läßt, wenn der Krieg angewandt wird zur Erlangung der

Genugthuung für zugefügte und Sicherstellung gegen künftige Rechtskräntan | Also läßt der Krieg auch nach Neumann nur in gewissen Fällen sich als Nett begriff auffassen.

6) Die Unsicherheit eines gerechten Ausganges wird von Vielen ausdrück anerkannt, z. B. von Fichte, R. v. Mohl, Enc. d. St.-W. § 69, vgl. auch Opperheim, Friedensglossen: Der Krieg und das Völkerrecht; während Ander die Thatsache des Ausgangs mit der Gerechtigkeit desselben identisch und das & gebniß des Krieges ein wahres Gottesurtheil ist unter Berufung auf den St Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Allein dem widerspricht die Weltgeschitz in zahlreichen Beispielen selbst, und zwar ohne die Wahrheit des richtig ver standenen Sazes zu negiren, da der Abschluß des geschichtlichen Einzelereig nisses, der vorläufige Ausgang eines Kampfes, den das Ende eines Krieg unter Umständen nur darstellt, noch keine endgültige Entwickelungsphase, je sagen noch keine sententia definitiva der Geschichte zu sein braucht; vgl. au Blume S. 7, Clausewiß S. 7 unt. Vgl. Geffcken zu Heffter, § 2, Note &

7) Clausewit S. 14 spricht geradezu aus, daß der Krieg von allem menit lichen Thun dem Spiele, dem Kartenspiele am nächsten stehe. Vgl. Heffter § 1131 8) Vgl. Bluntschli, Völkerrecht in der Einleitung, Bedenken gegen d Völkerrecht I. u. II. und v. Holzendorff in diesem Handb. I. § 7.

S. besonders Hartmann S. 20; vgl. Note 1.

19) Vgl. oben Note 1, die dort angef. Militärschriftsteller und namentlic Clausewiß, Razenhofer a. a. D. Unwillkürlich muß es auch troß seines Bestrebens und Wunsches, die Rechtsbegriffs-Qualität des Kriegs aufrecht zu a halten, selbst Bluntschli zugeben. S. seine Rectoratsrede von 1870: Das me derne Völkerrecht in dem Französisch-Deutschen Kriege S. 11. Vgl. auch Blunt schli's Zurückweisung Rüstow's: Revue 1876, p. 670 und Gegenwart 1877 6. 19 wo im Grunde dasselbe zugegeben wird, wenn auch das Gegentheil behauptet werden soll.

11) Dabei ist es wiederum ganz gleichgültig, aus welchem Grunde der Vor wand ge- und die Verschleierung versucht wird. Es bleibt immer nur ein nicht den Ausschlag gebender Schein, auch wenn der Grund in dem Bedürfniß bestünde, ,,durch die Berufung auf eine Rechtsursache sich vor der öffentlichen Meinung zë rechtfertigen und der Rechtsordnung eine Huldigung darzubringen“ (Bluntschli Revue 1876, p. 672, Gegenwart 1877 S. 20). Dies ist aber durchaus nicht de alleinige denkbare Grund für die Aufstellung des Vorwandes, es kann auch aus anderen Gründen, z. B. aus politischer Berechnung und im Hinblick auf den Gegner oder eine bestimmte dritte Macht geschehen, und außerdem ist, wie auch im Ter angedeutet, durchaus nicht gesagt, daß der Vorwand immer erhoben wird und erhoben werden muß. Bluntschli's das Gegentheil supponirende Behauptung ist deshalb nicht richtig.

12) S. darüber unten §§ 54, 55.

13) Vgl. v. Holzendorff, Enc. S. 1022.

14) Vgl. Freudenstein, Die Hannoversche Welfenpartei, 1885, S. 39 unt., 40. 15) S. darüber weiter unten in der Lehre vom Kriegsziel.

16) Bluntschli, Revue 1876, p. 670 und Gegenwart 1877, S. 19. 17) Wiederum Bluntschli (in seiner Zurückweisung Rüstow's, Gegenwart v 1877, S. 20 ff.), der schließlich hierdurch seine Auffassung retten zu wollen scheint.

18) Die militärischen Schriftsteller, welche dieser Ansicht huldigen, befinden sich demnach auch ihrerseits auf völlig falscher Bahn. Vgl. schon oben im § 48 Gesagtes wie unten § 52 und Fr. v. Martens 477, auch Geffcken zu Heffter § 113, Note 1.

19) Kap. 4.

20) S. oben § 48 gegen Ende.

21) Vgl. Funck - Brentano et Sorel p. 234.

22) Höchstens für das Kriegsziel (§ 89) würden sich Folgen aus der Rechtsbegriffsauffassung ergeben können. Aber gerade da lassen sie sich nicht ziehen woraus zugleich wieder die Unhaltbarkeit der ganzen Auffassung hervorgeht.

50.

Natur und Wesen des Krieges.

Literatur: Von den zu § 48 Angef. s. besonders Clausewiß, Hartmann, Blume, Lasson; auch Razenhofer und (Kießling), Studien eines Deutschen Offiziers, 1855; Gumplovicz, Der Rassenkampf 1883.

Für die Natur und das Wesen des Krieges hat sich aus der im Vorstehenden gegebenen Begriffsbestimmung bereits die Gewalt ergeben. Um diese Natur genauer zu erkennen, kommt es darauf an, die Gewalt, welche den Krieg ausmacht, näher zu bestimmen.

Die Gewalt ist zunächst, wie im Vorstehenden ebenfalls bereits festgestellt ist, eine zwischen Staaten (oder staatenähnlichen Subjecten) geübte. Schon darin liegt, daß der Krieg eine sehr bedeutende und weitgehende Gewalt darstellen muß, indem dies aus der machtvollen Beschaffenheit der auf einander stoßenden Subjecte und aus der Natur der ihnen zu Gebote stehenden wie zur Anwendung kommenden Mittel ohne Weiteres folgt. 1)

Die in Rede stehende Gewalt muß aber als eine noch größere und bedeutendere erkannt werden, wenn man die Höhe des Einsatzes bedenkt, welchen die in den Krieg tretenden Staaten machen, und sich vergegen. wärtigt, was im Kriege Alles auf dem Spiele steht und zu gewinnen. oder zu verlieren ist.

Worauf es aber im Kriege zunächst ankommt, das ist das Nieder. werfen und Zwingen des Gegners,2) um nicht selbst niedergeworfen und gezwungen zu werden; den Sieg zu gewinnen, um nicht selbst be siegt zu werden. Dazu werden die höchsten Güter eingeseßt, die überhaupt denkbar sind: Blut und Leben der Bürger, Wohl, ja Bestand des Staates, nationale Ehre; und über nichts Geringeres als über Erhaltung und Verlust dieser Güter, sowie unter Umständen darüber hinaus, über die naturnothwendig geschichtliche Entwickelung und den Durchbruch der Cultur entscheidet der Ausgang des Krieges.

Die Entscheidung über dies Alles hängt allein vom Kriege der dafür das äußerste und zugleich lezte und inappellabele Mittel i Wird er nicht mit günstigem Erfolge geführt, so kann der Verlust je höchsten Güter die Folge sein; und daraus ergiebt sich die Gri Energie und Rücksichtslosigkeit der der Führung des Kampfes dienerd Gewalt, die um jeden Preis siegen muß, um nicht Alles zu verlieren, gegen die deshalb alle anderen Interessen und Rücksichten zurücktreten müsa Soll aber die Natur des Krieges genau festgestellt werden, um durch eine feste Grundlage für die Gestaltung des Kriegsrechts zu g winnen, so darf man sich nicht mit der allgemeinen Anerkennung großen Gewalt, welche der Ausnahmezustand 3) des Krieges nöthig mad mit dem Hinweis auf das im Kriege liegende Element der Leidenscha und auf die durch den blutigen Streit sich immer mehr steigernde zung und Erbitterung begnügen, sondern es kommt darauf an, die G. walt zu präcisiren.

Diese Präcisirung ergiebt sich aus dem nothwendig zu erreichender in der Niederwerfung des Gegners bestehenden Zwecke, für welchen Kriegsgewalt das Mittel ist. Das Mittel muß so unbeschränkt, ‣ Gewalt so groß sein, wie der Zweck es erfordert, während alle über d Zweck hinausgehenden, also unnöthigen Gewaltmaßregeln zwedlos deshalb unbegründet und unzulässig3) sind. Daher ergiebt sich Natur und Wesen des Krieges die in dieser Begrenzung unte schränkte Gewalt, die Herrschaft des Schwertes und der militärisc Nothwendigkeit, welche innerhalb der durch den Kriegszweck bezeichnet Grenze allein entscheiden und für ihre wie die Verantwortung obersten Staatsgewalt allein maßgebend sein kann.

1) Vgl. Schmidt. Ernsthausen, Princip der Genfer Convention, S. 2) Vgl. Clausewiß a. a. D.; vgl. auch Calvo § 1648.

3) Hartmann S. 23, 50.

4) Ebendas. S. 20, 22.

5) S. darüber gleich weiter unten im folgenden Paragraphen.

§ 51.

Die aus der Natur des Krieges für ExistenzMöglichkeit und Gestaltung des Kriegsrechts fließenden allgemeinen Consequenzen.

A. die Unbeschränktheit der kriegerischen Gewalt. Literatur: . vorigen Paragraphen.

Aus der im vorigen Paragraphen als die Natur des Krieges pri cisirten bis zu einem gewissen Grade unbeschränkten Gewalt ergeben fib bezüglich dieser Unbeschränktheit die folgenden weiteren Consequenzen.

Alle kriegerischen Gewaltmaßregeln, welche der Kriegszweck erheischt, müssen und dürfen unbeschränkt vorgenommen und können durch kein kriegsrechtliches Gebot eingeschränkt werden. Dies nicht anerkennen und also den Zweck, um dessentwillen die Kraftentwickelung, die ja in diesem Ausnahmefalle die Entscheidung geben soll, in Frage stellen wollen, würde ein innerer Widerspruch sein, der den Begriff des Krieges negieren und ebenso unlogisch wie im Grunde unsittlich und inhuman sein würde. 1)

Der kriegführende Staat und seine Organe befinden sich in der Lage des in einen Kampf um Leben und Tod verwickelten Einzelnen, den in diesem Kampfe nur das Eine leitet: um jeden Preis den Gegner niederzuwerfen, um das eigene Leben zu retten. Dies ist nicht nur natürlich, so daß es nicht anders sein könnte, sondern es ist auch rechtlich. Das Recht gestattet, wie die Beispiele der Nothwehr und des Nothstandes zeigen, ihm dazu die Anwendung der äußersten Gewaltmittel, die er zur Erreichung seines Zweckes braucht. Auf moralische Gesichtspuncte kommt es dabei nicht an, ganz davon abgesehen, daß es noch sehr zweifelhaft sein würde, welcher moralische Gesichtspunct der richtige ist, und daß auch vom moralischen Standpunct aus das rücksichtslose Waltenlassen das Richtigste sein möchte. Recht und Humanität fordern gleichmäßig eine möglichst schnelle Beendigung des Krieges und eine mög lichst entschiedene Abwendung der Gefahr, selbst besiegt zu werden, die so lange besteht, wie der Krieg dauert; und eine kriegsrechtliche Be schränkung der für den Zweck des Krieges, die Niederwerfung des Gegners, nöthigen kriegerischen Gewalt ist deshalb auch aus diesem Grunde ganz unzulässig 2)

Die Entscheidung über die zur Erreichung des Zweckes nöthigen Mittel kann nur das dafür allein competente Organ, die Kriegführung geben, welcher die Durchführung übertragen ist und welche allein die Verantwortung für die Folgen trägt. Sie und die über ihr stehende oberste Staatsgewalt können deshalb in den von ihnen für nothwendig erachteten Maßnahmen, soweit die Erreichung des Zweckes davon ab. hängt, durch Rechtssäze vernünftiger Weise nicht beschränkt werden; oder mit anderen Worten: es kann keine Rechtssäze geben, welche eine solche Schranke errichten wollten.

1) Das Nähere hierüber weiter unten in Kap. 5.

2) S. auch hierüber weiter unten; vgl. aber schon hier Blume, Strategie S. 2, Hartmann S. 16, 17, 24, Lueder, Recht und Grenze der Humanität im Kriege, S. 17, Schmidt. Ernsthausen, Princip der Genfer Convention S. 7, auch Raßenhofer, Die Staatswehr, S. 261. Vgl. auch Calvo § 1648.

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