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kommt noch hinzu 19) das Verdienst, daß durch diesen schließlich gelungenen Abschluß und das Zustandekommen des Congresses, welcher den Abschluß vollzogen hat, der Beweis geführt und offenbar geworden ist, daß ein solcher internationaler Congreß und eine solche Völkergesetzgebung sehr wohl möglich ist und wirklich statthaben kann. Der Genfer Convention muß deshalb, so klein der von ihr geregelte Theil des Kriegsrechts auch ist, in verschiedenen Beziehungen eine sehr große Bedeutung vindicirt werden.

Aus diesen verschiedenen hochbedeutsamen Gründen ist in einer heutzutage zu gebenden Darstellung des Kriegsrechts ein näheres Eingehen auf die Genfer Convention unerläßlich.20)

1) Die nähere Erörterung dieser Puncte, die den hier nur vorläufig anzugebenden Inhalt der Genfer Convention ausmachen, wird weiter unten im fol. genden Stück erfolgen.

2) S. unten § 77 und folgendes Stück, Kap. 2.

*) Daß solche Ausnahmen und Barbareien auch noch in der allerneuesten Zeit und selbst nach Errichtung der Genfer Convention vorgekommen sind, wird leider namentlich durch die Türkische Kriegführung im Kriege von 1876/78 bewiesen, vgl. Moynier, Das rothe Kreuz (übers. von Stange), S. 124, und nicht minder 1883 durch die Französische in Tunesien, Tonkin und Madagaskar. Auch im Kriege von 1870/71 ist dergleichen vorgekommen (vgl. Lueder, Die Genfer Convention, G. 277, 314), desgleichen im leßten Russisch-Türkischen Kriege auf Seite der Russen gegen die Türken, wenn auch nicht annähernd in dem Maße wie seitens der lezteren gegen die ersteren. Diese Vorkommnisse dürfen aber als traurige Ausnahmen betrachtet werden, welche die ganze civilisirte Welt aufs Schärfste verurtheilt, und zwar als Ausnahmen, die als Vergehen einzelner Soldaten, nicht als Maßnahmen der kriegführenden Mächte erscheinen, während dergleichen früher weniger streng beurtheilt, bezw. für berechtigt gehalten wurde. Vgl. weiter unten § 77 (S. 308) und Note 9 daj. a. E., auch im folgenden Stück, Kap. 2. *) Vgl. Queder, Genf. Conv., S. 37.

5) S. solche bei Löwenhardt, Die Organisation der Privatbeihülfe zur Pflege der im Felde verwundeten und erkrankten Krieger, Berlin 1867, S. 2 f. und (Dunant), La charité internationale sur les champs de bataille, 6ième èdit., 1865, Paris, Hachette. Jeßt Roszkowski a. a. D.

Lueder, Genfer Convention, S. 9 ff., namentlich S. 14 und die dort angeführten Schriften Gurlt's, welchem wir den Nachweis des im Texte Gesagten durch die Erschließung eines außerordentlich reichen geschichtlichen Materials verdanken, nachdem zuerst Löffler auf einen bestimmten (den gleich im Text zu erwähnenden, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von Friedrich dem Großen abgeschlossenen) Vertrag aufmerksam gemacht und dadurch den ersten Anstoß zu historischen Rückblicken gegeben hatte und darauf von mehreren für die Verbesserung der Verwundetenpflege arbeitenden (ebenfalls gleich im Text zu erwähnenden) Seiten einzelne im vorigen Jahrhundert abgeschlossene Verträge hervorgehoben waren, zuerst von Brière, die größte Zahl wieder von Gurlt. Löffler: Studien über den Sanitätsdienst im Italienischen Feldzuge von 1859; Preußische militärärztliche Zeitung v. 16. October 1860. Gurlt, Der internationale Schuß der im Felde verwundeten und erkrankten Krieger und die freiwillige Krieges-Krankenpflege in

Preußen, Denkschrift, der internationalen Conferenz überreicht, Berlin 1869; auch Französisch erschienen, zuerst abgedruckt in den Verhandlungen der internationalen Conferenz von Vertretern der der Genfer Convention beigetretenen Regierungen und der Vereine und Genossenschaften zur Pflege im Felde verwun deter und erkrankter Krieger, abgehalten zu Berlin vom 22.-27. April 1869", wie in dem dieselben Verhandlungen enthaltenden „Compte rendu“; endlich das große Werk: Zur Geschichte der internationalen und freiwilligen Krankenpflege im Kriege, 1873; die vom Genfer internationalen Comité veranlaßte, von Brière herrührende Zusammenstellung von précédents historiques s. in den Actes du Comité international de secours aux militaires blessés, S. 31; die Schriften von Moynier, Dunant, Löwenhardt, Naundorff, Bluntschli u. A., welche die von Brière u. s. w. gegebenen Aufschlüsse ganz oder zum Theil wiederholen.

7) Gurlt, Zur Geschichte u. s. w., S. 3; Lueder, Genfer Conv., S. 10. 8) S. Note 6; Lueder, Genfer Conv., S. 11 ff., 20 ff.

9) Von Gurlt in dem genannten großen Werke: „Zur Geschichte u. j. w.", S. 1 ff.

10) S. das Nähere bei Gurlt und Lueder, Genfer Conv.

11) Lueder, Genfer Conv., S. 13 Note 21, 34; Gurlt, Neue Beiträge zur Geschichte der internationalen Krankenpflege im Kriege, 1879, S. 4 ff. 12) S. die in Note 6 angegebenen Jahreszahlen.

13) Lueder, Genfer Conv., S. 31 ff.; Moynier, Neutralité des blessés, p. 19 ff., Étude sur la Conv. de Genève, p. 42; Gurlt, Der internationale Schuß, Denkschrift, S. 22 ff.; Derselbe, Neue Beiträge. Auf diese Philanthropen ist zuerst von Moynier (1867) in der Neutralité des blessés auf Grund der vom Genfer internationalen Comité veranstalteten Zusammenstellung, also ursprünglich von Brière, dann von Gurlt in der Denkschrift, von lezterem schließlich in der zulezt erwähnten Schrift in umfänglicherer Weise aufmerksam gemacht worden. 14) Vgl. Lueder, Genfer Conv., S. 9 ff.; Gurlt, Zur Geschichte, S. 3. 15) S. vorige Note; Moynier, Étude, p. 37 ff., 64.

16) Lueder, Genfer Conv., S. 10, 37. Vgl. Gurlt, Zur Geschichte, S. 3,7, auch Löffler, Preuß. Militär-Sanitätswesen, I. S. 47.

17) Mit Recht nimmt Moynier in seinen Schriften diese Verdienste für die Männer des Genfer Comités in Anspruch. Sie sind allgemein anerkannt, z. B. wiederholt in Lueder's Genfer Convention.

18) Auf dieses leztere macht Moynier in seinem „Rothen Kreuz”, S. 40. aufmerksam. Natürlich gilt es nur bezüglich der Völkerrechtsjubjecte, der Staaten, als Vorschrift für deren Handlungsweise. Von Seiten Einzelner sind Verstöße immer möglich, vgl. Note 3, dann aber eben als Verstöße gegen das von ihren Staaten anzuerkennende und anerkannte Kriegsrecht, s. unten folgendes Stück. 19) Vgl. ebenfalls Moynier a. eben angef. D.

29) Im Einzelnen kann das allerdings erst, wie bereits in Note 1 bemerkt ist, im folgenden Stück geschehen.

$ 75.

II. Die Entstehungsgeschichte der Genfer Convention. A. Bis zum 1864er Congreß: Die ersten Anregungen und die erste internationale Genfer Versammlung von 1863.

Literatur: S. die in den Noten zu diesem Paragraphen genannten Quellen und Schriftsteller.

Was die Entstehungsgeschichte dieser Convention selbst anbelangt, so ist dieselbe in Kürze 1) die folgende. Den ersten Anstoß zur Aufrichtung der Genfer Convention hat, wenn auch nur ganz mittelbar, unzweifelhaft der Schweizer Menschenfreund Heinrich Dunant und in weiterer Verfolgung des von ihm gegebenen Anstoßes die Genfer Gemeinnüßige Gesellschaft, insbesondere deren um die humanen Be strebungen der Neuzeit hochverdienter Vorsigender Gustav Moynier gegeben.

Dunant veröffentlichte im Jahre 1862 eine sehr beredte und warme Schilderung 2) der von ihm als Augenzeugen beobachteten entsezlichen Leiden der bei Solferino verwundeten Soldaten, welche Leiden in dem geschilderten und wirklich stattgehabten Umfange nur durch unge= nügende Sanitätsvorrichtungen möglich gewesen waren. Er machte in seiner Veröffentlichung zugleich Vorschläge, durch welche diese sanitären Einrichtungen im Kriege verbessert und die grausamen Leiden der verwundeten Soldaten gemildert werden sollten. Diese Vorschläge richteten sich darauf, daß der Unzulänglichkeit jener Einrichtungen durch die Bildung weitverzweigter freiwilliger Hülfsvereine abgeholfen werden sollte, welche im Falle eines Krieges der Sorge für die verwundeten Soldaten sich zu widmen hätten. Dunant zielte also ursprünglich auf ganz Anderes, als auf das, wodurch später die Genfer Convention dasselbe Ziel zu erreichen suchte, d. h. auf etwas ganz Anderes, als auf eine von ihm nur höchstens nebenbei mit ins Auge gefaßte internationale Unverleßlichkeitserklärung der verwundeten Soldaten und des Sanitätspersonals und der Sanitätsanstalten. Gleichwohl ist sein Souvenir“ ganz unzweifelhaft der erste und einzige Anlaß zur Errichtung der Genfer Convention gewesen, und gewisse Ansprüche Anderer, welche ihrerseits den Anlaß gegeben haben wollen, entbehren jeder Begründung. 3) Der weitere Verlauf war nämlich dieser. Es wurde die, wie bereits erwähnt, unter dem Präsidium von G. Moynier stehende und auch den General Dufour zu ihren Mitgliedern zählende Genfer Gemein. nüßige Gesellschaft durch das Dunant'sche Buch und allein durch das Dunant'sche Buch veranlaßt, in Berathungen und Bemühungen zu treten, um eine Verbesserung des Looses der Kriegsverwundeten auf

Grundlage der Dunant'schen Vorschläge wirklich praktisch herbeizu. führen, insonderheit eine Commission einzuseßen,4) welche die Verfolgung des Zieles in die Hand nehmen sollte. Da nun das Ergebniß dieser Bemühungen schließlich der Abschluß der Genfer Convention gewesen ist, so läßt sich nicht bestreiten, daß allein die Dunant'sche Veröffentlichung den ersten Anlaß zum Erlaß jenes Völkergesezes gegeben hat, wenn auch Dunant's in seiner Veröffentlichung ausgesprochene Gedanken und Vorschläge auf einen anderen Weg zur Erreichung des vorgesteckten Zieles gerichtet gewesen waren, als schließlich eingeschlagen wurde.

Uebrigens bemühte Dunant) sich auch, nachdem die Genfer Gemeinnüßige Gesellschaft die Angelegenheit in die Hand genommen hatte und die Idee der Unverleßlichkeitserklärung der Soldaten und ihrer Pfleger hinzugetreten war, persönlich durch weite Reisen und große Opfer für den Uebergang seiner menschenfreundlichen Ideen in die prak tische Anerkennung und hat auch dadurch Bedeutendes für die Erreichung des Zieles geleistet. 6) Er wußte namentlich die Europäischen Souveräne und sonstige maßgebende Persönlichkeiten, wie den Deutschen Kaiser und die Deutsche Kaiserin, den Kaiser Napoleon und die Kaiserin Eugenie, den König von Belgien, (den jezigen) König von Italien, den König von Sachsen, die Großfürstin Helene Pau. lowna von Rußland, den Preußischen Kriegsminister von Roon, den Französischen Minister des Auswärtigen Drohn de Lhuys, hervor. ragende Militairärzte u. A., 7) sowie auch philanthropische Vereine und Gesellschaften für das Werk, insbesondere für die Beschickung der inzwischen geplanten internationalen Versammlung zur Berathung der zu ergreifenden praktischen Maßregeln zu interessiren. Durch die eins flußreiche Unterstützung dieser und vieler anderen hier nicht ausdrücklich Genannten sind dann die Pläne der Genfer Gesellschaft, welche selbst durch ihre Commission in sehr geschickter Weise thätig gewesen war und Propaganda gemacht hatte, 8) so schnell und glücklich zum Ziele geführt worden.")

Die Genfer Gemeinnüßige Gesellschaft erließ nun durch die eingesette Commission eine Einladung zu einem internationalen Congresse nach Genf an einflußreiche, durch ihre Stellung oder schon bekannte Humanitätsbestrebungen legitimirte Personen der verschiedenen Länder. Als Gegenstand der Berathungen wurde die Verwirklichung der von Dunant ausgesprochenen Wünsche, also die Bildung von Hülfsvereinen, bezeichnet, 10) und zwar durch Herbeiführung einer Vereinigung von Männern verschiedener Länder zum Behuf der Untersuchung, in welchem Maße das menschenfreundliche Werk durchführbar, bzw. auf welche Weise ausführbar sein möchte. Die Einladung fand Dank der vorangegan genen Vorbemühungen Annahme, und der Congreß trat am 23. October 1863 zusammen. 11) Er war beschickt von 36 Vertretern 12) aus fast allen Europäischen Staaten (darunter sämmtliche Großmächte) und berieth unter dem Vorsige von Dufour und Moynier bis zum 29. October

auf Grund eines von der Commission ausgearbeiteten UebereinkommensEntwurfs 13) und eines noch nachträglich hinzugekommenen, von Berlin aus angeregten kurzen Projects.14) Der Uebereinkommensentwurf bezog sich nach der bisherigen Entwickelung natürlich nur auf die freiwillige Verwundetenpflege und die Bildung und Organisation von Hülfsvereinen. Der von Berlin aus angeregte Vorschlag aber trat mit der Unverleg. lichkeitserklärung des Sanitätspersonals hervor, 15) die man in den betreffenden Preußischen Kreisen für das, sollte einmal gebessert werden, eigentlich anzustrebende Ziel hielt und die damit nun neben den von Dunant und der Genfer Gemeinnüßigen Gesellschaft ins Auge gefaßten Zielpunct trat.

Die Versammlung nahm schließlich, nachdem die Unzureichendheit des bisherigen Sanitätswesens allgemein anerkannt worden war, den vorge legten, die Privathülfsthätigkeit betreffenden Uebereinkommensentwurf mit einigen Modificationen an, seßte auch als Erkennungszeichen der für unverleglich zu erklärenden Personen und Gegenstände das rothe Kreuz im weißen Felde fest und entsprach dem von Berlin aus angeregten Projecte, nachdem von hervorragenden Mitgliedern der Versammlung auf die Unverleßlichkeitserklärung als auf das eigentlich zu erreichende Ziel hingewiesen war, 16) insofern, als noch gewisse „Wünsche“ ausgesprochen wurden, darunter der, daß in Kriegszeiten von den kriegführenden Nationen die Neutralisaton" der Ambulanzen und Spitäler ausgesprochen und auch in der vollständigsten Weise auf das officielle Sanitätspersonal, die freiwilligen Helfer, die Einwohner des Landes, welche den Verwundeten Hülfe leisten, und endlich auf die Verwundeten selbst ausgedehnt werde."17) Der auf die Privathülssthätigkeit bezügliche Haupttheil des Angenommenen enthielt die Bildung von Ausschüssen in jedem Lande, welche die Hülfe durch Unterstüßung des Sanitätsdienstes der Heere im Falle eines Krieges in die Hand nehmen sollten. Die Ausschüsse sollten sich mit der Regierung ihres Landes in Verbindung sehen, auf daß seine Dienstanerbietungen eintretenden Falles angenommen würden. Während des Friedens hätten die Ausschüsse die erforderlichen Vorbereitungen durch Verbreitung nationaler Hülfsmittel, durch Ausbildung freiwilliger Krankeupfleger und in jeder sonst möglichen Weise zu treffen. Im Fall des Krieges sollten sie die Hülfe durch die Organisirung der freiwilligen Krankenpflege leisten. Die Ausschüsse und Unterausschüsse (Sectionen) in den einzelnen Ländern sollten in organischem Verbande stehen.

Dieses Ergebniß war erreicht. Es stellte aber nur den ganz unverbindlichen Ausdruck der Versammelten, theilweise ihrer Regierungen dar, und war durchaus kein abgeschlossener internationaler Vertrag, sondern trug vielmehr nur den Charakter eines vereinbarten Entwurfes oder Vorschlages, da die Theilnehmer dieses Congresses entweder ohne allen amtlichen Auftrag, oder wenn auch mit einem solchen, so doch nicht mit der Vollmacht zum Abschluß eines Staatsvertrages erschienen waren. 18)

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