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der Krieg beginnen solle. In beiden Fällen ist der Krieg im rechtlichen Sinne ausgebrochen und der Kriegszustand eingetreten.

Im ersteren Falle ist dieser Zustand gegeben, auch wenn die Abwehr der Gewaltmaßregeln von der anderen Seite noch nicht begonnen hat. Nur wenn eine solche Abwehr überhaupt unterbliebe, würde von einem Kriege nicht gesprochen werden können.) Sonst hat aber der Krieg begonnen,) und es ist damit namentlich auch das Recht der an deren, angegriffenen Seite begründet, ihrerseits das Kriegsrecht als eingetreten zu betrachten und danach zu verfahren.

Die Unanfechtbarkeit dieser Säße muß selbst für den Fall anerkannt werden, daß aus den gleich folgenden Untersuchungen das Bestehen einer völkerrechtlichen Vorschrift, welche eine bestimmte Erklärung für die Kriegseröffnung forderte, sich ergeben sollte, und folglich durch den thatsächlichen Beginn der Feindseligkeiten ohne eine solche Erklärung gegen das Völkerrecht verstoßen wäre. Denn der Krieg ist da, sobald Gewalt zwischen Staaten geübt ist. Diese Thatsache führt den Eintritt des Kriegsrechts und den Anspruch auf dasselbe für beide Theile herbei ;4) gleichgültig, ob der Krieg, sei es materiell, sei es, was hier in Frage kommt, formell gerecht“ oder „ungerecht" ist.")

Die Erklärung hat aber dieselbe Wirkung der Kriegseröffnung deshalb, weil es von dem Willen der die Erklärung abgebenden, in diesem Sinne angreifendem Macht abhängt, den Kriegszustand zwischen ihr und einer anderen Macht zu einem bestimmten Zeitpuncte herbeizu führen, auch wenn das äußere Moment einer militärischen Angriffshandlung noch nicht vorliegt.") Je nach dem Inhalt der Erklärung kann der Kriegszustand sofort oder aber auch, falls dies der Inhalt sein sollte, zu einem späteren Termine eintreten.7)

Es fragt sich aber, ob eine solche Erklärung in irgend einer Form, bezw. in einer bestimmten und in welcher Form völkerrechtlich nöthig ist, um einen formell gerechten Krieg zu begründen und den Kriegsbeginn zu einem rechtlichen zu machen, so daß also das blos thatsächliche Beginnen eines Krieges ohne jede Erklärung eine Verletzung des Völkerrechts darstellen würde.8)

Hierüber und über die Erklärung und Verkündigung des Krieges überhaupt ist deshalb zunächst zu handeln.

1) S. über diese, ihre Form und verschiedenen Arten den folg. Parapraphen. 2) S. oben § 48 und Bluntschli § 528 i. d. Note.

3) Bluntschli 527, 528.

*) S. oben §§ 48, 57 S. 224. So auch der Französische Cassationshof in seiner Entscheidung vom 28. November 1834, worüber zu vgl. Féraud-Giraud p. 26, s. auch ebendaselbst p. 38.

5) Hierauf bezieht sich die bereits oben § 57 Note 7 am Ende erwähnte besondere Eintheilung in legale (guerres légitimes et dans les formes) und illegale Kriege, Vattel III. ch. 4 §§ 66 ff., ch. 12 § 188 ff. S. auch schon Grotius I. ch. 3 § 4. Vgl. dazu Pradier-Fodéré zu Vattelu. Calvo § 1620.

S. das oben in § 59 über den Angriffskrieg Gesagte.

7) Eine solche Terminfixirung kann namentlich in Verbindung mit der bedingten Kriegserklärung, über welche im § 83, vorkommen. Natürlich ist die Gegenseite nicht gehalten, sich an den Termin zu binden, sondern kann nach ihrem Ermessen den Krieg ihrerseits auf dem einen oder anderen der beiden Wege sogleich eröffnen; vgl. unten § 83.

8) Praktisch ja nach dem Gesagten insofern ohne Belang, als Eintreten und Gültigkeit des Kriegsrechts nicht davon abhängt; aber einmal doch nicht unbedingt ohne alle praktische Bedeutung, indem möglicher Weise die Stellung dritter Mächte sich danach richten, bezw. eine Parteinahme derselben daraus hervorgehen kann, und sodann wissenschaftlich und de lega ferenda von Interesse, weshalb auch (f. folgenden Paragraphen) über die Frage lebhaft controvertirt wird,

§ 83.

Die Kriegsverkündung und die Kriegserklärung, und zwar 1. in ihrer geschichtlichen Entwickelung und jezigen. positivrechtlichen Gestaltung.

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Literatur zu diesem und dem folgenden Paragraphen: Brunus, De legationibus III., 8. Cocceius, De clarigatione. Gentilis, De jure belli II., 1. Grotius III., 3. Pufendorf VIII., ch. 6, § 9, N. 1. — Barbeyrac. Heineccius, Elementa II. § 198. Bynkershoek, Quaest. jur. publ. I., 2, mit der Ueberschrift: „ut bellum sit legitimum, indictionem belli non videri necessarium". Feilitzsch, De indictione belli et clarigatione 1754. v. Ompteda § 295 u. v. Kampß § 275.

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Vattel III. ch. 4,

Klüber § 238 f.

Fernere ältere Literatur bei Moser, Beiträge I. 369 ff. und: dazu Pinheiro Ferreira und G. F. v. Martens, Précis II.

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Versuch 18 c. 2. Pradier Fodéré. § 267 und dazu Vergé. - Heffter § 120 und dazu Geffcken. Berner im Deutschen Staatswörterbuch von Bluntschli u. Brater, Bd. VI. S. 104 ff. Bluntschli § 522 ff. v. Bulmerincq bei Marquardjen, § 92 S. 360 oben. v. Holzendorff, Enc. I. S. 1023 (§ 58). § 145 f. F. v. Martens II. § 109. Fiore

§ 1649 ff.

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1272 ff.

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Resch

Calvo III

Wheaton § 297.

Halled I. ch. 17.

Guelle, Précis I. Funck Brentano et

Twiss, War, § 31 ff. Hall, Part. III. ch. I.
Ortolan, Règles II. 1. 3, ch. I. p. 11 ff.
p. 36 ff. und Guerre cont. et 1. pers., p. 25 ff. -
Sorel II., II., I. (p. 241 ff.). Émérigon, Traité des assurances I.
ch. 12, 35, p. 539 ff. Wildman, Institutes of intern. law II., p. 5 ff.
Rolin Jaequemyns in der Revue 1870, p. 656 f. Hautefeuille,
Des droits et des devoirs des nations neutres I., p. tit. 3, sect. 2.
Féraud Giraud in der Revue XVII, S. 19 ff., wo auch noch einige weitere
Literatur angegeben. — Krieg ohne Kriegserklärung, ein Mahuruf, Wien
Domin - Petrushevecz, Précis, Art. 57.

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1885. Field, Outlines 709, 710, 715. — Für das Geschichtliche: Nys, Droit de la guerre, p. 105 ff. Maurice, Hostilities without declaration of war, 1700-1870 (Quarter masters General Department). - Ward, Enqu. II.

Man muß unterscheiden zwischen der eigentlichen oder speciellen Kriegserklärung oder Ankündigung (indictio oder denunciatio belli, déclaration de guerre) und der blosen allgemeinen Kriegsverkündigung.) Die erstere ist die an den Gegner selbst gerichtete Eröffnung, den Krieg mit ihm beginnen zu wollen. Sie kann eine feierliche und an bestimmte Formen gebundene oder eine unfeierliche und formlose sein. Die zweite besteht in einer öffentlichen Erklärung, ganz allgemein oder an die neutralen Staaten oder die eigenen Unterthanen, auch wohl an die des feindlichen Landes, daß der Krieg mit einem dritten Staate begonnen werde. Beide können mit Gründen und näheren Darlegungen, bezw. Rechtfertigungen der Kriegseröffnung2) verbunden sein.

Es liegt nun sehr nahe und scheint dem Rechtsgefühl und ritterlicher Kampfesweise) ebensowohl wie mannigfachen rechtlichen und anderen Interessen) entsprechend zu sein, daß der Uebergang von dem Friedens in den Kriegszustand nicht ohne eine ausdrückliche solenne Verkündung geschieht, insonderheit daß Niemand mit Krieg angegriffen wird, bevor nicht ihm selbst der bevorstehende Angriff loyal und feierlich erklärt wird. Dieser Gedanke muß sich um so lebhafter geltend machen, je mehr Volk und Zeitalter einerseits in feierlichen Formen und Symbolen beim Abschluß wichtiger Geschäfte sich zu bewegen gewohnt sind und andererseits der Publicität und Publicitätsmittel entbehren.

Es ist deshalb sehr erklärlich, daß wir bei den Alten (und ebenso in der Neuzeit auch wohl bei den entlegensten Wildenstämmen, auch wenn sie von völkerrechtlicher oder überhaupt rechtlicher Bildung sonst noch so wenig berührt sind) gerade bezüglich der Kriegserklärung die fest wurzelnde Sitte und den Grundsay finden, daß jedem Kriege und jedem Angriffe auf ein anderes Volk eine klare Kriegserklärung an dasselbe voranzugehen habe, und daß diese Erklärung unter besonders großen Feierlichkeiten abgegeben zu werden pflegte.

Wie feierlich in dieser Beziehung die Römer durch ihre Fetialen. und den pater patratus zu Werke gingen, ist bekannt und im ersten Bande dieses Handbuches dargestellt worden.) Zum Begriff des bellum justum gehörte ihnen die in bestimmter Form nach Versagung einer ebenfalls feierlich geforderten Genugthuung abgegebene Kriegserklärung an den Gegner) (clarigatio). Aber auch bei den Hellenen war eine Kriegserklärung wenigstens die Regel.7)

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Im Mittelalter und bis in die neue Zeit hinein, und zwar vom 12. Jahrhundert an sich verallgemeinernd und vom 14. Jahrhundert als feststehend zu betrachten - findet sich dieselbe Sitte und Ueberzeugung von der Rechtsnothwendigkeit der eigent lichen Kriegserklärung sowohl bei den öffentlichen Kriegen als bei der Privatfehde, so daß die Erklärung nach wie vor als Bedingung des bellum justum in diesem Sinne erschien. Die Privatfehde mußte drei

Tage vorher angesagt werden,) und auch für die öffentlichen Kriege ward von einigen Schriftstellern eine Frist (33 Tage, wohl im Anklang an das Römische Recht) verlangt.")

Die Erklärung geschah in feierlicher Form, wenn auch nicht mit der ganzen gewichtigen Solennität des Römischen Verfahrens, obwohl materiell der Grundsaß des Römischen Rechts durch die Vermittelung des Decrets die Grundlage für die Erklärung gewesen ist 1o) und dann in Deutschland um so williger Eingang gefunden hat, als er mit den kaiserlichen Bestimmungen über die Privatfehde, die also für Anerkennung der Kriegserklärung bei öffentlichen Kriegen von Einfluß gewesen ist, übereinstimmte.11) Sie geschah durch feierliche Schreiben von Souverän zu Souverän12) (diffidatio, lettre oder cartel de défi oder défiance) und später (im 15. und 16. Jahrhundert) durch Waffenherolde, die sich bis in das 17. Jahrhundert erhielten.13)

Von dieser Zeit an aber verlor sich die Sitte der Kriegserklärung, nachdem auch schon früher Nichtbeachtungen vorgekommen und von einzelnen Schriftstellern ebenfalls bereits früher die rechtliche Nothwendig. keit der Kriegserklärung wenigstens für alle Fälle in Zweifel gezogen war;14) und vollends von der Mitte des 18. Jahrhunderts an ist die eigentliche Kriegserklärung als völlig in desuetudo gekommen zu betrachten.15) Sie ist in der neuesten Zeit nicht mehr als nothwendige Vorbedingung eines gerechten Krieges anerkannt, und es sind sehr zahl reiche Kriege geführt worden ohne vorhergegangene Kriegserklärung.16) In anderen Fällen ist zwar, und bis in unsere Tage hinein,17) eine Kriegserklärung erfolgt. Dieselbe ist dann aber lediglich freiwillig, nach freiem Belieben des betreffenden Staates, nicht als völkerrechtlich noth wendig auf Grund einer völkerrechtlichen Verpflichtung abgegeben und kein ohne sie eröffneter Krieg ist deshalb als ein ungerechter be trachtet worden. Von einer feierlichen Form ist auch bei den abgegebenen Erklärungen nicht mehr die Rede gewesen.18)

Dagegen sind in der neuesten Zeit Kriegsverkündigungen in oben ange gebenem Sinne, öffentliche Erklärungen an alle Welt, insonderheit an die nächsten Interessenten, an die eigenen Unterthanen oder das Heer, auch an die Unterthanen des feindlichen Landes, 19) die Neutralen in Noten, Manifesten, 20) Proclamationen durch die Amtsblätter,21) nach Umständen auch Ultimaten22) u. s. w., verbunden mit Abberufung der Gesandten und politischen Agenten, 23) üblich geworden und an Stelle der früheren Kriegserklärung getreten.24) Dieselben sind in den weitaus meisten Fällen erfolgt, in anderen aber auch nicht, so daß in der Neuzeit Kriege geführt sind, ohne daß irgend eine Verkündigung vorher. gegangen wäre. 25)

Von einer bestimmten Form ist bei diesen Kriegsverkündigungen, soweit sie überhaupt stattgehabt haben, nicht die Rede. Es stehen dafür die sämmtlichen Formen des völkerrechtlichen Verkehrs nach Belieben zu Gebote. Dasselbe gilt von etwaigen Gegenmanifesten, die ebenfalls

wohl erlassen worden sind, 26) aber auch nicht erlassen zu werden brauchen.27)

Danach kann für das gegenwärtige positive Kriegsrecht zunächst nicht mehr behauptet werden, daß eine eigentliche Kriegserklärung von Seiten des angreifenden Theils erforderlich sei. Es ist vielmehr der Saß aufzustellen, daß, falls nicht etwa eine vertragsmäßige Verpflichtung zur Erklärung besteht, 28) ein Krieg beginnender Staat zu einer vorherigen Kriegserklärung nicht verpflichtet ist. Dies ist auch angesichts der in den lezten Jahrhunderten eingetretenen völligen Desuetudo von der Doctrin ziemlich allgemein anerkannt29) und als die durchaus herrschende Ansicht zu bezeichnen. Die vereinzelt noch vorkommende Behauptung des Gegentheils 30) ist de lege lata nicht begründet, eine auf das positive Recht gestützte Begründung auch nirgends gegeben. Am wenigsten können deshalb ein bestimmter Modus und bestimmte Formen für diese Erklärung als feststehender Rechtssaß behauptet werden.31)

Diejenigen Schriftsteller, welche überhaupt die rechtliche Nothwendigkeit irgend einer Publication vertreten, erklären deshalb fast einstimmig den Erlaß einer allgemeinen Kriegsverkündung durch Manifeste oder dgl. für genügend;32) und es läßt sich in der That nicht verkennen, daß durch die letteren in unserer Zeit dasselbe erreicht wird, was frühere Zeitalter durch eine feierliche Kriegserklärung zu erreichen suchten.33) Die Umwandlung der früheren, namentlich der besonders förmlichen Kriegserklärung in eine blose Kriegsverkündung in irgend einer Form stellt deshalb eine ganz naturgemäße und entsprechende Entwickelung dar. Insbesondere wird auch bei unseren heutigen Einrichtungen (s. folgenden Paragraphen) der Gegner durch das blose Manifest 2c. vollständig unterrichtet werden. Und ebenso erklärt das Wegfallen auch der lezteren aus den Zuständen der modernen Zeit sich ebenso leicht, wie für die ganz anderen Verhältnisse früherer Zeiten die Nothwendigkeit und feststehende Uebung der Publication erklärlich war.

Es kann nämlich auch nur der Erlaß einer blosen Kriegsverkündung nach dem bestehenden Recht nicht als rechtsnothwendig gefordert werden. Nach eben diesem Rechte ist vielmehr zu behaupten, daß der angreifende Staat dazu nicht verpflichtet ist. Eine völker- und kriegsrechtliche Verpflichtung zu einer Kriegsverkündung besteht so wenig, wie eine solche zu eigentlicher Kriegserklärung.34) Sie fällt vielmehr nach gegenwär tigem Kriegsrecht unter diejenigen Maßregeln, deren Ergreifung beim Ausbruch eines Krieges wohl zu geschehen pflegt, aber nicht zu geschehen braucht, sondern dem Ermessen der einzelnen Staaten zu überlassen ist. Sie mag als gute Sitte gerühmt werden, wie ihre Unterlassung in Kriegen der Neuzeit Tadel gefunden hat;35) aber als eine wirkliche Rechtsverlegung vermag sie und als formell ungerecht vermögen die in der Neuzeit ohne Kriegsverkündung geführten Kriege nicht zu erscheinen.

Als Gesammtergebniß für das z. 3. geltende Recht ist demnach aufzustellen, daß keinerlei Erklärung zum Kriegsbeginn erforderlich ist,

Handbuch des Völkerrechts IV.

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