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§ 87.

Die Wirkungen des Kriegsausbruches auf den Handelsverkehr und den zwischen den Angehörigen der feindlichen Staaten bestehenden Verkehr überhaupt.

Literatur: Bynkershoek L, 3 (auch 10). — Schmalz, Europ. Völkerrecht, S. 224 ff. Wurm in der Tübinger Zeitschrift für Staatswissenschaft, Bb. VII., 1851, S.4283 ff. — Nau, Grundsäße des Völkerrechts, 1802. — Berner im Deutschen Staatswörterbuch VI. S. 106 unten ff. Heffter § 123. - v. Neumann § 43. — Vgl. auch v. Melle in dies. Handb. III. § 48 und die dort Angef. Massé, Droit commercial, t. I. N. 335. Calvo § 1707 ff. Guelle, Précis I. p. 46 ff. und Guerre continentale p. 33 ff. Im Uebrigen ist auf die Literatur des Seekriegsrechts und des Rechts der Neutralen zu verweisen, worauf von den Schriftstellern, Phillimore Ote Manning, Wheaton, Wildman, Hallec u. A., wie zum Theil auch von der hier angef. Literatur, die Untersuchung ausgedehnt, bezw. vor zugsweise erstrect wird. Dasselbe gilt von der sehr zahlreichen Literatur, welche sich bei v. Kampß § 257 (S. 284—303) angeführt findet (v. Omp. teda §§ 279, 282, 319, 321).

Hinsichtlich der Frage, welchen Einfluß der Kriegsausbruch auf den Handel wie sonstigen Verkehr der Angehörigen der in Krieg gerathenen Staaten ausübt oder ausüben kann, ist ebenso wie bei dem Ver tragsrecht, und zwar nach dem Vorgange von Bynkershoek, 1) behauptet worden, daß durch den eintretenden Kriegszustand der Handelsverkehr eo ipso aufhöre und also verboten sei, soweit ihn der betreffende Staat nicht ausnahmsweise gestatte; während eine andere, namentlich von Deutscher Seite vertretene, aber durchaus nicht von allen Deutschen Schriftstellern getheilte Ansicht dahin geht, daß der Handelsverkehr durch den Kriegsausbruch nicht berührt werde, soweit er nicht von den krieg führenden Staaten ausdrücklich untersagt sei.2) Nach der ersten Auffassung, welche die Inhibirung des Handels als das Regelmäßige be trachtet, würden die gleich hervorzuhebenden Folgen eines ohne besondere Gestattung trotzdem geübten Handelsverkehrs den Handeltreibenden treffen auch ohne ein besonderes Verbot; nach der lezten, die fortbestehende Handelsfreiheit als die Regel und die Inhibirung als die Ausnahme betrachtenden Ansicht dürften diese Folgen nur nach ausdrücklichem Verbot eintreten.

Die lettere Ansicht, also das ungestörte Fortbestehen des Handels. verkehrs, soweit er nicht durch ausdrückliches Inhibitorium aufgehoben ist, muß als das Richtige und dem Geiste des modernen Völkerrechts Entsprechende bezeichnet werden. Denn die Handelsfreiheit ist das Ursprüngliche, die Regel und das naturgemäß den einzelnen Menschen

Zukommende. Es entspricht der bestehenden Rechtsordnung, welche durch den Krieg nicht aufgehoben wird (vgl. vorigen Paragraphen). Indem die entgegenstehende Ansicht nur gestügt werden kann und auch nur gestüßt wird auf die Negirung dieser Wahrheiten und die Aufstellung des Gegentheils derselben, ist sie unzutreffend. Sie spricht von einem unzulässigen Handelsverkehr zwischen Feinden, der keine rechtliche Grundlage habe und dem keine rechtliche Folge zukommen könne. 3) Aber die Privaten find keine Feinde. Sie sind auch nicht ohne rechtlichen und gerichtlichen Schuß, entbehren nicht der persona standi in judicio, und Klaglosigkeit der während eines Krieges zwischen Angehörigen der feindlichen Staaten contrahirten Schulden tritt nicht eo ipso ein. 4)

Naturgemäße factische Hinderungen, welche der Krieg mit sich bringt, thatsächliche Unmöglichkeiten der Weiterführung des Handelsverkehrs können natürlich wiederum eintreten. Aber rechtlich besteht der Handel auch nach ausgebrochenem Kriege fort, soweit er nicht durch Inhibitorien ausdrücklich untersagt ist, und es sind, soweit lezteres nicht geschehen, keine besonderen Licenzen nöthig, um die Handeltreibenden gegen Schädigungen zu schüßen. Ebenso verhält es sich mit dem Vertehr überhaupt, der zwar ebenfalls streng überwacht wird, aber nicht eo ipso und ohne besonderes Verbot aufhört, sondern, soweit er nicht durch solches Verbot beschränkt und nicht in etwas den eigenen Staat Gefährdendem und deshalb Unzulässigem, bezw. Strafbarem besteht, fortgeführt werden kann; 5) und für beide, den Handelsverkehr wie den Verkehr überhaupt, trifft die Analogie des für das Verbleiben der Staats. angehörigen im feindlichen Lande Geltenden zu: sie müssen das Land nicht eo ipso verlassen, wenn ihnen nicht das Bleiben ausdrücklich gestattet wird; sondern sie dürfen vielmehr bleiben, wenn sie nicht ausdrücklich ausgewiesen werden.

Dagegen ist der Staat ebenso wie zum Ergreifen der leßterwähnten Maßregel unzweifelhaft berechtigt, Handel und Verkehr nicht nur zu überwachen, sondern auch, soweit er es für die Kriegführung für nöthig oder vortheilhaft hält, zu untersagen. Dies ist schon deshalb unzweifelhaft, weil durch das ungestörte Waltenlassen des Handels die militärischen Operationen direct gestört werden könnten.

Er kann für den Handel wie für den Verkehr überhaupt Inhibi torien erlassen, welcher Ausdruck vorzugsweise in Bezug auf den Handelsverkehr gebraucht zu werden pflegt, und zwar in beliebigem Umfange. Der Handel und Verkehr können ganz, sie können zum Theil für be stimmte Sachen, Beziehungen, Gegenden, Personen) inhibirt werden. Um gekehrt kann der Staat von Inhibitorien befreiende Ausnahmen gestatten, die jog. Licenzen, welche General- und Special-Licenzen sein können.

Die gegen das Inhibitorium Handelnden, seien es Fremde, seien es die eigenen Unterthanen, und nicht durch Licenzen Geschüßten haben. die Consequenzen, Confiscationen der Waaren, ) Strafen u. s. w. zu tragen, ebenso diejenigen, die ertheilte Licenzen mißbrauchen.")]

Im Fall des Eintretens eines Inhibitoriums pflegt wieder eine angemessene Frist für die Abwickelung der laufenden Geschäfte eingeräumt zu werden. 10)

Ebenso kann auch die Klaglosigkeit der während des Krieges zwischen den Angehörigen der feindlichen Staaten eingegangenen Schuldverbindlichkeiten verfügt und die persona standi in judicio entzogen werden, sei es überhaupt, sei es für bestimmte Geschäfte, wie z. B. die Versicherungen feindlicher Güter, die allgemein als unzulässig betrachtet werden. 11)

Indem nun solchergestalt die einzelnen Staaten über Gestattung und Einschränkung des Handelverkehrs im einzelnen Kriegsfalle nach ihrem Ermessen bestimmen, verliert die Eingangs dieses Paragraphen erwähnte Streitfrage über das principielle Fortbestehen oder Aufhören des Handels im Kriegsfalle insofern ihre praktische Bedeutung, als die Staaten auch bei Festhaltung des Grundsages, daß der Krieg den Handel aufhebe, durch die Licenzen die größte Handelsfreiheit gewähren und umgekehrt bei principiellem Festhalten an dem entgegengesezten Grundsage durch Inhibitorien die Handelsfreiheit aufs Aeußerste einschränken können. 12) Dementsprechend ist auch in der Praxis verfahren worden, indem die kriegführenden Staaten nach der befreienden oder beschränkenden Seite hin Bestimmungen erlassen haben. 13) Eben deshalb, d. h. wegen des den Ausschlag gebenden freien Bestimmungsrechtes der einzelnen Staaten ist die ganze Frage auch zunächst und in erster Linie nur eine innerstaat liche, 14) die im einzelnen Kriegsfalle durch die staatliche, gesetzliche oder für den einzelnen Fall gegebene besondere Bestimmung vollständig entschieden wird. Eine allgemeine positive völkerrechtliche Entscheidung der für die möglicher Weise übrig bleibenden, d. h. durch staatliche Bestimmung nicht entschiedenen Fälle kann allerdings durch jene innerstaatlichen Quellen um so weniger gegeben werden, als sie Verschiedenes bestimmen. 15)

Uebrigens gehört die ganze Lehre zum guten Theil wieder in das Seekriegsrecht, 16) zum Theil in die Neutralität und ist deshalb hier nur in den allgemeinen Säßen berührt worden. 17)

1) A. a. D. die viel citirten Worte: „,quamvis autem nulla specialis sit commerciorum prohibitio ipso tamen jure belli commercia sunt vetita". Vgl. dazu Note 12.

2) Für die erstere Ansicht namentlich Geffcken, Wurm, Wheaton, Manning, Wildman, Guelle, auch wohl Calvo § 1708; für die andere Schmalz 225, Heffter, Nau, Völkerrecht, § 263. S. auch Bluntschli § 538, N. 3, S. 303; sodann Pinheiro-Ferreira zu Martens. Vgl. Fiore III. p. 98. Die schwierige Frage ist sehr controvers, und von einer Uebereinstimmung, die Guelle, Précis p. 47, sowohl für die Doctrin wie für die Praxis behaupten zu wollen scheint, kann weder in der einen noch in der anderen Beziehung (über lettere gleich weiter unten im Text) die Rede sein.

3) Vgl. die Aufstellungen Geffcken's zu der angef. Stelle bei Heffter N. 5. *) So auf Grund des neueren Völkerrechtes Berner S. 109, Heffter § 122

a. E., Oppenheim S. 282. A. M. Geffcken a. eben angef. D., Wheaton, Bhillimore und die praktische Englische Jurisprudenz.

5) Auch der Post., Eisenbahn- und Telegraphenverkehr pflegt heutzutage nicht aufgehoben zu werden, ebenso der Briefwechsel; aber nach Umständen beschränkt und jedenfalls überwacht (vgl. schon hier die Abhandlung von Stein, Le droit international des chemins de fer en cas de guerre i. d. Revue XVII. p. 332 ff., namentlich a. E., vgl. mit Field, Outlines 914). Speciell über den Postverkehr Wurm a. a. D., S. 296 ff.

6) 3. B. Pferdeausfuhrverbote, Verbote der Ausfuhr von Kriegsmaterial, Lebensmitteln 2c.

7) S. über dieselben Heffter a. a. D. und die dort in Note 4 Angef. Calvo § 1725, Guelle, Précis p. 49 f., und Guerre cont. p. 34. Geßner i. dies. Handb. III. S. 28.

9) Calvo § 1709 und die dort Angef.

9) Calvo § 1750.

10) Vgl. z. B. Calvo § 1712 und Guelle, Pr. p. 49, und Guerre cont. p. 34. Näheres im Seekriegsrecht.

11) S. Geffcen zu Heffter § 123, S. 255 und die auf S. 256 Nr. 3 anges. Steck, Wurm, Phillimore, G. F. v. Martens, Précis § 269, und die dort Angef.

19) Sehr richtig bemerkt und ausgeführt von Berner S. 108 f. und dann wiederholt von Resch § 150. Damit vereinigt sich im Grunde dann auch die Meinung Bynkershoek's, der zwar die Gestattung des Handels principiell als Ausnahme betrachtet, aber ein so häufiges Vorkommen der Ausnahme constatirt, daß dadurch die Regel fast ganz aufgehoben werde.

13 Vgl. darüber Wurm a. a. O. Früher war das inhibitorische Verfahren allgemein üblich (s. Pufendorf), obgleich es auch für die entgegengesezte Uebung nicht an Beispielen fehlt (so 1675 im Kriege zwischen den Generalstaaten und Schweden). Manche (aber durchaus nicht alle) Länder, England, Nord-Amerika, Frankreich, Holland, Spanien, betrachten, theilweise auf Grund geseßlicher Fixirung, den Handel als durch den Kriegsausbruch eo ipso aufgehoben, mildern diesen Grundsaß aber durch Licenzen, auch diejenigen, die eine besonders strenge Praxis zu üben pflegen, England, Nord-Amerika, Frankreich, vgl. Wurm a. a. D. S. 285, Calvo § 1708, Heffter a. a. D. S. 257 Note 6 und die dort Angef., wie die jonstigen Englischen Schriftsteller. Im Jahre 1860 haben aber gerade England und Frankreich beim Ausbruch des Krieges gegen China die Fortseßung des Handelsverkehrs gestattet.

14) Schon von Oke Manning, Commentaries of the law of nations p. 123, bemerkt, dann Berner S. 109, Heffter N. 6 und die dort Angef. Der einzelne Staat wird natürlich seine Interessen im Auge haben und dabei nicht übersehen, daß diese durch eine Unterdrückung des Handels, namentlich in unserer Zeit, ebenso geschädigt werden können, wie die des feindlichen Staates, was zu milderer Praxis führen wird; Schmalz S. 225.

15) S. Note 12 und Berner S. 109.

18) Dort auch die weitere, namentlich die Englische und Amerikanische Literatur (vgl. die allgemeine Literaturangabe vor diesem Paragraphen).

17) Neber die Seitens des Bundesgenossen gegen den anderen Bundesgenossen bezüglich des Erlasses von Inhibitorien zustehenden Rechte s. Heffter

(mit richtigem Hinweis auf die auch hier strengere Ansicht von Bynkershoek und Wurm, sowie von Wheaton) § 123 a. E. und Note 7 das. und dazu, bezw. dagegen Geffcen a. leßt. D., 1. auch Calvo § 1710. Aber diese Frage gehört wieder in die internen Beziehungen der Verbündeten (s. oben § 63) und deshalb ebenfalls nicht hierher.

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Unter Kriegsfeld oder Kriegsschauplag (auch Kriegsbereich oder Kriegsraum1) oder auch Kriegsgebiet) ist im gewöhnlichen Sinne derjenige Theil der Erdoberfläche zu verstehen, auf welchem factisch gekriegt wird. Das ist in der Regel der Natur der Dinge nach — außer dem offenem Meere das (Land- und See) Gebiet der krieg führenden Mächte. Aber auch anderes, neutrales Gebiet muß in jenem gewöhnlichen Sinne Kriegsfeld genannt werden, sobald factisch Krieg auf ihm geführt wird.

Im rechtlichen und engeren Sinne mit der Bedeutung, daß es zum Schauplatz des Krieges gemacht werden darf und der kriegs. rechtlichen Behandlung untersteht, ist dagegen Kriegsfeld nur das Gebiet der Kriegführenden, dazu das offene Meer. Denn nur das Gebiet der Kriegführenden bildet rechtlich den Gegenstand des Angriffes und der kriegsrechtlichen Behandlung, d. i. der Duldung der durch den Krieg herbeigeführten Nachtheile, Lasten, Leiden und Gefahren. Das offene Meer gehört aber dazu, weil es für die beliebige Benuzung Aller frei ist, und deshalb so weit, als diese Freiheit nicht gewissen Be schränkungen bezüglich der Kriegführung im Interesse des Handels unterliegt, auch zur Benuzung als Kriegsfeld Allen offen steht. Dagegen ist alles andere occupirte Territorium, also das Gebiet dritter, neutraler Staaten kein Kriegsfeld. 3) Es ist vielmehr der Kriegführung entzogen und gegen dieselbe durchaus geschützt, 4) soweit wirklich strenge Neutralität beobachtet wird.

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