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11) Vgl. F. v. Martens, Völkerrecht II., § 112, S. 497 und die dort anges. Historiker. Von Deutschen Heerführern (s. v. Hartmann S. 81) wird bezeugt, daß die vielen Franc-Tireurs im 1870/71er Kriege viel weniger gefährlich als lästig und unbequem gewesen seien. Guelle citirt freilich einen Französischen Schriftsteller, der meint, die Deutschen Truppen hätten sich vor den Franc-Tireurs gefürchtet!

12) Vgl. Rolin-Jaequemyns in der Revue 1871 p. 310, den dort angef Arnold und Raßenhofer, Die Staatswehr S. 263, auch Fiore 1308.

Zweites Kapitel.

Die Ausübung der kriegerischen Gewalt und die Mittel der Kriegführung, und zwar die eigentlichen Kriegsschädigungsmittel und ihre Begrenzung.

§ 95.

Die Mittel der Kriegführung im Allgemeinen.

Unter Mitteln der Kriegführung sind im Allgemeinen und im weitesten Sinne alle die Maßregeln zu verstehen, die auf Grund des Ausnahmezustandes des Krieges in und zu dessen Führung von einem Staate gegen den anderen und dessen Angehörige, Sachen und Territorium vorgenommen werden. Im engeren und nächsten Sinne versteht man aber darunter die unmittelbar auf die zwangsweise Unterwerfung und Hinwegräumung der gegenüberstehenden Kriegsgewalt, der feindlichen Angriffs- und Vertheidigungsmittel gerichteten Maßnahmen. Diese, die eigentlichen Kriegsschädigungsmittel,1) kommen regelmäßig und im vollen Umfange nur gegen die feindlichen Combattanten und die der Kriegführung dienenden Sachen, wie z. B. Festungen, zur Anwendung und sind, eben weil sie die natürlichen und nächstliegenden Mittel der Kriegführung sind und der lezteren unmittelbar dienen, zuerst zu besprechen.

Diese Mittel sind dieselben, durch welche ein gegenüberstehender Wille überhaupt gezwungen werden kann: Gewalt und Täuschung.

Beide, Gewalt und Täuschung oder List, stehen deshalb als die natürlichen Zwangsmittel dem Kriegführenden zu Gebote, unterliegen aber nach gegenwärtigem Kriegsrecht gewissen Beschränkungen. Hinsichtlich der Gewaltmittel ergeben deren Anwendbarkeit einer und Schranke und Grenze andererseits sich namentlich aus dem festgestellten Grundsaße, daß Alles geschehen darf, was der Kriegszweck erfordert, aber auch nur dieses,

nicht mehr. Daraus folgt einmal die Beantwortung von Fragen wie die, ob die feindliche Macht und Stärke nur unschädlich gemacht oder „paralyfirt“ 2) oder aber auch vernichtet werden dürfe, und ob die Gewaltmaßregeln sich nur gegen die gegnerische Streitmacht oder auch gegen sonstige Hülfsmittel, Einrichtungen und Interessen des feindlichen Staates3) richten dürfen, sowie die Gültigkeit des auch in dieser Beziehung fest. stehenden Sazes, daß humanitäre Ansprüche, also Schonung von Gütern und Menschenleben nicht in Frage kommen können, soweit der Kriegs. zweck das Gegentheil verlangt. Andererseits folgt aber, daß jede unnöthige, vom Kriegszweck nicht geforderte Gewalt und Schädigung (Tödtung, Verlegung, Schmerzenszufügung, Zerstörung) verboten, ja, daß pofitive Linderung unvermeidlicher Leidenszufügung gestattet und geboten ist.

Außerdem gilt, und zwar namentlich bezüglich der List und Täuschungsmittel, der ebenfalls bereits hervorgehobene allgemeine Saz, daß die Gebote der Religion, Civilisation und Ehre dem Erlaubten und Zulässigen eine Grenze sezen; und insbesondere sind gewisse Kampfmittel wie z. B. der Meuchelmord und andere im folgenden Paragraphen zu erwähnende, seit ein Kriegsrecht sich entwickelt, bezw. sich zu ent wickeln angefangen hat, als gegen die militärische Ehre und ehrenhafter Weise zulässige Kampfesweise gehend, für unzulässig gehalten worden.4)

Naturgemäß im Vordergrunde stehen, weil vorzugsweise zur Anwendung kommend die Gewaltmittel und von ihnen wieder die gegen die combattirenden Personen, die feindliche Heeresmacht sich richtenden. Von diesen ist demnach zuerst zu handeln und insbesondere nach der bezüglich ihrer vom modernen Völkerrecht errichteten Schranke, bezw. der positiven Fürsorge für die feindlichen Combattanten zu fragen.

1) Sie sind hier zu behandeln, während andere, die zwar auch als Kriegsmittel im weiteren Sinne erscheinen können, aber zugleich und vorwiegend vom Standpunct des Verhältnisses der Kriegsgewalt zu den nichtcombattirenden Personen des feindlichen Landes u. s. w. aufzufassen sind, an den darauf bezüglichen Stellen der Darstellung erwähnt werden werden.

Pinheiro Ferreira zu Martens § 263.

*) Graf Moltke sagt in dem oben mehrerwähnten Briefwechsel mit Bluntschli gegen die Petersburger Convention, welche als le seul but légitime der Kriegführung l'affaiblissement des forces militaires bezeichnet, aus- und nachdrücklich, daß im Gegentheil alle Hülfsquellen, die Finanzen, die Eisenbahnen, die Lebensmittel, ja, selbst das Prestige der feindlichen Regierung angegriffen werden müssen.

*) Dies wird verkannt und nicht zugegeben allein von Bynkershoek, Quaest. jur. publ. I. c. 1, während sonst auch schon die gesammte ältere Doctrin gewisse Kriegsmittel-Verbote anerkennt. Die Bynkershoek'sche Meinung ist deshalb allgemein abgewiesen worden (vgl. von Neueren z. B. v. Mohl, Staatsrecht, Politik und Völkerrecht, I. S. 768 Note 1, und Fiore, Trattato 1320 in der Note), und mit Recht, obwohl der Grundgedanke, von dem Bynkershoek ausgeht, an und für sich ganz richtig ist.

$ 96.

Die Gewaltmittel gegen die feindlichen Combattanten und die erlaubten und unerlaubten Vernichtungsmittel im Besonderen.

244.

Klüber § 243,

Literatur: Grotius III. ch. 4. Vattel III. ch. 8.
Berner im Deutschen Staatswörterbuch, 6. Bd. S. 111 ff.
R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik I. S. 765 ff.
§§ 125, 126. Bluntschli, Völkerr., 557 ff.
Halled ch. 18. Fiore 1317 ff.

Heffter

Die

Brüsseler

v. Neumann § 45. Guelle, Guerre cont. et 1. pers., p. 56 ff., und Précis I. p. 91 ff. Field, Outlines 754 ff. Amerikanischen Kriegsartikel an verschiedenen Stellen. Erklärung Art. 12,13. Manuel des Völkerrechtsinstituts 4. 8a, 9. Lentner S. 80 ff. Vgl. auch die weitere in diesem und dem folgenden Kapitel genannte Literatur, soweit sie sich auf die Gewaltmittel gegen die Person bezieht, speciell bezüglich des lezten Deutsch-Französischen Krieges die Abhandlungen von Bluntschli, Rolin, Jaequemyns, Dahn in den § 77 Note 9 angef. Zeitschriften.

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Die Beseitigung des der Kriegsmacht und dem Kriegszwecke sich entgegenstellenden Haupthindernisses, des feindlichen Kriegsheeres, kann auf zweifachem Wege geschehen, entweder durch Vernichtung und die körperliche Integrität der Personen aufhebende Schwächung, Tödtung und Verwundung der lezteren oder so, daß es, körperlich intact bleibend, an der Führung des Kampfes gehindert wird, also durch Gefangennahme.

Was den ersten dieser Wege anbetrifft, der bei der Natur des Krieges als der regelmäßige und beim Einander-Gegenübertreten von Heerestheilen als der principaliter in Betracht kommende erscheint, so gilt bezüglich seiner die unbestrittene und selbstverständliche Regel, daß den feindlichen Kämpfern gegenüber das Tödtungs- und Vernichtungsrecht der Kriegsgewalt und ihrer Organe besteht.

Hinsichtlich der Personen giebt es von dieser Regel keine Ausnahmen: alle thatsächlich (berechtigt oder unberechtigt) combattirend Gegen überstehenden1) unterliegen ihr als sich gewaltsam widerseßende und gewaltsam hinwegzuräumende Organe, auch die Souveräne und ihre Angehörigen, soweit sie sich am Kampfe betheiligen, obgleich man bezüglich der ersteren in der modernen Zeit wohl gewisse Rücksichten nimmt.2)

Bezüglich der zur Anwendung kommenden Mittel muß gesagt werden, daß auch die schärfsten, insonderheit die vollendetsten und gefährlichsten der modernen Technik, einschließlich der massenhaft tödtendens) gestattet sind. Denn sie sind als die dem Zwecke am wirksamsten dienenden feine unnöthig grausamen, sondern nothwendige Waffen und können, einmal vorhanden und zur Verfügung der Kriegführenden stehend, natur.

gemäß so wenig von der Benutzung ausgeschlossen) werden, wie in früherer Zeit die Wurfgeschosse überhaupt, deren Anwendung gegen Christen Innocenz III. vergeblich verbot.5) Wohl aber sind gewisse Ausnahmen und Schranken im gegenwärtigen Völkerrecht) anerkannt, theils in der Richtung, daß die Vernichtungs- und überhaupt schwereren Gewaltmittel nicht zur Anwendung kommen dürfen, wenn mildere zur Erreichung desselben Zweckes genügen; theils so, daß gewisse, unnöthige Leiden herbeiführende Kampfmittel, wenn sie auch an sich geeignete Ver. nichtungsmittel sind, nicht gebraucht werden dürfen.

Beides folgt aus dem Grundsaße, daß nur das zur Erreichung des Kriegszweckes Nöthige geschehen darf und jede darüber hinausgehende Schädigung unzulässig ist.

Deshalb ist jede nicht mehr nöthige Tödtung des bereits kampfunfähig Gewordenen, z. B. des Verwundeten, ebenso unbedingt verboten, wie die Verwundung, Marter, Mißhandlung welcher Art auch des nicht mehr kämpfenden feindlichen Kriegers und jede Grausamkeit und unnöthige Tödtung, wie z. B. der Gefangenen, überhaupt.) Ja, sogar auch nur die gleichgültige und ignorirende Behandlung der feindlichen Verwundeten und Gefangenen untersagt das geltende Kriegsrecht, indem es in consequenter Weiterbildung des Grundgedankens sogar zu einem posi tiven Schuß der feindlichen, nicht mehr kämpfenden Krieger gekommen ist. Verboten ist deshalb namentlich das Ueber-die-Klinge-springen-lassen der in feindliche Gewalt gefallenen Soldaten, sowie das Nicht-Pardon- oder Nicht-Quartier-Geben, falls es nicht als Repressalie nöthig wird. Es muß vielmehr den sich Ergebenden Pardon gegeben und das mildere Mittel der Gefangennahme angewandt werden, wo es hinreicht, d. h. Widerstand und Widerstandsmöglichkeit aufhebt, also den Zweck erfüllt.

Sodann sind gewisse Waffen und Vernichtungsmittel verboten, so namentlich das Mittel des Giftes, und zwar sowohl die Vergiftung von Einzelnen als auch von Massen, sowohl die Verbreitung von Giftstoffen, 3. B. von Brunnen und gleichfalls von Ansteckungen,) als auch der Gebrauch vergifteter Waffen.) Desgleichen sind Waffen verboten, die unnüze Schmerzen bereiten und zu unmenschlichen Grausamkeiten führen, wie z. B. das Schießen mit Glas oder gehacktem Blei und dergleichen, 10) auch das Benußen von Bluthunden und sonstigen Bestien, 11) während die Vernichtungswerkzeuge der modernen Kriegstechnik, obwohl sie, wie Granatsplitter u. dgl., entseßliche Wunden und Schmerzen bereiten, aus dem angegebenen Grunde nicht untersagt werden können.

Freilich sind gerade wegen der Fortschritte der modernen Kriegstechnik und der Vollendung der gegenwärtig üblichen Vernichtungswerkzeuge die meisten der vom früheren Recht verbotenen Waffen überhaupt nicht mehr praktisch, indem die im Besiz weit wirksamerer Mittel befind liche Kriegführung ihrer nicht mehr bedarf. Die Verbote sind deshalb überflüssig und antiquirt, so daß sie aus den Völkerrechtssystemen mehr als bisher verschwinden könnten, wie die meist noch angeführten Ketten

kugeln, Stangenkugeln (boulets à chaine und à bras), glühenden Kugeln, Pechkränze oder gar Pfeile mit Widerhaken 2c.12)

Dagegen haben die Fortschritte der modernen Kriegstechnik andererseits zu dem Verbot einer bestimmten Waffe im gegenwärtigen positiven Völkerrecht geführt, und zwar durch den oben 13) angeführten Vertrag der Petersburger Convention vom Jahre 1868. Durch diese Convention ist der Gebrauch von Sprenggeschossen aus kleinem Kaliber, nämlich von weniger als 400 Gramm, untersagt worden,14) nachdem ein weiter gehendes Verbot grausamer Kampfmittel nicht durchzusetzen. gewesen war, 15) also nur auf Flintenkugeln, nicht auf artilleristische Geschosse, wie Granaten und Shrapnels, bezüglich.

Immer aber und für den Gebrauch sämmtlicher erlaubter Waffen und Vernichtungsmittel ist die Voraussetzung der in diesem Sinne offene und kriegsmäßige Gebrauch, so daß der Mord und das Dingen von Mördern unzulässig sind.16) Auch das Sezen eines Preises auf den Kopf eines feindlichen Kriegsmannes ist, soweit es sich nicht um offenen Kampf handelt, gegen das Völkerrecht; ebenso das Aechten und für vogelfrei Erklären.17)

Die gegen eins der hier besprochenen Verbote handelnden Einzelnen sind von ihrem Staate zur Verantwortung und Bestrafung zu ziehen. In die Gewalt des Feindes gerathen, verfallen sie kriegsrechtlicher Ahndung, bezw. Repressalien.

Daß die letteren gestattet sind, ist bereits oben 18) bemerkt worden. Wie sie im Allgemeinen überhaupt zulässig sind, sind sie es auch in der hier in Betracht kommenden Beziehung und können also ein Abweichen von den hier behandelten Verboten gewisser Kriegsmittel be gründen. Allein Recht und Sitte schreiben auch hier eine gewisse Beschränkung vor. Insbesondere sollen Repressalien in der hier interessirenden Beziehung nicht geübt werden, wenn es sich nur um eine von der Gegen seite selbst nicht gebilligte und wieder gut gemachte Ueberschreitung (z. B. Einzelner) handelt, und soll zwischen der Schwere der Ueber schreitung und der der Repressalien ein gewisses Verhältniß obwalten.19)

1) Die unberechtigt am Kampfe theilnehmenden Personen unterliegen ja aller. dings noch weiteren kriegsrechtlichen Folgen, vollends aber und desto gewisser denselben wie die berechtigten Combattanten.

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2) Anders in der alten Zeit, wo die Tödtung des Königs eine besonders löbliche Kriegsthat war, vgl. Vattel III. ch. 8 § 159. Nach der Sitte der neueren Zeit wird aber wohl Schonung der Souveräne geübt und dementsprechend namentlich gelehrt, daß nicht absichtlich Geschosse auf sie gerichtet werden dürfen, j. Klüber § 245, Heffter § 126, III. Weiter geht Domin Petrushevecz in seinem Vorschlage Art. 119. Vgl. Vattel a. a. D. Uebrigens vgl. hinsichtlich der Stellung der Souveräne im Kriege unten in der Lehre von der Kriegsgefangenschaft. 3) Vgl. Bluntschli, Völkerr. 560. Auch Tödtungen durch Minen und Sprengungen in die Luft sind nicht ausgeschlossen. Die entgegengesezte Behaup tung Fiore's 1320 und die Vergé's (zu Martens § 273) und Calvo's 1830,

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