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§ 103.

Das äußere Zeichen der Unverleglichkeit.

Literatur: Genfer Convention Art. 7. Manuel des Völkerrechtsinstituts 17, 40.

Diejenigen Personen und Sachen, welche im Kriege geschüßt und unverleßlich sein sollen, müssen als solche durch ein bestimmtes Unterscheidungszeichen kenntlich gemacht werden. Dieses Zeichen ist zufolge der Bestimmung der Genfer Convention das rothe Kreuz im weißen Felde, d. i., wie nach dem Ursprung des Ganzen in der Schweiz und Genf erklärlich, das Schweizer Wappen unter Umkehrung der Farben.

Wenn nun denjenigen Personen und Gegenständen, welche dieses Zeichen tragen (die Personen als Armbinde, Häuser und sonstige Dert lichkeiten als Fahne, Wagen und Schiffe1) in Gestalt eines Anstrichs), damit der besondere Schuß nach Maßgabe des Vorstehenden und auf Grund ihres besonderen Zweckes wirklich zu Theil werden soll, so ist Zweierlei erforderlich. Einmal ist für eine hinlängliche Deutlichkeit und Erkennbarkeit des Zeichens Sorge zu tragen, indem es ohne das zu unabsichtlicher Nichtgewährung des Schußes, 3. B. zum Richten des Geschosses auf die schußbefohlene Person oder Stelle kommen kann, und solche unabsichtliche Verlegungen der lezteren in den nach Errichtung der Genfer Convention geführten Kriegen in der That mehrfach vorge kommen sind. Es muß deshalb namentlich die rothgekreuzte Fahne groß genug sein, um nicht gegen die neben ihr aufzuziehende Nationalflagge zu verschwinden,2) die Schiffe müssen Nachts Laternen mit bestimmtem Lichte führen, und die Personen sind ebenfalls deutlich und in leicht bemerkbarer Weise kenntlich zu machen.")

Sodann kommt es darauf an, daß das Zeichen nur von solchen Personen gebraucht und nur an solchen Sachen angebracht wird, denen es kraft ihrer besonderen Stellung und ihres eigenthümlichen Zweckes auch wirklich zukommt. Denn wenn hierfür nicht strenge Sorge getragen wird, so würde die Kriegspartei genöthigt, sich auch da Schranken und Zurückhaltung aufzuerlegen, wo dazu gar keine Verpflichtung besteht, bezw. verhindert, berechtigte Gewaltmittel zur Anwendung zu bringen. Sie würde also in unerlaubter Weise getäuscht werden und, einer solchen Täuschung einmal inne geworden, das schüßende Zeichen schwerlich noch weiter respectiren. Redlichkeit und Vertragstreue sowohl, als auch die Gefahr, die ganze Genfer Convention illusorisch zu machen, fordern deshalb gebieterisch die strengste Sorge für die Vermeidung einer unbe rechtigt mißbräuchlichen Verwendung des Zeichens, und zwar um so mehr, als Mißbrauchungen (um die Vortheile der Unverleglichkeit und sonstiger Bevorzugung zu erlangen) sehr nahe liegen und deshalb auch in den

dem Abschluß der Genfer Convention zunächst folgenden Kriegen außer ordentlich häufig vorgekommen sind.4)

Es sind deshalb Maßregeln zu treffen, durch welche solchen Miß. bräuchen vorgebeugt3) und zugleich der gegenüberstehenden Seite die größt mögliche Sicherheit gegeben wird, sich zu überzeugen, daß das Zeichen mit Recht getragen und der durch dasselbe gewährleistete Schuß nicht von Unberechtigten in Anspruch genommen wird. Diesem Zwecke würde namentlich dadurch gedient werden können, daß das Zeichen nur regierungsseitig verabfolgt wird, daß es zur Garantie seiner Echtheit mit einem Stempel versehen sein muß und nur unter Controle der Regierung und von ihr oder einer regierungsseitig autorisirten Person ertheilt werden darf, und daß außerdem die betreffenden Personen und Anstalten eine schriftliche Legitimation und eine die Identität bescheinigende Urkunde bei sich führen müssen, 6) so daß nur diejenigen Personen und Sachen, die allen diesen Bedingungen genügen, den Anspruch auf Schuß haben. Bis jezt bestehen aber solche nähere Vorschriften als internationale und völkerrechtlich verbindliche nicht. Es ist lediglich der Umsicht der kriegführenden Staaten und ihrer Organe überlassen, bona fide die Sorge dafür im Auge zu haben, daß kein mißbräuchliches Führen des Zeichens durch Unberechtigte stattfindet: die gegenüberstehende Macht aber braucht das von ihr als unberechtigt erkannte Tragen des Zeichens natürlich nicht zu respectiren.

Uebrigens ist die Anbringung des Zeichens nicht auf die von der Genfer Convention ausdrücklich genannten Sachen (hôpitaux, ambulances und évacuations) beschränkt, sondern kann nach dem Geiste und der ratio legis des Gesetzes auch an anderen Gegenständen, wie z. B. an Wagen, welche Sanitätspersonal befördern, angebracht werden, ohne daß darin ein Mißbrauch des Zeichens zu erkennen wäre.)

Eine Schwierigkeit hat sich aus der zum Zeichen gewählten Form des Kreuzes ergeben, nachdem der Genfer Convention kreuzfeindliche, d. i. nichtchristliche Staaten beigetreten sind. Nachdem namentlich die Türkei, deren Truppen das Kreuz anstößig war, demselben den Halb. mond substituirt hatte, mußte die Frage entstehen, ob diese einseitige Aenderung der in Genf getroffenen, ein signe (drapeau) uniforme fest. sezenden Vereinbarung anzuerkennen und der rothe Halbmond ebenso zu respectiren sei wie das rothe Kreuz. Im Russisch-Türkischen Kriege hat die Frage eine praktische Lösung dadurch gefunden, daß die Russische Regierung die ebenmäßige Respectirung des Halbmonds decretirte.") Eine gesegliche, die Frage principiell und definitiv regelnde, nur durch die Uebereinstimmung der Conventionsmächte mögliche Entscheidung ist bis jezt aber nicht erfolgt; und gesetzlich besteht allein das uniforme rothe Kreuz. Doch dürfte wenigstens die Gestattung einer solchen durch die Umstände nöthig gemachten Aenderung des äußeren Zeichens auf Wunsch einer Kriegsvartei im Interesse der Sache, auf die es ankommt, des Verwundetenichuzes, auszusprechen sein. Freilich bleibt auch dann immer

noch die Schwierigkeit, daß die Truppen, denen das Kreuz anstößig ist, es bei dem Gegner respectiren;9) und es ist deshalb der Gedanke angeregt worden, das Zeichen überhaupt zu ändern und durch ein anderes, z. B. einen Stern, zu ersehen, welches nicht zugleich eine religiöse oder nationale Bedeutung hat.10) Doch ist die verbleibende Schwierigkeit eine geringere und kann eher durch einseitige Maßregeln der einzelnen Staaten beseitigt werden.

1) Lueder schlägt (Genfer Conv. S. 444) bezüglich der Schiffe vor: „Das durch dieselben Maßnahmen wie im Landkriege zu legitimirende Abzeichen ist die (bei größeren Fahrzeugen am Hauptmast aufzuziehende) weiße Fahne mit rothem Kreuz, neben welcher die Nationalflagge (bei größeren Fahrzeugen am Stern) aufzuhissen ist, Nachts ein rothes Licht unter einem weißen. Auch müssen die Schiffe einen weißen Anstrich mit rother Batterie tragen und ihre Hülfsmannschaft die weiße Armbinde mit rothem Kreuz, die militärischen Hospitalschiffe weißen Anstrich mit grüner Batterie." Vgl. die die Marine betreffenden Additional. Artikel von 1868, Art. 12. Für die auf dem Festlande gelegenen Anstalten würde sich zur Nachtzeit eine Laterne mit rothem Kreuz auf den Gläsern empfehlen, vgl. Guelle, Précis I., p. 156 in der Note.

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2) Vgl. Bluntschli, Völkerrecht, 592 N. 1; Moynier, Conv. pend. la guerre franco-allemande p. 26. Ob es richtig, daß die Nationalflagge überhaupt neben der des Rothen Kreuzes aufgezogen werden muß, wie die Genfer Convention vorschreibt, ist bestritten. Vgl. auch die Brüsseler Verhandlungen in den Actes de la Conf. de Bruxelles, p. 23 unten, 24.

3) Es ist deshalb eine besondere, von der der Combattanten möglichst ab stechende Uniform wünschenswerth, wie ich schon in meiner Genfer Convention S. 388 vorgeschlagen habe und von Anderen, z. B. von Guelle, Précis I., p. 156 i. d. Note, gebilligt worden ist. Andere Vorschläge s. bei Corval S. 10, Dr. v. C. S. 23, Bluntschli a. a. D. Auch das Tragen des Zeichens in Friedenszeiten ist, um es in allgemeiner Bekanntschaft zu festigen und zu erhalten, vorgeschlagen worden vom Genfer internationalen Comité und von Moynier, Étude, p. 238 f., vgl. Bulletin international 1875, p. 59, und Lueder, Genfer Conv., S. 389.

4) S. oben § 77 und die dort Note 9 angeführte Literatur. Auch im Frieden wird das Rothe Kreuz zu marktschreierischen und derartigen Zwecken viel miß bräuchlich geführt, worüber von den Rothen-Kreuz-Vereinen geklagt und auch 1887 auf der in Stuttgart abgehaltenen internationalen Versammlung dieser Vereine verhandelt worden ist. Das ist aber ein Internum der Rothen-Kreuz-Vereine (1. oben § 75 Note 9), das sich auf den Schuß von deren Zeichen im Frieden bezieht, und hier nicht zu erörtern.

5) Vor Allem haben natürlich die unmittelbarsten Vertreter der Staatsgewalt, die Heerführer, die größte Gewissenhaftigkeit bei Benußung des Zeichens zu beob achten und die ihnen untergebenen Truppen zu überwachen. Gleichwohl ist im 1870/71er Kriege der Französische General Bourbaki mittelst Mißbrauchs des Rothen Kreuzes aus Mez entwichen.

6) Vgl. Lueder's Vorschläge, Genfer Conv., S. 390 ff., 441 unten, 442. 7) Vgl. Moynier, Conv. pend. la guerre franco-allemande, p. 23. *) Vgl. oben § 73 Note 7 und über diese ganze Angelegenheit des Croissant rouge Bulletin international 1877, p. 35, 41, 83, 147, woselbst auch über

die mit den Mächten bezüglich der Anerkennung des Halbmondes als Schußzeichen geführten Verhandlungen, und Revue de droit international 1877, p. 584. Deutschland schlug in jenen Verhandlungen vor, die Anerkennung als vorläufigen modus vivendi zu gewähren; andere Mächte erklärten sich zur Gewährung der Anerkennung überhaupt oder zu einer Berathung darüber bereit. Die leßtere und eine Einigung der Mächte auch nur über die temporäre Anerkennung ist aber nicht erfolgt, obgleich F. v. Martens, Völkerr. II., S. 504 dies behauptet. In Japan hat man schließlich, nachdem man ursprünglich Bedenken gegen das Kreuz gehabt und eine leichte Veränderung an demselben, wenn auch nicht wie in der Türkei die Einführung eines ganz anderen Zeichens versucht hatte, die ganze Genfer Convention und folglich auch als Zeichen das unveränderte Rothe Kreuz im Weißen Felde angenommen, wohl nicht ohne Beeinflussung durch Moynier und das Genfer internationale Comité. Vgl. Moynier i. d. Revue 1887, p. 545 ff. 9) Vgl. Bulletin international 1877, p. 44. 10) S. 3. B. Guelle, Précis I., p. 165.

§ 104.

Der Schuß der Parlamentäre.

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Literatur: Bluntschli, Völkerr., 681 ff. — Calvo, Dictionnaire II., p. 62 f. und Droit internat. § 2128 f. Guelle, Précis I., p. 222 ff. Fiore, Trattato 1378. Hall, Internat. law § 190. - S. auch Rüsto w, Kriegspolitik und Kriegsgebrauch. S. 228 ff. - Amerikanische Kriegs. artikel 111, 114. Brüsseler Erklärung Art. 43–45. Manuel des Völkerrechtsinstituts 27-31. Lentner S. 135 ff.

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Aus einem anderen Gesichtspuncte genießen Schuß und Befreiung von den kriegerischen Gewaltmaßregeln die Parlamentäre, das sind die den Verkehr zwischen den beiderseitigen Heeren vermittelnden Personen, welche als autorisirte Abgesandte des einen Heeres bei dem anderen erscheinen, um Unterhandlungen zu führen, Mittheilungen zu überbringen u. s. w.

Da solche Mittheilungen und ein gewisser Verkehr auch im Kriege nöthig oder wünschenswerth sein können, da die Möglichkeit dazu im Interesse der Kriegführung beider Theile liegt, und da die den Verkehr vermittelnden Personen, obgleich sie den Combattanten entnommen zu werden pflegen, ihrerseits, so lange sie sich in der Parlamentärstellung befinden, nicht combattirend auftreten dürfen und folglich nicht gefährlich sind, und da aus der Anerkennung der Völkerrechtspersönlichkeit des Gegners die Verpflichtung entspringt, ihn auch im Kriege wenigstens zu hören, falls nicht besondere Umstände es verbieten, so gilt seit Langem, man kann sagen, seitdem es eine Kriegführung giebt, der Saß, daß die Parlamentäre unverleßlich sind, und daß die Gewaltmittel des Krieges gegen sie nicht zur Anwendung gebracht werden dürfen.1)

Es darf deshalb absichtlich 2) nicht auf einen Parlamentär geschossen, noch sonstige Verlegung ihm zugefügt, er darf auch nicht gefangen ge

nommen, sondern muß nach Beendigung seines Geschäftes zu den Seinigen, erforderlichen Falls unter sicherem Geleit, zurückgeschickt werden. Natürlich unter der Vorausseßung, daß er seinerseits die Bedingung vollständiger Friedfertigkeit erfüllt, seine Parlamentärstellung nicht mißbraucht und nichts Unerlaubtes thut.3)

Die Parlamentäre können aber nicht verlangen, daß ihnen diese Stellung überhaupt eingeräumt wird, d. H. daß sie als Parlamentäre zugelassen und empfangen werden. Es hängt vielmehr lediglich von der gegenüberstehenden Heeresmacht ab, ob sie den Parlamentär empfangen will oder nicht.) Er kann im einzelnen Falle abgelehnt werden und hat sich dann, unverlegt, sofort zurückzuziehen. Ebenso kann die allgemeine Erklärung abgegeben werden, daß man während einer bestimmten Zeit keine Parlamentäre annehmen wolle.5 Im lezteren Falle können die troßdem Erscheinenden nicht beanspruchen, als Parlamentäre respectirt zu werden.")

Nicht minder steht der den Parlamentär empfangenden Heeresmacht die Entscheidung darüber zu, wie, wo und unter welchen Sicherungsmaßregeln sie den Parlamentär empfangen will,7) und daraus hervor gehende persönliche Beschränkungen und Unbequemlichkeiten, denen der Parlamentär unterworfen wird, wie Verbinden der Augen beim Einlassen in ein Lager oder eine Festung, Nöthigung zu Umwegen beim Ein oder Zurückführen und dergl. sind keine Verlegungen der dem Parlamentär zukommenden unverleßlichen Stellung. Unter Umständen, namentlich wenn sie ihre Sendung durch gefährliche Beobachtungen oder dgl. mißbrauchen, können sie auch, falls dies nöthig erscheint, vorübergehend, doch nur so lange als die Umstände es verlangen, festgehalten werden,*) natürlich ohne weitere Nachtheile für ihre Person. Den letteren aber sehen sie sich aus und gehen ihrer Unverleßlichkeitsstellung verlustig, wenn sie in dem Mißbrauch dieser Stellung so weit gehen, daß sie offenbaren) Verrath treiben, wie Spioniren oder Anzettelung von Verschwörungen und dgl.10) In diesem Falle werden sie kriegsrechtlich, Eezw. als Spione strafbar. Auch die Parlamentäre müssen durch deutlich erkennbare äußere Unterscheidungsmerkmale kenntlich gemacht werden. Dies geschieht durch allgemein übliche und bekannte Zeichen (Parlamentärflagge — weiße Fahne11) u. dgl.) und Signale (durch Hörner oder Trompete).

Die zum Zweck des Tragens der ersteren oder der Abgabe der lezteren den Parlamentär begleitenden Personen, Tamboure oder Trompeter, sind ebenfalls unverleßlich 12) und haben, unter denselben Bedingungen, die selbe Stellung wie der Parlamentär selbst. Das Gleiche gilt von etwa beigegebenen Dolmetschern oder derartigen Personen.13)

1) Dies ist aus den im Text angedeuteten Gründen so natürlich, daß die Heilighaltung der Parlamentäre schon in den ältesten Zeiten anerkannt wurde und unter den ersten Keimen völkerrechtlichen Bewußtseins erscheint, sowie bei den entlegensten, auch uncivilisirten Völkerschaften üblich ist (vgl. F. v. Martens, Völkerrecht II., S. 540). Verlegungen des Sazes sind gleichwohl noch in der aller neuesten Zeit vorgekommen, namentlich von den Französischen Truppen im 1870 71er

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