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Kriege. Allein die Depesche Bismarck's vom 9. Januar 1871 weist 21 amtlich beglaubigte Fälle unter Nennung der Namen der Deutschen Parlamentäre nach, auf welche Feuer gegeben ist; vgl. die Violations de la Convention de Genève par les Français, p. 13. Natürlich werden diese Fälle, auch wenn sie nicht auf Irrthum und Unabsichtlichkeit zurückgeführt werden können, meist in den nie ganz zu vermeidenden Ausschreitungen der unteren Elemente des Heeres ihren Grund haben, wie auch in verschiedenen Fällen von den höheren Stellen um Entschuldigung gebeten worden ist. Vgl. auch Bluntschli in v. Holzendorff's Jahrb. für Gesetzgebung 2c. des Deutschen Reichs, I. S. 201 f.

2) Unabsichtlich kann Derartiges natürlich auch hier vorkommen (vgl. vorige Note), und zwar um so eher, als durch das blose Aufziehen der Parlamentärflagge und das Erscheinen des Parlamentärs der Gegner nicht zum Einstellen des im Gange befindlichen Feuers verpflichtet wird; Calvo, Dictionnaire II., p. 63, Bluntschli 684.

3) Vgl. Brüsseler Erkt. 45, Manuel 31. Es folgt dies ebenso wie das gleich im Text hervorzuhebende, der beschickten Heeresmacht zustehende Recht zu Ablehnungen und die freie Parlamentärstellung beschränkenden Vorsichtsmaßregeln aus dem Grundsaße, daß diese, vielfach auch von der Humanität geforderte Stellung zwar möglichst gewahrt werden soll, aber doch nicht einen so unbeschränkten Schuß zu beanspruchen hat, daß daraus Nachtheile für die Kriegführung hervorgehen können; vgl. die Note zu 28 des Manuel des Völkerrechtsinstituts. Dabei ist zu bedenken, daß die Sendung eines Parlamentärs nur eine, wenn auch unter Umständen unerlaubte Kriegslist sein kann, durch welche Zeit gewonnen, der Feind aufgehalten werden soll u. s. w., und daß außerdem die unbegrenzte Rücksichtnahme auf den Parlamentär die Gewinnung des Sieges oder sonstigen Vortheils gefährden könnte; vgl. Guelle p. 228, 230.

4) Brüsseler Erkl. Art. 44, 1. Abs., Manuel 29.

5) Brüsseler Erkl. Art. 44, 3. Abs. Dies wird aber ohne dringende Gründe nicht wohl geschehen; vgl. Lentner S. 135.

II.,

6) Brüsseler Erfl. Art. 44, 3. Abs.

Brüsseler Erkl. Art. 44, 2. Abs., Manuel 30.

) Brüsseler Erkl. Art. 44, 2. Abs., Manuel 31, Calvo, Dictionnaire p. 63.

S. Bluntschli 684, Guelle, Précis p. 227, Calvo, Droit a. a. D. Vgl. Amerikanische Kriegsartikel 114.

10) Brüsseler Erkl. Art. 45, Manuel 31.

11) Sie durfte früher, im 16. und 17. Jahrhundert, nur vom Oberbefehlshaber geführt werden, ist aber gegenwärtig das allgemein übliche Zeichen.

12) Brüsseler Erkl. Art. 43, Manuel 27, 28.

13) Manuel 28.

§ 105.

Die Kriegsgefangenschaft.

I. Ueberhaupt und in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Literatur zu diesem und den folgenden Paragraphen: v. Holzendorff in diesem Handbuch I., S. 191 f., 215, 273, 299. - Müller Jochmus, Geschichte des Völkerrechts im Alterthum. Laurent, Études, t. 1, 2, 5 ff.

Nys, Le droit de la guerre et les précurseurs de Grotius, Sect. 6, namentlich p. 114, 134 ff. Bluntschli, Das Beuterecht im Kriege, unter L. Grotius III., c. 7 u. 11, auch 21 § 23 ff.

publ. I., c. 3.

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ch. 8, § 148 ff. (vgl. mit ch. 14 § 217 ff.).

Bynkershoek, Qu. jur.

Moser, Versuche IX., 2, 250, 311 ff. Vattel III, Schmalz, Völkerr., S. 230 ff. Aeltere Literatur bei v. Ompted a §§ 311, 312 und v. Kampß § 305, auch bei Klüber. Klüber § 249. G. F. v. Martens § 275 ff. Heffter §§ 127, 128. Bluntschli, Völkerr., S. 39 u. 340 ff. (§ 593 ff.),

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401 (716), 411 (§ 737). — v. Bulmerincq, Völkerr., S. 361. - F. v. Martens § 113. Oke Manning p. 155. Phillimore, Comm. Vol. 3, ch. 7, p. 142, § 45 ff. Hall P. 3, § 131 ff. Halleck ch. 201 § 6 ff., II., p. 73 ff.

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Wildman II., p. 26. § 1847 ff. Riquelme I., 1 c. 12. Bello 2, c. 3, § 5. Fiore III. § 1348, 1352, 1355 ff. Guelle, Précis I., p. 187 ff., und Guerre continentale, p. 136 ff. Eichelmann, Ueber die Kriegsgefangenschaft, 1878. - Kasparek in Grünhut's Zeitschrift für Privat- und öffentliches Recht der Gegenwart, Bd. 9, S. 680 ff. — Domin - Petrushevecz 113 ff. — Field, Outlines, ch. 63 (800 ff.). Brüsseler Erklärung Art. 11, 23 ff. Manuel des Völkerrechtsinstituts 21, 22, 61 ff. Lentner S. 97 ff. -Amerikanische Kriegsartikel 48 ff. Vgl. oben § 67 ff.

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Eines der Mittel der Kriegführung, Ueberwindung und Unschädlich. machung des Gegners ist die Gefangennahme des letteren. Die Ent wickelung des darauf bezüglichen Kriegsgefangenenrechts zeigt in besonders hohem Grade die großen Fortschritte und die völlige, grundsäßliche Umwandlung, welche das moderne Kriegsrecht gegen die alte und mittlere Zeit aufzuweisen hat. Erst die Neuzeit betrachtet die Kriegsgefangenschaft eben nur als ein Mittel zur Ueberwindung des Gegners durch (möglichst gelinde) Unschädlichmachung seiner Combattanten, während im Alterthum und Mittelalter die Kriegsgefangenschaft, conform der damaligen Be schaffenheit des Kriegsrechts überhaupt, ganz anders aufgefaßt und außerdem auf alle Personen ohne jeden Unterschied ausgedehnt wurde.

Im Alterthum verfielen alle Personen des feindlichen Landes, die in die Gewalt des Siegers geriethen, auch Nichtkämpfende, Wehrloje, Weiber (diese unter Umständen vorzugsweise) und Kinder dem Tode oder der Sclaverei und wurden, Vaterland und Civität verlierend, völlig der Willkür des Siegers unterworfen.') Dies war, soweit nicht einzelne Ausnahmen bestanden) oder ebenfalls ausnahmsweise Anderes vertragsmäßig festgesetzt war, der Fall sowohl bei den orientalis chen Völkern als auch bei Römern und Griechen, wenn sich auch bei den beiden lezteren allmählige Milderungen und Fortschritte geltend machten.

Bei den Juden, Assyrern, Phöniciern, Aegyptern bildete auf Grund des von ihnen geführten Vernichtungskrieges und religiöser Vorstellungen3) die Massentödtung in Verbindung mit mannigfachen Grausamkeiten aller Personen des feindlichen Landes die allgemeine Regel.4) Nur die Indischen Manu-Geseze nehmen in den oben angegebenen Grenzen einen anderen

Standpunct ein, 5) der sich aber nur auf Kriege mit anderen Indischen Völkern bezog und zu späterer Zeit, im Kriege gegen Alexander den Großen nicht beachtet worden ist.

Auch bei Griechen und Römern waren Massentödtungen und Menschenopfer das ursprünglich Regelmäßige; sie fielen aber allmählich hinweg oder bildeten doch nur die Ausnahme, und an ihre Stelle trat, theils auf Grund humanerer Regungen, theils und hauptsächlich aus egoistischer Berechnung und politischer Erwägung, die Sclaverei,) so daß die Gefangenen als Beute erschienen.

In Griechenland wurde auch diese Sclaverei vielfach gemildert, jedoch vorzugsweise wie bei den arischen Indern, nur aus nationalen Rücksichten, also anderen Hellenischen Stämmen gegenüber; und in nicht zu seltenen Ausnahmen erhielten sich auch die Tödtungen, wie sonstige barbarische Behandlung der Gefangenen und die Menschenopfer.

Die letteren kamen bei den Römern gelegentlich der Triumphzüge und sonst als Ausnahmen) auch später noch vor, und das Recht dazu wurde als unzweifelhaft vorhanden anerkannt.) Die praktisch geübte Regel wurde aber die Sclaverei, und zwar im Allgemeinen ohne unnöthige grausame Behandlung und Mißhandlung der Gefangenen. Auch bezüglich dieser Sclaverei trat dann, aus politischer Berechnung, im weiteren Verlauf der Römischen Entwickelung ein Fortschritt insofern ein, als nicht mehr alle Angehörigen des feindlichen Landes in Sclaverei genommen, bezw. in dieselbe verkauft wurden, dies vielmehr auf die Combattanten beschränkt ward. Die Uebrigen wurden im Besitz ihrer persönlichen Freiheit verbleibende Unterthanen des Römischen Staates.") Aber auch in dieser Beziehung blieb das Recht zu dem alten Verfahren bestehen und wurde ausnahmsweise noch geübt, namentlich dann, wenn das besiegte Volk sich einer besonderen Verfündigung am Römischen schuldig gemacht hatte.10)

Dagegen kommt sowohl in Griechenland 11) wie auch, jedoch weniger, in Rom 12) die Sitte der Entlassung der Gefangenen gegen Lösegeld oder Auswechselung vor.

Im Mittelalter verlor der Brauch der Tödtung sich noch mehr als schon im Alterthum selbst, obwohl noch weit in das Mittelalter hinein (Kreuzzüge) in den Kriegen gegen die Ungläubigen die wildesten Tödtungen und Grausamkeiten vorkamen und Tödtungen der Gefangenen nach der Einnahme hartnäckig vertheidigter Pläße noch länger, namentlich im 17. Jahrhundert, üblich waren.13) Auch suchten die Gottesfrieden gewisse Schranken aufzurichten.14) Aber desto allgemeiner blieb der Sat bestehen, daß die Gefangenen, wenigstens die eigentlichen Kriegsgefangenen, in Sclaverei oder doch Hörigkeit geriethen, als Sclaven verkauft werden. fonnten u. s. w. und sonst der Willkür und dem Belieben ihres Besiegers unterworfen blieben, 15) und zwar des sie besiegt habenden Einzelnen, bezi. Truppenkörpers. Gegen das Erstere wandte sich, nachdem gewisse Milderungen, bezw. Beschränkungen schon in der Zeit des Germanenthums hervor

getreten waren, allerdings die christliche Kirche insofern, als sie sich der Sclaverei gefangener Christen widersezte;16) und namentlich wurde auf dem dritten Lateraner Concil das Verbot erlassen, Christen zu Sclaven zu machen und zu verkaufen. Indessen blieb nicht nur hinsichtlich der Nichtchristen, Sarrazenen und Barbaren, das Recht der Sclaverei, Verkauf als Sclaven u. s. w. bestehen,17) so daß es noch in den Italienischen Stadtrechten des 16. Jahrhunderts vollständig anerkannt wurde, 18) sondern auch bezüglich der Christen beachtete die Praxis das Verbot noch lange Zeit hindurch nicht. Erst im späteren Mittelalter drang der Sat durch, daß die Kriegsgefangenen überhaupt nicht ihren Status verloren. Daß sie persönliche Gefangene des Einzelnen oder des Truppenkörpers wurden, der sie gefangen genommen hatte, änderte sich erst nach dem dreißigjährigen Kriege.

Beendigt wurde die Freiheitsentziehung nur durch Rançonni. rung, Zahlung eines Lösegeldes, dessen Erpressung nebst der Befriedigung der persönlichen Rache des Kriegers, der den Gegner zum Gefangenen gemacht hatte, für das Ganze während des Mittelalters maßgebend blieb.19) Ein solches Lösegeld brauchte übrigens nicht einmal angenommen zu werden. Es fehlt vielmehr nicht an Beispielen dafür, daß die Rançonnirung versagt und der Gefangene, wenn dann auch der in der Gefangenschaft behaltene Christ nicht der Sclaverei unterlag, 20) lange Zeit und lebenslänglich in der Gefangenschaft gehalten wurde. 21) Außerdem ward mit dem Lösegelde, wo es angenommen wurde, sehr arger Mißbrauch getrieben und oft ungeheure Rançonnirung verlangt.**)

Schicksal und Behandlung der Gefangenen waren häufig sehr hart und unmenschlich.23) Einsperrungen in Käfige und alle denkbaren Quälereien von den raffinirten Grausamkeiten gewisser besonders er bitterter, namentlich auch in Deutschland geführter Kriege ganz abgesehen - waren an der Tagesordnung, obgleich bei vornehmen Gefangenen auch wohl umgekehrt besondere Milde und Courtoisie in der Behandlung geübt wurde,24) und unter Ritterbürtigen schon seit den Zeiten des Ritterthums und des sich geltend machenden ritterlichen Geistes Milderungen hervorgetreten waren.25) Noch im 17. Jahrhundert erschien es erforderlich, durch Verträge ausdrücklich zu bestimmen, daß die Kriegsgefangenen nicht auf die Galeeren gebracht wurden; und bis ins 18. Jahrhundert erhielt es sich, daß der gefangennehmende Einzelne 26) über das Schicksal des Gefangenen zu entscheiden und das Lösegeld zu bestimmen hatte, so daß Bluntschli sagen kann: „Das Mittelalter betrachtete die Gefangenen entweder als ein Mittel, Lösegeld zu erpressen, oder geradezu als Gegenstand der persönlichen Rache. "27) Ebenso herrschten Schrankenlosigkeit und Willkür bezüglich der der Gefangenschaft unterliegenden Personen bis in die neue Zeit hinein, und noch Vattel lehrt, daß nach dem be stehenden Völkerrecht die Gefangennahme der gesammten Bevölkerung vollständig zulässig sei.28)

Das neue Völkerrecht hat nun diese Grundsäge vollständig umge=

wandelt, conform seiner grundsäßlich verschiedenen Auffassung des Kriegsrechts überhaupt und zugleich seine moderne Humanisation gerade auf das Kriegsgefangenenrecht besonders ausdehnend. Es hat zunächst die Consequenzen aus den Säßen gezogen, daß nur die Staaten, bezw. deren friegende Organe (nicht aber die Privaten) Feinde sind, und daß auch dem Feinde nicht mehr Uebles zugefügt werden soll als nöthig ist und der Kriegszweck erfordert, und hat sodann das auf diesen Grundlagen ganz anders erwachsende Kriegsgefangenenrecht nach den Humanisirungsideen der Neuzeit auch noch besonders milde gestaltet.

Den des Näheren einzuschlagenden richtigen Weg gezeigt und die Initiative ergriffen haben zuerst Friedrich der Große und Franklin, als sie in dem berühmten, auch für andere Theile des Kriegsrechts neue Bahnen eröffnenden Freundschaftsvertrage zwischen Preußen und NordAmerika vom Jahre 1785 Bestimmungen über die Kriegsgefangenschaft aufnahmen, welche dem ganz veränderten neuen Geiste des Kriegsrechts entsprachen, der Auffassung und Einrichtung der Kriegsgefangenschaft als einer Strafhaft entgegen- und für freiere Bewegung, angemessene Ernährung und überhaupt soldatenmäßige Behandlung der Kriegsgefangenen eintraten.29)

Die Lage der Kriegsgefangenen ist nahe verwandt derjenigen der Kriegsverwundeten und Kranken. Deshalb tauchten in Verbindung und im unmittelbaren Anschluß an die durch das Zustandekommen der Genfer Convention so erfolgreich abgeschlossenen Bemühungen für das Loos der Verwundeten solche auf, die die Verbesserung des Schicksals der Kriegsgefangenen zum Gegenstand hatten. Zunächst wieder Privatbemühungen. 30) Dann wurde aber von Seiten der Mächte und Regierungen selbst die Sache in die Hand genommen. Namentlich scheinen die Russische Regierung und der milde Czar Alexander II. die Aufgabe ins Auge gefaßt und die Brüsseler Conferenz, die schließlich die Verbesserung des gesammten Kriegsrechts bearbeitete, ursprünglich nur zu einer Berathung über das Kriegsgefangenenrecht zusammenzuberufen die Absicht gehabt zu haben. Jedenfalls ist das Kriegsgefangenenrecht mit der Gegenstand sorgfältiger Berathungen und Prüfungen in Brüssel gewesen und ein werthvoller Bestandtheil der Brüsseler Erklärung, wie dann auch des Manuel des Völkerrechtsinstituts geworden.

Schon vorher hatten Instructionen und Reglements der einzelnen Länder das Kriegsgefangenenrecht in demselben neuen und humanen Sinne geregelt,31) und in anderen Ländern war man dem Beispiele gefolgt. Desgleichen sind Einzelverträge und Cartells der Staaten in gleichem Geiste abgeschlossen worden.

In diesen Quellen und auf Grundlage der grundsäßlich anderen Auffassung wie des humanen Geistes des modernen Völkerrechts hat sich das Kriegsgefangenenrecht dann in den Eingangs dieses Paragraphen er wähnten Richtungen, die nun näher darzustellen sind, so gestaltet wie folgt, und zwar unter großer Uebereinstimmung in Theorie und Praxis über alle wesentlichen Puncte.

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