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und Treue nicht vereinbar sind®) (1. oben § 95). Die Täuschung darf, wie schon in der mittelalterlichen Kriegführung feststand, nicht in Treulosigkeit, Betrug und Wortbruch ausarten,) und Mittel, wie z. B. der Bruch eines gewährten freien Geleites oder freien Abzuges oder Waffenstillstandes, um durch die Ueberraschung des keines Angriffes gewärtigen Feindes Vortheile zu erringen, oder fingirte Ergebung, um den darauf unbefangen herankommenden Gegner zu tödten, Mißbrauch des RothenKreuz-Zeichens oder der Parlamentärflagge, Mißbrauch von Nothzeichen,*) wie auch Parlamentärverhandlungen zum Zweck von Ueberfällen u. dgl. sind unbedingt unzulässig.

Die Grenze und die Entscheidung der Frage, ob die gebrauchte List noch zulässig oder unehrenhaft und verboten war, ist, so leicht die Ent scheidung in vielen Fällen sich auch giebt, in anderen Fällen unter Umständen schwer festzustellen. Sitte, Rechtsgefühl und Kriegsgebrauch der Zeit müssen der Entscheidung zu Hülfe kommen.9)

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Für zulässig wird von der Theorie meist noch die durch Verbergung oder Aenderung der Uniformen und Feldzeichen (Fahnen und Flaggen) und Anlegung der feindlichen, bezw. neutralen hervorgebrachte Täuschung erklärt. 10) Jedoch sprechen sich gerade die Militärschriftsteller dagegen aus,11) auch die neueste Theorie der Völkerrechtslehrer scheint sich in diesem Sinne zu wandeln, und das Manuel des Völkerrechtsinstituts sagt 8 c. und d.: Il est interdit d'attaquer l'ennemi en dissimulant les signes distinctifs de la force armée; d'user indûment du pavillon national, des insignes militaires ou de l'uniforme de l'ennemi. "12) Und auch von denjenigen, welche die Anlegung der fremden Uniform u. s. w. für zulässig erklären, wird wenigstens die (von jeher geforderte) Beschränkung hinzugefügt, daß dergleichen nur als Vorberei tung zum Kampf geschehen darf und im Kampfe selbst, von seinem Beginn an, die richtige Uniform und Fahne offen getragen werden muß.13)

Bestechungen feindlicher Civilisten wie Militärs,14) 3. B. des Commandanten einer Festung, um dadurch Vortheile irgend welcher Art zu erlangen, sind gestattet, desgleichen die Annahme von Anerbietungen solcher Verräthereien, 15) jedoch immer nur unter der Voraussetzung, daß nicht etwas angeboten wird, was überhaupt nicht angenommen werden darf,16) wie z. B. der Meuchelmord 17) oder sonstige gemeine Verbrechen, wie Brandstiftung, Raub u. s. w., obgleich einer Benuzung der Vortheile, die aus der spontanen Begehung solcher Verbrechen hervorgehen, natürlich nichts entgegensteht. 18) Ebenso ist die Annahme von Deserteuren gestattet.19) Auch Aufreizungen der eigenen Unterthanen des Feindes, Revolutionirungen,20) Benuzungen von unzufriedenen Bevölkerungstheilen oder Prätendenten sind im Allgemeinen zulässige Mittel.

Das Unschöne und an sich Unsittliche solcher Mittel kann an der Anerkennung ihrer Zulässigkeit nichts ändern. Zweck und Noth des Krieges geben dem Kriegführenden das Recht und legen ihm unter Um« ständen die Pflicht auf, die durch solche Mittel zu erzielenden, vielleicht

ganz erheblichen, ja, entscheidenden Vortheile sich nicht entgehen zu lajien.21)

Selbstverständlich ist, daß der Gegner, gegen den die List gebraucht wird, sich seinerseits dagegen mit allen Mitteln wehren kann, 22) u. A. auch durch die sogenannte intelligence double, durch welche scheinbar auf den Verrath eingegangen, in Wahrheit dies aber nicht gethan und der Gegner, der sich den Verrath zu Nuze machen wollte, in die selbst gegrabene Grube gelockt wird.23)

1) Vgl. Vattel § 178, v. Neumann, Berner a. a. D. Ueber früheren Brauch bei der Ueberraschung von festen Plähen s. Vattel a. a. D. in der Note.

2) Was Guelle, Guerre cont., p. 70, Précis p. 107, 108, über die Art der Anwendung dieses Mittels im lezten Deutsch-Französischen Kriege sagt, ist richtig, nur mit dem Unterschiede, daß es nicht auf die Deutsche, sondern auf die Französische Kriegführung paßt, worüber schon an früheren Stellen unter Verweisung auf unparteiische Schriftsteller, wie namentlich Rolin Jaequemyns, Gejagtes zu vergleichen ist.

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3) Vgl. Guelle, Guerre cont., p. 69, 70, und Précis p. 106.

*) Vgl. Vattel § 178.

*) Es kann deshalb auch nicht verlangt werden, wie Gareis thut, daß durch die Kriegslist, um als erlaubt anerkannt zu werden, „eine Schonung von Interessen, womöglich auf beiden Seiten, wenigstens aber auf Seite desjenigen, welcher die List anwendet, erstrebt" werden müsse. Die Kriegslist ist vielmehr nach dem im Text Gesagten ein in sich berechtigtes Kriegsmittel wie jedes andere. Bluntschli 565 in der Note, Berner a. a. D.

Vattel, Vergé zu Martens, Heffter a. a. D., Bluntschli 565, Berner, Gareis, Inst. des Völkerrechts, § 84, Guelle, Guerre cont., p. 65, und Précis, p. 103.

7) Gentilis, Vattel, Resch § 154, v. Bulmerincq S. 362, Lentner, Berner, Fiore 1334, 1336.

*) Vgl. Vattel § 178.

Heffter, Lentner, Gareis a. a. D.

19 Resch, Bluntschli 565, Berner, Dahn, Calvo § 1836.

1) S. v. Boguslawski, Der kleine Krieg, 1881, S. 26 unten, 27. 12) Vgl. auch die Amerikanischen Kriegsartikel 64, 65. Die Brüsseler Declaration bezeichnet als untersagt Art. 13 f.: „L'abus du pavillon parlamentaire, du pavillon national ou des insignes militaires et de l'uniforme de l'ennemi"; wozu aber zu bemerken ist, daß „abus“ und nicht wie im ursprünglichen Russischen Project (13 E.) „,emploi" gejagt ist, wie auch auf das „indûment" in der Bestimmung des Manuel aufmerksam gemacht werden muß. Für unzulässig erklären den Gebrauch dieses Mittels u. A. v. Bulmerincq S. 362, F. v. Martens § 110, 7, Lentner, Field, Guelle, Fiore 1339.

1) Heffter und Geffden zu Heffter a. a. D., Resch, Bluntschli 565, Berner, Calvo. Es ist dies offene Zeigen der richtigen Flagge namentlich auch für den Seekrieg anerkannt; s. die bei Heffter a. a. D. Note 10 Angeführten. Dahn, Jahrb. für die Deutsche Armee und Marine III., S. 56, erklärt den

Gebrauch der feindlichen (wie auch neutralen) Abzeichen für unbedingt erlaubte Kriegslist unter Hervorhebung eines Falles aus dem lezten Deutsch-Französischen Kriege, der so lag, daß gegen 25 Franctireurs Preußische Uniformen angelegt und dann auf ruhig herankommende Deutsche Truppen geschossen hatten. Hätte es sich nicht um Franctireurs, also Combattanten, wenn auch nur unregelmäßige, gehandelt, sondern um Nicht-Combattanten, Französische Bauern oder dergl., so würde der Fall natürlich eine andere Beurtheilung erfahren haben. Möglicher. weise können die feindlichen Uniformen im Laufe des Krieges aus Noth angelegt werden müssen. Dann ist, wenn nicht zugleich durch die fremde Uniform getäuscht werden soll, für ein möglichst deutliches Unterscheidungszeichen zu sorgen; vgl. Amerik. Kriegs- Artikel 64.

14) G. F. v. Martens § 274. A. M. u. A. Klüber § 244, Field 761, Berner, Woolsey, Intern. Law, § 127.

15) Heffter, Woolsey a. a. D.

16) Heffter a. a. D.

17) Daß dieser ebenso wie Vergiftungen und die Verbreitung von Ansteckungen u. dgl. unerlaubt sind, ist oben § 95 und 96 bereits gesagt worden.

18) Bluntschli 563.

19) Von jeher anerkannt, auch als Schwächung der Gegen und eventuelle Stärkung der eigenen Seite wohl nicht anders denkbar, so daß der neuerdings laut gewordene Gedanke einer von den Staaten zu übernehmenden Verpflichtung zur Auslieferung der Ueberläufer (Morin, vgl. Guelle, Précis I., p. 131) schwerlich jemals zur praktischen Geltung kommen wird. Es kann aber auch nicht mit Calvo § 1853, dem Guelle 1. c. und Funck-Brentano et Sorel p. 293 folgen, die umgekehrte Behauptung aufgestellt werden, daß die Kriegspartei zur Aufnahme der Ueberläufer verpflichtet sei und nicht das Recht habe, sie der Gegenseite auszuliefern. Die Frage ist ziemlich unpraktisch, da die Kriegspartei aus dem angeführten Grunde nicht leicht an eine Auslieferung denken wird. Sollte es aber der Fall sein, so darf sie auch in dieser Beziehung nach den Interessen ihrer Kriegführung handeln, was durch Calvo's Gründe nicht widerlegt wird.

20) G. F. v. Martens § 274, Bluntschli 564. A. M. u. A. Klüber § 244, Vergé zu Martens, F. v. Martens § 110, 8, Berner a. a. D. Deshalb war auch der Protest Oesterreichs gegen die Bildung Ungarischer Legionen, welche 1859 von Frankreich und 1866 von Preußen geplant wurden, nicht begründet, obgleich ge rade von diesem Mittel nicht ohne Noth und sehr gewichtige Gründe Gebrauch gemacht werden wird. Es ist aber bestritten; s. Geffen zu Heffter, Note 7 zu 125. Geffen will ebendaselbst Aufreizung der unter dem Fahneneid Stehenden ausnehmen. Doch beweist der dafür angeführte Grund zu viel Aehnlich Bluntschli 564, N. 2, der aber die Aufreizung der feindlichen Truppen nur für ein wenigstens in der Regel" unerlaubtes Kriegsmittel erklärt.

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1) Deshalb braucht auch nicht nach Entschuldigungen für die Benußung dieser Mittel gesucht und dürfen die leßteren nicht als Maßregeln aufgefaßt werden, die eigentlich unzulässig wären, aber aus besonderen Gründen, z. B. um Menschen. leben zu sparen, allenfalls entschuldigt werden könnten, wie Heffter thut. Berner läßt sich (a. a. D. S. 112) in seiner an und für sich begreiflichen Abneigung gegen den Gebrauch solcher Mittel sogar so weit führen, daß er es für „unerhört“ er klärt, wenn neuere Völkerrechtslehrer die Verleitung der Officiere, Soldaten und friedlichen Unterthanen des Gegners zum Verrath ihres Landes oder zum Aufruht gegen ihre Obrigkeit unter den erlaubten Mitteln der Kriegführung aufzählen“.

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S. aber auch R. v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik I., S. 772 ff. Andere, so Vattel und Calvo, lassen im inneren Widerstreit zwischen eben diesem Gefühle einer- und den die Kriegsnothwendigkeit berücksichtigenden Gedanken andererseits eine bestimmte Entscheidung nicht genügend hervortreten.

22) Heffter a. a. D.

23) Vgl. Vattel § 182, v. Neumann § 45a., Calvo § 1837.

§ 111.

Kundschafter und Spione; Boten und Couriere; Luftschiffer.

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Aeltere Literatur bei Klüber § 266. v. Kampß, Beiträge zum Staatsund Völkerrecht I., 63. G. F. v. Martens § 274. Heffter § 249 f. - Bluntschli 628 ff. und in v. Holzendorff's Jahrbuch für Gesetzgebung 2c. I., S. 292. v. Neumann § 45 a. - F. v. Martens § 116. Riquelme I., 1, 12. Calvo §§ 1828 f., 1839 ff. Guelle, Précis I., p. 122 ff., 134 ff. und La guerre continentale et les personnes, p. 85 ff., 96 ff. FunckBrentano et Sorel p. 291. Halled II., § 26 ff. Hall § 188. - Fiore 1341, 1375. Dahn, Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine I., S. 90 ff. Amerikanische Kriegsartikel, Section 5. Brüsseler Erklärung, Art. 19 ff. Manuel des Völkerrechts. instituts 23 ff. Lentner § 10.

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Ein ferneres hierher gehöriges Mittel ist das des Kundschaftens und der Spionage, um dadurch in den Besiz wichtiger Nachrichten über Stellung, Stärke, Pläne u. s. w. des Gegners zu kommen und dadurch den eigenen Kriegserfolg zu unterstüßen,1) bei der Kundschaftung im engeren Sinne auf offenem Wege, bei der Spionage in heimlicher und versteckter Weise. Das Mittel ist zweifellos zulässig und muß zulässig sein, weil es ein wichtiges und unter Umständen unentbehrliches Mittel der Kriegführung ist. Dies gilt namentlich auch von der Spionage, indem unter Umständen gerade dasjenige, was die Besonderheit dieses Auskundschaftungsmittels ausmacht, nämlich die Heimlichkeit, den Erfolg verbürgt und dem Kriegszweck dient.) Ebenso zweifellos ist aber wiederum auch das Recht der Gegenseite, sich ihrerseits gegen die Anwendung des Mittels zu wehren.

Wenn die Auskundschaftung in offener Weise von als solchen kenntlichen Combattanten, Einzelnen oder Abtheilungen, geschieht, so ist sie nicht mehr und nicht weniger als eine Art der ordnungs- und regel. mäßigen militärischen Thätigkeit im Kriege und untersteht deshalb zwar den regelmäßigen Abwehrmitteln (Tödtung im Kampf oder Kriegsgefangenschaft), aber auch nur diesen. Wird diese nicht heimliche Auskundschaf tung von Personen geübt, welche nicht zum Heere gehören, so gilt über die Behandlung dieser Personen dasjenige, was über die Theilnahme von nicht rechtmäßigen Combattanten am Kampfe gesagt worden ist: sie

haben keinen Anspruch auf die bevorzugte Combattantenstellung, aber auch nicht die gleich zu erwähnende, besonders ungünstige Stellung der Spione.3)

Dasselbe gilt, wenn solche Personen als Boten, Depeschenträger und dergleichen auftreten,4) während die zum Heere gehörigen Couriere u. s. w. nach Maßgabe des oben Gesagten wie Combattanten zu be handeln sind.

Wenn aber die Kundschaftung in heimlicher Weise geschieht, so wird sie zur Spionage und unterliegt wegen der in der Heimlichkeit liegenden besonderen Gefahr für den Ausspionirten (weniger wegen der in der That gar nicht immer vorhandenen — ehrlosen Gesinnung des Spions")) besonders strengen und rücksichtslosen Abwehr- und Abschreckungsmitteln: der Todesstrafe durch Erschießen oder gar, wie bis in die neueste Zeit allgemein üblich war, durch Hängen. Wegen dieser schweren Folge ist es nöthig, den Begriff des Spions besonders genau festzustellen. Diese Feststellung ist von der Brüsseler Erklärung in folgender zutreffender Weise gegeben worden: Als Spion ist zu betrachten, wer heimlich oder unter unrichtigen Vorwänden in feindlicherseits besezten Oertlichkeiten Informationen, in der Absicht, sie zur Kenntniß der Gegenseite zu bringen, einzieht oder einzuziehen sucht."

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Das entscheidende Moment ist also die Heimlichkeit oder Täuschung, mit welcher die Auskundschaftung begangen wird, so daß auch recht mäßige Combattanten, die in dieser Weise kundschaften, z. B. in Verkleidung, unter den Begriff der Spione fallen und demgemäß behandelt werden können.6) Handelt es sich bei dem heimlichen Vorgehen überhaupt nicht um Auskundschaftung, sondern um die blose Ueberbringung von, eine solche Auskundschaftung und Informirung nicht enthaltenden Botschaften und Depeschen, so wird der Bote nicht blos durch die Heimlichkeit, z. B. Verkleidung, zum Spion, sondern ist nach dem sonstigen Kriegsrecht und nicht nach dem Spionenrecht zu be handeln.7)

Ob die Spionage gelungen oder nur versucht ist, macht, wie sich schon aus der aufgestellten Definition ergeben hat, keinen Unterschied.) Auf das Motiv kommt nichts an. Denn wenn dasselbe auch, wie bemerkt, nicht immer das unehrenhafte der Habsucht zu sein braucht, sondern in ehrenhaftem Patriotismus bestehen kann, so bleibt doch die objective Gefährlichkeit dieselbe.) Eben so wenig macht es einen Unterschied, ob der Spion aus eigenem Antriebe oder im staatlichen Auftrage gehandelt hat.1o)

Nöthig ist und von einer humanen Kriegführung muß verlangt werden, daß bei den schweren Folgen, welche den Spion treffen, in jedem Falle, so weit der energische Gang des Krieges es zuläßt, genau festgestellt wird, ob wirklich eine Spionage vorliegt, anstatt, wie wohl ge schehen, dieselbe auf blosen Verdacht vorschnell anzunehmen. Es foll deshalb die Strafe, selbst bei Ertappung in flagranti, wenigstens in der Regel nicht ohne vorhergegangenes kriegsgerichtliches Urtheil vollzogen

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