Page images
PDF
EPUB

§ 115.

Das Recht auf Aneignung feindlicher Sachen insbesondere (Beute und Plünderung).

Wie bezüglich der Stellung der Kriegsgewalt zu dem fremden Vermögen überhaupt hat sich im Besonderen auch in Bezug auf das Aneignungsrecht an fremden Sachen die völkerrechtliche Auffassung sehr ge ändert, bezw. gerade in das Gegentheil verwandelt, conform der gänz lich veränderten Grundauffassung, welche früher den Gegner als rechtlos betrachtete, ihn heute aber als Rechtssubject anerkennt, das auch in seinen Sachen und Vermögensrechten geschützt ist und darin nur in so weit verlegt werden darf, als dies ausnahmsweise die Kriegsnothwendig. feit verlangt. Daher bestand in der früheren Zeit ein unbeschränktes Aneignungs- und Beuterecht des Siegers, der über das in dem fremden Lande vorgefundene Vermögen, öffentliches wie Privatvermögen, beliebig verfügen konnte; während nach gegenwärtigem Landkriegsrecht die um gekehrte Regel gilt, daß vor Allem an dem Privatvermögen ein An eignungsrecht nicht besteht und an dem öffentlichen, an dem es als Mittel der Schwächung des feindlichen Staates und seiner Kriegführung begründet ist, nur mit verschiedenen Einschränkungen und genauen Regulirungen.

Diese Entwickelung ist aber nur eine sehr langsame und allmälige ge wesen, die namentlich auch mit langem und hartnäckigem Widerspruch der Theorie zu kämpfen gehabt hat,1) so daß sie bis auf den heutigen Tag noch nicht als völlig abgeschlossen und unbestritten feststehend be trachtet werden kann. Es ist ja auch natürlich, daß das fremde Vermögen, so lange man es als rechtlos, herrenlos betrachtete, vorzugsweise zur Wegnahme und Aneignung benuzt wurde, sowohl vom Staate als auch von Truppen und Einzelnen, soweit den letzteren nicht im Interesse des ersteren Zügel angelegt wurden. Ebenso natürlich ist es ferner, daß gerade in dieser Beziehung, wo der Eigennut in Frage kommt und die Gelegenheit zum Zugreifen gegeben ist, der Kampf zwischen dem alten und neuen Princip oder vielmehr das Durchdringen der aus dem neuen Princip fließenden Consequenzen am längsten ge dauert hat, bezw. noch andauert und noch nicht beendigt ist; während das blose zwecklose Zerstören, welches nicht bereicherte, durch die humaneren Sitten und die bessere Mannszucht leichter beseitigt werden konnte. Das neue Princip lautet aber: Schuß des feindlichen Ver mögens, so weit nicht nothwendiger Kriegszweck und Schwächung des Gegners ein Anderes verlangen; und daraus folgt die Consequenz: keine Beute und keine Plünderung mehr. Deshalb wird sich die Entwickelung ergeben, daß das Beuterecht und damit auch die Plünderung,

welche im früheren Kriegsrecht und in der älteren Literatur eine hervor. ragende Rolle spielen, heutzutage nicht nur sehr in den Hintergrund zurückgetreten sind, sondern sogar gar nicht mehr bestehen. Denn es wird sich ergeben, daß selbst das, was man als ausnahmsweises Beuterecht zu bezeichnen pflegt, dies in der That gar nicht ist, sondern auf anderen Gründen beruht, auf Gründen der Kriegsnothwendigkeit und Kriegsmittel, die zur Wegnahme berechtigen, bezw. eine solche nöthig machen, ganz gleichgültig, ob ein Beuterecht, d. h. ein nicht durch die Kriegsnothwendigkeit und die Kriegführung begründetes Recht auf Aneignung besteht und jemals bestanden hat oder nicht, und ganz unabhängig davon.

Bei den Alten, und zwar sowohl den alten Völkern des Orients, als auch Griechen und Römern, war, wie die Zerstörung, so auch die räuberische Aneignung, also ein unbeschränktes Beuterecht des dem rechtlos dastehenden Feinde gehörigen Vermögens feste und selbstverständliche Regel.) Jhr unterstand nicht nur das bewegliche, sondern auch das unbewegliche Vermögen, wenn auch bei den Römern Modificationen eintraten,) bezüglich des letteren die, daß die Grundeigenthümer nur das freie Eigenthum verloren, aber einen abgeleiteten Erbbesig an demselben behielten. Die bei den Römern bezüglich der beweglichen Sachen ebenfalls hervortretende Modification einer gewissen militärischen Ordnung des Beutewesens und der Pflicht zur Herausgabe an den Staat hatte für den Besiegten keine oder wenigstens nur eine secundäre und mittelbare Bedeutung, indem die Regel, daß er beliebig ausgeraubt werden konnte, dadurch nicht principiell geändert und höchstens eine praktische Linderung dadurch herbeigeführt wurde, daß Neigung und Interesse der Soldaten, Beute zu machen, dadurch vermindert wurden.4)

Im Mittelalter blieben zunächst die alten Grundsäße und Uebungen im Wesentlichen bestehen, namentlich was die grundsägliche Zulässigkeit und Rechtsbeständigkeit des Beuterechts anlangt. Das Grundeigenthum der Besiegten wurde wenigstens geschmälert (getheilt); und bezüglich der beweglichen Habe ward nicht einmal an der bei den Römern aufgekommenen militärisch disciplinirten Ordnung festgehalten. Später wurde dann allerdings einerseits das Aneignungsrecht am Grundeigenthum beseitigt und andererseits eine Ermäßigung und Beschränkung bezüglich des beweglichen Vermögens durch Statuirung von Ausnahmen, wie auch wieder eine Regelung des Beutemachens herbeigeführt. Aber das Aneignungsrecht an sich blieb vollständig bestehen, und namentlich war die Plünderung gestattet und geübt, insbesondere nach der Einnahme von hartnädig vertheidigten Festungen,5) in welchem Falle man die Plünderung und die Aussicht auf sie als einen wohlverdienten Lohn, bezw. ein natürliches Ermunterungsmittel für die belagernden Truppen oder als eine Strafe für die hartnäckige Vertheidigung und Verweigerung der Uebergabe betrachtete.)

Eine durchgreifende und grundsägliche Aenderung, bezw. Umkehrung

ist aber erst in der neuen Zeit erfolgt, bezw. noch im Fluß, nachdem sie durch die bereits bei der allgemeinen Schilderung der Entwickelung des Kriegsrechts (§ 68) erwähnten Staatsverträge, namentlich den 1785 zwischen Preußen und Nordamerika abgeschlossenen, durch den Einfluß der Französischen Revolution, durch das Preußische Landrecht,) welches wichtige Fortschritte aufweist, obgleich es von der Reife der neuesten Entwickelung noch fern und in diesem Augenblicke vielfach veraltet ist, und durch die späteren Landesgesetzgebungen angebahnt und dann weiter entwickelt ist.)

Für das hierauf beruhende, neu gestaltete, jest geltende Beuterecht im Landkriege ist zunächst ein zweifacher Unterschied zu machen, je nachdem es sich um Staats- oder Privateigenthum und um bewegliches oder unbewegliches Gut handelt.

Hinsichtlich des unbeweglichen gilt gegenwärtig der Saß, daß es der siegenden Kriegsgewalt nicht mehr zur Beute verfällt, sondern, abgesehen von der bereits erwähnten Benutzung und eventuellen (durch die Kriegsnothwendigkeit begründeten) Gefährdung und Zerstörung, im Fall der Occupation nur vorläufiger Verwaltung, wovon im nächsten Unterabschnitt (III.) zu handeln ist.

Der Sieger hat deshalb keine Aneignungs- und Veräußerungsbefugniß, wovon erst nach einer wirklichen Eroberung, nicht aber vorher, auch nicht bei andauernder Occupation gesprochen werden kann. Auch das bewegliche Gut bleibt, soweit es Privateigenthum ist, und zwar einerlei, ob Eigenthum von Combattanten oder Nicht-Combattanten, frei und ist ebenso wie die persönlichen Rechte durch die Geseze und Strafbestimmungen der einzelnen Länder geschüßt wie im Frieden. Hierin liegt wieder eine grundsätzliche Verschiedenheit zwischen Römischem und mittelalterlichem Recht einer und gegenwärtigem Völkerrecht andererseits.

An dem beweglichen Staats eigenthum hat dagegen der Sieger ein Aneignungsrecht.10) Bei den dem Souverän gehörigen Sachen ist dabei zu unterscheiden, ob es solche sind, die ihm in seiner Eigen schaft als Souverän gehören oder nicht. Die letteren zählen zu den Sachen des Privatvermögens, und es finden bezüglich ihrer Immunitäten nicht statt.

Beide Regeln erleiden aber gewisse Ausnahmen, so daß einerseits Gegenstände des öffentlichen Vermögens nicht weggenommen, andererseits, wenn auch nur noch in sehr beschränkten Grenzen, Sachen Gegenstand der Aneignung werden können, obgleich sie sich in Privateigenthum be finden.

Als bewegliche Sachen des öffentlichen Vermögens, welche nicht wegge nommen werden dürfen, sind zu nennen alle diejenigen, welche dem Cultus und Unterrichte, den Wissenschaften und Künsten, der Wohlthätig. keit und der Krankenpflege dienen.11) Wie also die Kirchen und Schulen, die Bibliotheken und Museen, die Armen- und Krankenhäuser selbst (und

zwar nicht blos die dem Militärsanitätswesen dienenden) gegen Zerstörung geschüßt sind, so sind es auch die zu ihnen gehörigen Gegenstände gegen Wegnahme; und es ist deshalb namentlich die Aneignung von Kunstwerken, von Archiven, von Büchern aus den öffentlichen Bibliotheken nach gegenwärtigem Völkerrecht untersagt.12) Hierher hat man neuerdings auch das Vermögen der Gemeinden gestellt.13) Eine Ausnahmestellung dieses entspricht auch im Allgemeinen dem modernen Princip, läßt sich aber im Kriege nicht in allen Fällen durchführen und ist außerdem in anderen Fällen, z. B. wenn es sich um den Gemeinden gehörige militärische Anstalten u. dgl. handelt, von Haus aus unbegründet.14) Oeffentliche Cassen, Waffen- und Munitionsvorräthe, der Kriegführung dienende Lebensmittel und sonstige Staatsgüter verfallen dagegen der Wegnahme durch den Sieger. Der Leßtere hat über diese Sachen vollständig freie Verfügung und darf sie als Stärkungs- und Unterstützungsmittel der feindlichen Kriegsmacht dem Gegner auf jede Weise entziehen, folglich auch, wenn er sie nicht behalten oder benußen will, zerstören. 15) Diese Rechte bestehen um so sicherer, je entschiedener die Sachen kriegsdienliche sind.

"

Umgekehrt hat sich die Aneignung von Privatvermögen bis in die neueste Zeit dann erhalten, wenn es sich um Gegenstände handelt, welche der besiegte Combattant bei sich führt. Es ist auch in der neuesten Zeit noch für zulässig erachtet worden, daß der siegende Combattant diese Sachen des besiegten, getödteten oder gefangen genommenen, Gegners sich aneignen darf, indem man sie als „preisgegeben "16) betrachtet. Doch darf man, obgleich in der That die „härtere Kriegspraxis und die modernen Ideen des Völkerrechts" hier noch um Geltung ringen", 17) jezt schon sagen, daß dies, abgesehen von Waffen und Pferden, nicht mehr gestattet ist, wie denn in der That das „Preisgeben“ eine nicht zutreffende Fiction und ungenügende Stüße ist, so daß nur ein unmoti= virtes und folglich unrechtliches Aneignen übrig bleibt. Geld und sonstige Werthgegenstände, Uhren, Ringe, Schmucksachen, Kleider sich anzueignen, ist demnach nicht mehr erlaubt, sondern verbrecherische und strafbare Räuberei, womit nicht im Widerspruch steht, daß solche Sachen, um sie vor dem Verkommen zu schüßen, zur Aufbewahrung, Ablieferung und Restituirung hinweggenommen werden dürfen. 18) Anders natürlich der Fall, daß ein gefallener Combattant Sachen des öffentlichen Vermögens bei sich führte, wie z. B. große Geldsummen, von denen angenommen werden muß, daß sie nicht sein Privateigenthum sind.19) Waffen und Pferde und überhaupt die kriegerische Ausstattung sind dagegen, auch wenn sie Privateigenthum sind, noch Gegenstand der Aneignung durch den siegenden Kämpfer. Auch sie sollten es, streng genommen, nicht sein. Doch ist es aus kriegerischen und soldatischen Gründen erklärlich, daß diese Ausnahme sich noch im gegenwärtigen Völkerrechte erhalten hat, um so mehr, als es im Augenblicke des Kampfes oder des eben errungenen Sieges schwer sein dürfte, zu bestimmen, ob öffentliches oder privates

Eigenthum vorliegt, und als es sich dabei nicht um große Werthe und außerdem um verhältnißmäßig seltene Fälle handelt. Denn die große Menge pflegt keine Waffen, die Privateigenthum sind, zu führen, und den Personen, welche lezteres thun, den Officieren und im Officiersrang Stehenden, pflegt man schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, allerdings aus einem anderen Gesichtspuncte, dem des ritterlichen Verfahrens gegen den achtungswerthen Gegner, wenigstens die Waffen sogar zu lassen.

Vorläufige Wegnahme und Sequestrirung, event. Benuzung aller, auch der in Privateigenthum stehenden Waffen, ist übrigens selbstverständlich, 20) soweit sie nicht nach dem eben Gesagten ausnahms. weise belassen werden, da es sich um Gegenstände handelt, welche dem Kriege ganz besonders und unmittelbar dienen und da die Entwaffnung des Gegners Hauptaufgabe der Kriegführung ist.21) Es hat die Frage bezüglich solcher Sachen deshalb nur die Bedeutung, ob die weggenommenen Gegenstand der Aneignung sein dürfen oder restituirt werden müssen, bezw. eine Entschädigung für sie in Anspruch genommen werden kann. Dabei macht es für den von der Wegnahme Betroffenen keinen Unterschied, ob das Weggenommene von dem Einzelnen behalten werden darf oder abgeliefert werden muß. Ebenso unterliegen Waffen vorräthe, Waffen in größeren Mengen, Magazinen, Fabriken u. s. w. und eben so Lebensmittelvorräthe, z. B. von Armeelieferanten u. dgl., selbstverständlich der Wegnahme, sowie auch der Benutzung und Verwendung durch den wegnehmenden Gegner, auch wenn sie Privateigenthum sind. Nur sollte in nothwendiger Analogie der Ausbildung, welche das Requisitionsrecht in neuester Zeit erhalten hat, dem Eigenthümer der Waffenvorräthe wenigstens eine ihm die Entschädigung sichernde Bescheinigung über die erfolgte Wegnahme gegeben werden.

Wenn nun aber diese Wegnahme von Waffen durch die Gefährlich. keit und Benutzbarkeit als Kriegsmittel zu begründen war, so daß ihr Belassen in Feindes Hand und Land eine Stärkung des Lezteren dar stellt, welche die Kriegsgewalt mit dem Zweck und Recht der Schwächung ihres Gegners hinwegräumen darf; so erscheint die Wegnahme von Waffen als eine solche nothwendige und unzweifelhaft gestattete Schwächungs. maßregel, welche zu ihrer Begründung von dem Beuterecht hergenommener Argumente nicht bedarf, oder vielmehr sie ist überhaupt keine Beute. Ebenso steht es aber mit allen Gegenständen des öffentlichen Vermögens, welche vom Gegner weggenommen werden dürfen. Denn ihre Wegnahme wird ganz unabhängig von einem Beuterechte und gleichgültig, ob es ein solches Beuterecht überhaupt giebt oder ge. geben hat, schon durch die Berechtigung, bezw. Nothwendigkeit der Schwächung des gegenüberstehenden Staates durch Verringerung seiner materiellen Hülfsquellen begründet. Und unter denselben Gesichtspunct fällt im Grunde die Wegnahme von Waffen und Pferden der Com battanten. Denn sonst würde die Aneignung von Pretiosen u. dgl.

« PreviousContinue »