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schließen, daß die veränderten Verhältnisse die Aufrechthaltung ihrer alten Grundsäge unmöglich machten, indem die Neutralen sich deren Anwen dung nicht würden gefallen lassen; die Westmächte fürchteten außerdem, daß Amerikaner Kaperbriefe von Rußland annehmen könnten.6) So gab England zu, daß die Flagge die Ladung decken solle, und Frankreich, daß die neutrale Waare unter feindlicher Flagge nicht verfallen sein solle.) Rußland anerkannte die gleichen Grundsäge noch ausdrücklich in dem Vertrage mit den Vereinigten Staaten vom 22. Juli 1854. Diese 1854 nur für die Dauer des Krieges gemachten Zugeständnisse wurden durch die Seerechts-Declaration des Pariser Congresses vom 16. April 1856 definitiv, und alle Staaten traten derselben bei, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, Spaniens, Mericos, Venezuelas, Neu-Granadas, Bolivias und Uruguays. Die Frage der Freiheit des Privateigenthums zur See überhaupt blieb dabei unberührt, die Zugeständnisse betrafen nur den neutralen Handel. Die Vereinigten Staaten dagegen hatten stets festgehalten, daß die Aufhebung der Kaperei mit der Aufhebung des Rechtes der Wegnahme des Privateigenthums überhaupt untrennbar verbunden sei. Auf die Aufforderung Englands, den Grundsäzen der Erklärungen vom 28./29. März 1854 beizutreten, hatte der Präsident Pierce in seiner Botschaft vom 4. December 1854 geantwortet: ,The proposal to surrender the right to employ privateers is professedly founded upon the principle, that private property of unoffending non-combatants. though enemies, should be exempt from the ravages of war."

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Der Staatssecretär der Vereinigten Staaten, W. Marcy, erklärte daher in seiner Depesche vom 28. Juli 1856 an die Gesandten Frankreichs, Großbritanniens, Preußens, Rußlands, Desterreichs und Sar diniens in Washington, daß, so sehr er den Grundsäßen der Declaration zustimme, er doch auf die Abschaffung der Kaperei nur eingehen könne, wenn man einen Schritt weitergehe, indem man hinzuseße: „und das Privateigenthum der Unterthanen oder Bürger jedes der kriegführenden Theile soll auf hoher See frei von aller Wegnahme durch die Kriegsschiffe des anderen kriegführenden Staates sein“. Nur in dieser Fassung könne das Cabinet von Washington den Art. 1 mit den drei anderen annehmen, da sonst die Vereinigten Staaten, welche keine große Kriegsmarine haben, sich also gegen überlegene Gegner nur durch Kreuzer vertheidigen können, den großen Seemächten gegenüber zu stark in Nachtheil kommen würden.") Rußland und Preußen äußerten sich unbedingt zustimmend, Frankreich günstig, und auch in England schien man anfangs geneigt, auf den Vorschlag einzugehen. In einer Rede vom 7. November 1856 sprach Lord Palmerston die Hoffnung aus, that these relaxations of former doctrines which have since been ratified by formal engagements. may perhaps still be further extended without exception to hostilities by sea, so that private property may no longer be the object of aggression on either side". Wäre England damals auf den Vorschlag eingegangen, so wäre die Maßregel bei der günstigen Stimmung aller

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anderen Mächte sicher verwirklicht; es hätte dann im Amerikanischen Bürgerkriege keine Alabamas gegeben, da die Südstaaten durch den früheren Vertrag der Vereinigten Staaten gebunden gewesen wären, und der ganze Streit Englands mit der Amerikanischen Regierung wäre ver. mieden. Obwohl aber die Botschaft des Präsidenten vom 2. December 1856 die Seerechtsfrage aufs Neue betonte, verhielt sich der Amerikanische Gesandte in London, Dallas, dessen persönliche Ansicht war, daß die Vereinigten Staaten niemals und unter keiner Bedingung auf das Recht zur Ausrüstung von Kapern verzichten dürften, passiv, vielleicht weil er als ein heftiger Südstaatler den kommenden Conflict mit dem Norden voraussah, in welchem Kaper die einzigen Waffen des Südens zur See sein würden. Der günstige Augenblick ging vorüber. Der neue Präsi dent Buchanan fand, daß March mit seinen Vorschlägen zu weit gegangen sei. Er stellte die neue Bedingung, daß auch die Blocade der Handelshäfen beseitigt werde, worauf, wie er wußte, die Europäi schen Mächte niemals eingehen würden. Troß energischer Erklärungen Englischer Handelskammern und Parlamentsmitglieder, daß der durch die Pariser Declaration geschaffene Zustand eine unhaltbare Halbheit sei, wurde die Sache aufs Unbestimmte vertagt.

Die Resolutionen der Bremer Kaufmannschaft vom 2. December 1859 für die Freiheit des Privateigenthums zur See fanden in England keine günstige Aufnahme. Lord Palmerston sprach sich am 5. Februar 1860 ganz im Gegensatz zu seiner früheren Rede gegen eine Deputation von Handelsstädten dahin aus, daß England das Recht behalten müßte, Kauffahrer seiner Gegner aufzubringen, und der Versuch der Hansestädte, die Frage auf dem von Napoleon III. vorgeschlagenen Congresse durch die kleineren Seemächte unter Hollands Führung zur Sprache zu bringen, scheiterte, indem derselbe nicht zu Stande kam.

Der Amerikanische Bürgerkrieg zeigte noch eine Verschärfung, indem die Südstaatlichen Kreuzer, da sie die Prisen nicht in ihre blokirten Häfen zur Aburtheilung bringen konnten, dieselben kurzer Hand durch ihre Befehlshaber richteten und meist einfach zerstörten. In diesem Stande verharrt die Frage, abgesehen von Specialverträgen, noch heute. Die Pariser Declaration ist in den Kriegen seit 1856 von allen, die ihr beigetreten sind, beobachtet, andererseits machte sie den Nichtbeitritt nicht zu einer Verlegung des Völkerrechts, und die Contrahenten unternahmen nicht, dieselbe den Staaten, welche den Beitritt ablehnten, aufzunöthigen, obwohl sie selbst in dem Protokoll vom 16. April 1856 sich verbunden haben, que les puissances qui l'ont signée (la déclaration) ou celles qui y auront accédé, ne pourront entrer, à l'avenir, en aucun arrangement, qui ne repose, à la fois, sur les quatre principes objet de la dite déclaration". Dagegen haben die Staaten, welche beigetreten waren, die Grundsäße der Declaration solchen gegenüber beobachtet, die dies nicht gethan, so England und Frankreich im Kriege mit China 1860, Peru und Chili 1865 im Kriege mit Spanien, Frankreich 1870 gegenüber den Vereinigten Staaten und Spanien.

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Die Erklärungen für die Freiheit des Privateigenthums Seitens parlamentarischer Versammlungen, wie des Reichstags des Norddeutschen Bundes vom 18. April 1868 und wissenschaftlicher Autoritäten, wie des Institut de droit international 1875, 1877 und 1882 haben praktische Folgen nicht gehabt. Bei der Brüsseler Conferenz über das Kriegsrecht von 1874 machte England sogar zur Bedingung, daß die seerechtlichen Fragen ausgeschlossen seien. Dagegen haben in dem Kriege von 1866 Desterreich, Preußen und Italien auf die Wegnahme feindlichen Eigenthums zur See verzichtet.) Der Norddeutsche Bund that 1870 dasselbe, ohne daß Frankreich Gegenseitigkeit übte, 10) und gab erst am 19. Januar 1871 diesen Grundsaß auf.11)

1) Mit Unrecht bezeichnet deshalb, wie auch Boeck bemerkt, Pardessus diesen Vertrag als einen solchen, der den Grundsaß, daß neutrales Gut auf Feindesschiffen frei sei, enthalte. (II. p. 303, Note 4.)

2) Rymer, Foedera, V. p. II. p. 161.

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3) Ordonnons que si les navires de nos dicts subjects font en temps de guerre prises par mer d'aucuns navires appartenant à autres nos subjects ou à nos alliez, confederez ou amis esquels il y ait biens, marchandises ou gens de nos ennemis, ou bien aussi navires de nos dicts ennemis, esquels il y ait personnes, marchandises ou aultres biens de nos dicts subjects, alliez, confederez ou amis, ou esquels nos dicts subjects, confederez ou amis fussent prisonniers en quelque portion, que le tout soit déclaré de bonne prise, comme si le tout appartenoit à nos ennemis." (Pardessus IV. p. 316.

4) At the Congress of Chatillon, 1814, the English Plenipotentiary, Lord Castlereagh had orders from his government not even to discuss the question of maritime rights." (Johnston, Handbook of Mar. Rights, p. 81.

5) Monroe legte im December 1823 England, Frankreich und Rußland vor ein „Projet de convention internationale pour régulariser les principes de la neutralité commerciale et maritime", dessen Art. 4 den Art. 23 des PreußischAmerikanischen Vertrages von 1785 wiedergab. In seiner begleitenden Note an Graf Nesselrode vom 5. December 1823 sagte der Gesandte Middleton. „Ce projet en combinant tous les principes essentiels de la neutralité armée. y ajoute celui d'exempter de capture et de confiscation les vaisseaux marchands et les cargaisons appartenant aux puissances belligérantes.“

6) Drouin de l'Huys, Les Neutres pendant la question d'Orient, 1868, p. 14.

7) Identische Erklärungen beider Regierungen vom 28. und 29. März 1854. *) March übersah hierbei allerdings, daß die Abschaffung der Kaperei die Kriegführenden rechtlich nicht hindert, ihre Flotten durch eine freiwillige See wehr zu verstärken. Außerdem aber hatten die Vereinigten Staaten im Bürger kriege zu bedauern, daß sie der Pariser Declaration nicht beigetreten waren, denn da sie sich geweigert, die Kaperei aufzugeben, konnten die anderen Mächte auch den Südstaaten nicht das Recht bestreiten. Kaper auszurüsten.

°) Desterreichische Verordnung vom 13. Mai 1856, Preußische Verordnung vom 15. Mai. Italien hatte bereits durch Art. 211 seines Gesezes über die Handelsmarine vom 21. Juni 1865 die Freiheit des Privateigenthums unter

Bedingung der Gegenseitigkeit erklärt. Die Beschlagnahme und Wegnahme der Handelsschiffe eines feindlichen Staates durch Kriegsschiffe werden im Wege der Gegenseitigkeit hinsichtlich der Staaten aufgehoben, welche ein gleiches Verfahren gegen die Italienische Handelsmarine beobachten.

10) Verordnung vom 18. Juli 1870. Der Antrag Garnier- Pagès' vom 9. Juli in gleichem Sinne kam nicht zur Ausführung. Das Französische Decret vom 21. Juli hielt sich an die Pariser Declaration.

11) Es ist nicht richtig, daß dies, wie Hall annimmt (p. 372, N. a.), geschehen um Genugthuung für die Deutschen weggenommenen Schiffe zu erhalten, und daß Deutschland durch Geiseln und Contributionen Repressalien geübt hat. Die Geiseln, die wir nicht billigen, wurden dadurch begründet, daß die Matrosen der genommenen Handelsschiffe als Kriegsgefangene und noch dazu sehr schlecht behandelt wurden.

§ 126.

B. Das geltende Recht.

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Literatur: Hall III., ch. 6. Twiss II., ch. 8. Halleck ch. 20. Calvo IV., livre VI., sect. 3. Boeck 156-209 und die unter A. an

geführten Schriften.

So lange das Privateigenthum zur See der Wegnahme unterliegt, find folgende Fragen von Wichtigkeit: 1) Wodurch wird der feindliche Charakter des betreffenden Eigenthums begründet? 2) Unter welchen Be dingungen darf die Wegnahme solchen Eigenthums erfolgen? 3) Die Verfügung über dasselbe.

1. Der feindliche Charakter.

Die Entscheidung darüber, ob ein Schiff und seine Waare Feinden gehört, scheint auf den ersten Blick einfach, da alle Unterthanen der Kriegführenden Feinde sind, so daß es deshalb nur darauf ankäme, festzustellen, ob das betreffende Eigenthum einem solchen gehört oder nicht. Diesen Grundsatz hat die Französische Prisengerichtsbarkeit festgehalten. Sie läßt rein die Frage der Nationalität des Eigenthümers über die Eigenschaft seines Eigenthums entscheiden: ein Unterthan des feindlichen Staates, der in einem neutralen wohnt und von dort aus seinen Handel betreibt, bleibt Feind, ein Angehöriger einer befreundeten Macht, welcher im feindlichen Staate wohnt, bleibt wie sein Eigenthum neutral.1) Die Englisch-Amerikanische Jurisprudenz verwirft diesen Standpunct und macht den dauernden Wohnsiz des Einzelnen zum Kriterium des feind. lichen Charakters, obwohl sie sonst den Grundsaß der unveräußerlichen allegiance jedes Unterthanen bis 1870 festhielt. Die Souveränetät er streckt sich auf Alle, welche ein Gebiet bewohnen. Niemand kann dauernd. in zwei Ländern wohnen, dort wo er wohnt, trägt er durch sein Ge werbe und Vermögen, wie speciell durch seine Steuern, zum Wohlstand des Aufenthaltsstaates bei, folglich auch zu dessen Kriegsstärke, selbst

wenn er vom Militärdienst frei ist. Man kann also in dieser Beziehung, wie schon Grotius sagt, keinen Unterschied zwischen indigenae und advenae machen; der letztere hat sich durch freie Wahl seines Wohnortes dem ersteren gleichgestellt, er ist thatsächlich ein Mitglied des Aufenthaltsstaates. Wenn ein geborener Unterthan eines befreundeten Staates sich dauernd in einem Lande niederläßt, das in Krieg mit einem anderen geräth, so ist lezteres berechtigt, ihn und sein Eigenthum als feindlich zu behandeln; lebt dagegen ein Unterthan des Feindes in einem befreundeten Staate und betreibt dort einen friedlichen Handel, so ist kein Grund vorhanden, ihn als Feind zu behandeln, blos weil er staatsrechtlich noch dem kriegführenden Staate angehört. Sein Eigenthum gilt daher als neutral so gut wie das der Unterthanen des neutralen Staates. Der feindliche oder neutrale Charakter hängt also von dem Beweise des dauernden Wohnsizes in einem Staate ab, und legterer gilt als er loschen, wenn der Betreffende das Land bona fide, sine animo revertendi verläßt. So ging z. B. das Order in Council vom 29. März 1854 gegen ,,the ships, vessels and goods, of the Emperor of all the Russias and of his subjects and others inhabiting within any of his countries. territories or dominions". Wird demnach das Eigenthum eines Einwohners des feindlichen Staates weggenommen, so liegt es diesem ob, zu beweisen, daß er gleichwohl nicht als Feind behandelt werden dürfe. Er wird dies nicht, wenn er sofort nach Ausbruch des Krieges Schritte that, seinen Wohnsiz im feindlichen Lande aufzugeben, selbst wenn er dasselbe thatsächlich noch nicht verlassen hat. „The character, that is gained by residence, ceases by residence. It is an adventitious character, which no longer adheres to him from the moment, that he puts himself in motion bona fide to quit the country sine animo revertendi.“ (Lord Stowell, The Indian Chief, 3 Ch., Rob. Rep., p. 20; The Snelle Zeylder, 28 April 1783; The Ocean, 5 Ch., Rob., p. 91.) Ebenso haben die Amerikanischen Gerichtshöfe entschieden. Indeß wenn Jeder in internationaler Beziehung nur einen dauernden Wohnsiz haben kann, so kann er doch dadurch, daß er in einem anderen Lande einen Theilhaber seines Geschäftes hat oder dort selbst Theilhaber ist, für das Eigenthum, das er dort besigt, als Feind betrachtet werden; da er sein Geschäft in zwei Staaten betreibt, von denen der eine neutral, der andere feindlich ist, so wird er als Angehöriger des einen oder des anderen betrachtet, je nachdem das betreffende Geschäft von dem einen oder dem anderen ausgeht. Hat er dagegen seinen Wohnsiz in einem neutralen Lande und beschäftigt nur einen Agenten in einem feindlichen, so wird letterer als bloses Mittel für die Beförderung eines Handels an gesehen, der sich von dem neutraler Kaufleute nicht unterscheidet. Die Englisch-Amerikanische Praxis legt hierbei dem Umstand keine Bedeutung bei, daß der betreffende Eigenthümer Consul einer neutralen oder feind lichen Macht ist, sondern zieht lediglich seinen Status als Geschäftsmanu in Betracht; umgekehrt verliert ein neutraler Unterthan, der seinen

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