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schädigungsklagen von Privatpersonen. Das dritte: das Departement für internationales Privatrecht entscheidet die Collisionen der Civil- und Criminalsachen verschiedener Staaten, und das vierte: das Departement des gesellschaftlichen Völkerrechts, die bezüglichen gesellschaftlichen Streitsachen internationalen oder kosmopoliti schen Charakters z. B. in Bezug auf Weltpost und internationale Telegraphen, Communicationsmittel, Verbreitung von Epidemien, Autor, Patentsachen u. s. w.

Die Versammlung der Glieder eines einzelnen Departements ent scheidet in erster Instanz die ihm competirenden Sachen, die Versammlung aller Gerichtsmitglieder bildet die Cassationsinstanz.

Von den referirten Vorschlägen scheint der lezte wegen seines rein juridischen Charakters den Vorzug vor den übrigen, welche politische Beimischungen enthalten, zu verdienen. Streitsachen, auch internationaler Art, können nur durch juridisch gebildete Richter ent schieden werden und in juridischer Weise. Dem Recht, dem Rechtsverfahren und Rechtsspruch müssen sich alle Staaten in gleicher Weise unterwerfen. Ob sie es wollen, ist freilich eine andere Frage, aber daß sie es sollen, ist eine Forderung des auch für internationale Streitigkeiten zu organisirenden Rechtsstaates. Es ist ein arger Wider. spruch, wenn Staaten, welche für ihre inneren Beziehungen den Rechts. staat acceptirt haben, ihn für ihre äußeren ablehnen, überhaupt für diese nur die Willkür der Politik als maßgebend anerkennen. So lange noch in dem äußeren Staatsleben Gewalt vor Recht geht, sind die Grundrechte des Völkerrechts: die Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit nichtrealisirte Ideen und ist die praktische Anwendung und Geltung des Völkerrechts in Frage gestellt. Nur unter dem Schuß eines gleichen Rechts können die Völkerbeziehungen gleichmäßig und sicher be stehen und sich entwickeln. Es ist aber Aufgabe der Völker, dem Völkerrecht unbedingte Herrschaft zu erringen, und haben die Staatsregierungen die Aufgabe, Wächter und Vollzieher dieses Rechts zu sein.

1) Hugo Grotius, De iure belli ac pacis. II. XXIII. § 8.
Droysen, Histor. Beitr. zur Lehre von den Congressen, i. d. Monatsschr.
Witold Zuleski, Die völkerrechtliche

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der Preuß. Akademie. Juli 1869. 651 ff. Bedeutung der Congresse. Dorpat 1874.

3) Heffter, Völkerrecht. 6. Ausg. 1873. Beilage XIII. Die Congreßpraxis. *) Aegidi's Staatsarchiv. V. Nr. 918 und 964 ff.

5) Lorimer, Proposition d'un congrès international basé sur le principe de facto, in der Rev. d. dr. intern. III. 1 ff.

6) Laveleye 1. c.

7) Bluntschli, Gesammelte kleine Schriften.

Nördlingen 1879. II. 279.

Fünftes Kapitel.

Mittel der Selbsthülfe bei Staatsstreitigkeiten.

I. Retorsion.

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Berner,
Vattel,
Moser,

518 ff.

Literatur: Bulmerincq, Retorsion, in v. Holzendorff's Rechtslericon. III. 461. Wurm, Völkerrechtliche Selbsthülfe, in Rotteck's Staatslericon 1843. XIV. 467 ff. und ebendaselbst in der neuen Ausgabe 1848. XII. I. 111 ff. Burchardi in Rotteck's Staatslexicon. 1865. XII. 498 ff. Retorsion, in Bluntschli's Staatswörterbuch. 1864. VIII. 596 ff. Droit des gens. Ed. Pradier-Fodéré. Paris 1863. II. § 341. Versuch des Europäischen Völkerrechts. VIII. 485 ff. u. IX. II. G. F. de Martens, Précis de droit des gens moderne de l'Europe. Ed. Vergé. Paris 1864. II. § 254. Klüber, Europäisches Völkerrecht 1851, § 54, 58, 234. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht 1878, § 505. Woolsey, International law. 1879, § 118. — Phillimore, Commentaries upon international law. 1873. III. 16, 17, 18. Twiss, Law of nations 1875, II. § 10. — Calvo, 1880. II. 595. — Hall, International law 1880. § 120. Carnazza Amari, Traité de droit international public.

Fiore, Droit F. v. Martens,

Trad. Montanardi-Revest. Paris 1882. III. S. 589 ff.
international public. Paris 1885. II. Seite 660.
Völkerrecht 1886, Deutsche Ausgabe von Bergbohm II. § 105.

§ 17.

Wesen der Retorsion.

Retorsion (von retorquere) bedeutet im Staatenverkehr die eine Unbilligkeit eines Staates mit einer gleichen oder ähnlichen erwidernde Handlungsweise des verlegten Staates.

In einem weiteren Sinn haben die Retorsion unter die Repressalien begriffen Berner,1) Burchardi) und Carnazza-Amari;3) indessen sind beide Institute von einander zu unterscheiden und daher nicht das erstere dem lezteren zu subsumiren. Der Unterschied liegt in der verschiedenen Ursache oder Veranlassung, indem eine Retorsion durch eine Unbilligkeit oder eine Jniquität (jus iniquum) veranlaßt und gegen diese gerichtet wird, eine Repressalie aber durch eine Rechts. widrigkeit oder Ungerechtigkeit (injustitia). 4) Phillimore hat die Retorsion als eine Remedur gegen Abweichungen von der Comity be zeichnet), was freilich vorausseßt, daß Comitas gentium und Aequitas

gleichbedeutend seien, während sie nur mit einander verwandt sind.) Die comitas gentium (Comity of nations, droit de convenance) wird von Webster und Wheeler) erklärt für courtesy of intercourse oder civility. Es wird darunter ein Jnbegriff von Regeln verstanden, welche die Staaten nicht als Rechtsverpflichtungen, sondern aus Conni venz gegen einander beobachten. Connivenz kann jedoch nicht erzwungen werden, indeß beruht sie jedenfalls auf Gegenseitigkeit und kann da her nicht von anderen Staaten gefordert, ihnen selbst aber versagt werden. Da alle civilisirten Staaten eine internationale Gemeinschaft bilden und einander gleich sind, so folgt auch daraus die Pflicht der Gewährung gleicher Rechte nicht blos an die Staaten, sondern auch an deren Angehörige. Es erstreben daher auch die Staaten für ihre Angehörigen in fremden Staaten und für deren Verkehrsbeziehungen zu Angehörigen anderer Staaten oder zu leßteren selbst gleiches Recht und gleiche Begünstigung, und in ihren Verträgen demgemäß die sog. Meist begünstigungs-Clausel. Findet daher eine Zurückseßung der eigenen Angehörigen hinter die Angehörigen anderer fremder Staaten statt, so ist eine erwidernde Retorsion, d. h. eine Zurückseßung der Angehörigen des zurückseßenden Staates in gleicher oder ähnlicher Weise völlig berechtigt, bis jene ursachgebende Zurückseßung aufgehört hat.

Worin kann nun aber solche Zurückseßung bestehen? Schon F. G. von Martens unterschied eine solche durch Weigerung einer gewohn. heitsrechtlichen Bestimmung und durch Einführung einer Unterscheidung in der Behandlung der eigenen Unterthanen und der Fremden. Vattel führte aber als Ursache an, an, daß die Geseze eines Staates eine ungleiche Behandlung bewirken könnten. Und in der That kann auch die Unterlassung der Anwendung einer Gesezesbestimmung auf die Angehörigen anderer Staaten, während sie denen dritter Staaten zu Gute kömmt, diese zu Retorsion berechtigen. Fiore (§ 1227) leitet aber das Retorsionsrecht auch ab aus der Ver legung eines vertragsmäßig begründeten Rechts.

Die Unbilligkeit besteht nun aber nicht blos in der Versagung anderen Staaten oder deren Angehörigen gewährter Billigkeit, sondern auch in der Versagung des anderen Staaten oder ihren Angehörigen gewährten Gewohnheits- oder Gesezesrechtes. Bluntschli hält zwar für Aufgabe der Retorsion einer nachtheiligen Rechtsübung eines anderen Staates entgegenzuwirken, führt aber weiter aus, daß die Retorsion gegen eine unbillige Ausübung fremden Rechts gewendet sei.

Die Retorsion kann aber nicht nur stattfinden, wenn die Angehörigen eines Staates unbillig behandelt werden. Zwar faßt Battel allein den Fall in's Auge, daß ein Souverän nicht be, friedigt sei durch die Art, mit welcher die Unterthanen durch die Geseze und Gebräuche einer anderen Nation (es würde wohl richtiger statt Souverän und Nation „Staat" heißen) behandelt werden,

und es schließt sich ihm Twiss an. Ebenso statuirt Klüber (§ 54), daß eine ungleiche beschwerende Behandlung fremder Unterthanen im Verhältniß zu einheimischen die Retorsion dieser Behandlung von Seite des Heimathstaates begründe. Indeß hebt schon F. G. v. Martens hervor, daß die Pflichten der Billigkeit, Humanität und Schicklichkeit (politesse) in mannigfacher Art unter Nationen mißachtet werden. können, und erklärt Heffter Retorsionen für anwendbar, wenn eine unabhängige Macht gegen andere oder deren Angehörige eine Unbilligkeit sich erlaube. Auch hält Calvo die Retorsion für berechtigt, falls ein Staat aufhöre, bestehende Gebräuche zu achten, und spricht Phillimore geradezu aus: „the ius iniquum of one State is to be encountered by the retorsio legis et iuris of another." In ähnlicher Weise erklären Fiore (§ 1226) und F. v. Martens eine Retorsion für Erwiderung der Handlung eines Staates durch eine gleiche, und läßt Hall die Behandlung der Einzelnen nur mehr hervortreten. Nach Carnazza Amari besteht aber die Retorsion in der jeder Nation eingeräumten Befugniß, das aggressive Benehmen eines andern Staates dadurch zu modificiren, daß sie diesen ein dem ihrigen entsprechendes Unrecht (tort) erleiden läßt.

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Es ist nun aber nicht angänglich mit Phillimore die Retorsion nur als Remedur für Abweichungen von der Comitas zu betrachten, da zu wenig feststeht, welche Völkerrechtsregeln aus dieser ihren Ursprung nehmen, und weil, wie Phillimore (S. 16) selbst sagt: „die Grenzen der Comitas und des Rechts oft durch eine sehr feine und bisweilen kaum wahrnehmbare Grenzlinie geschieden sind." Zu weit geht aber wohl andererseits Twiss, wenn er, in Bezug auf die Retorsion, der Unterscheidung von Fragen des Rechts und der Comitas jeden praktischen Werth abspricht und ihr Schuld giebt, daß sie eher eine Verwirrung herbeiführe als eine größere Klarheit.

Im Allgemeinen wird eine Retorsion ein der Comitas verwandtes billiges Benehmen eines Staates wider den anderen zu erreichen die Aufgabe haben und gegen eine Unbilligkeit gerichtet sein. Dabei kann aber die Unbilligkeit bestehen in sehr verschiedenen Handlungen oder in Unterlassungen desjenigen Staates, gegen welchen durch die Retorsion reagirt wird. Denn daß eine Retorsion, wie Twiss definirt, nur gegen die Weigerung eines Rechtes gerichtet sei, ist in zwiefacher Weise unrichtig. Erstens handelt es sich dabei nicht blos um Retorsion gegen eine Weigerung oder eine Nichtgewährung, sondern auch gegen positive Handlungen, wie z. B. gegen zu hohe Eingangszölle, und sodann auch nicht immer um ein Recht, sondern auch um eine beanspruchte Billigkeit. Im Gegensaß zu Twiss beschränkt nun aber Woolsey die Sphäre der Retorsion auf die unvollkommenen Rechte oder auf moralische Ansprüche einer entgegengesezten Partei, was indessen ebenso wenig richtig ist, weil die durch eine Retorsion zu erwirkende Reaction in der Regel realeren Anlaß hat.

Es sind von den Autoren verschiedene Fälle der Anwendung der Retorsion unterschieden worden, welche aber wohl besser auf zwei Hauptkategorien zurückgeführt werden: die des Rechts und der Wirthschaft. F. v. Martens sagt: „Retorsion wird geübt, wenn irgend welche, namentlich wirthschaftliche Interessen des Staates durch einen anderen Staat verlegt werden." Indeß kommen dabei auch wesentlich Rechtsinteressen in Betracht. Klüber hält mit Recht Retorsionen für berechtigt, sowohl in Bezug auf materielles Recht, bei beschwerender Behandlung fremder Unterthanen im Verhältniß zu einheimischen, z. B. bei Concursen, Erbschaften u. dergl. (§ 54), als auch in Bezug auf formelles Recht bei Verweigerung völlig unpar teiischer und unverzögerter Rechtspflege (§ 58). Bluntschli berücksichtigt ferner in seinen Beispielen sowohl die privatrechtliche Gesezgebung, welche Einheimischen einen Vorzug vor Fremden giebt, als auch ein wirthschaftliches System, welches den Angehörigen des einen Staates den Handel mit den Angehörigen eines anderen erschwert. Auch Hall faßt beide Kategorien ins Auge: das Recht durch be schwerende Geseße, die Wirthschaft durch beschwerende Tarife. Ebenso führt Twiss Fälle beider an. In ersterer Beziehung verlangt er, daß die Souveräne ihre Unterthanen anhalten, Gerechtigkeit zu üben gegen die Unterthanen anderer Souveräne, in lepterer Beziehung gestattet er, daß wenn ein souveräner Fürst den Unterthanen eines anderen Fürsten seine Häfen zur Betreibung friedlichen Handels verschließt, der leztere Fürst diese Behinderung an den Unterthanen des ersteren in Rücksicht auf seine Häfen retorquire. Einzuwenden ist, daß in diesen beiden Fällen nur von Retorsionen zwischen zwei Fürsten die Rede ist, nicht aber auch auf republicanische, überhaupt nicht auf Staaten Rücksicht genommen ist, und ist Das um so weniger richtig, als factisch ja auch in monarchischen Staaten Retorsionen nicht zwischen den Fürsten, sondern zwischen den Staaten geübt werden. Indeß ist es ein aus der Zeit, wo die Lehre der Staatssouveränetät noch nicht ausgebildet war und Fürst und Staat identificirt wurden, ja man lezteren sich nur durch ersteren personificirt vorzustellen im Stande war, herübergenommener Brauch als Subject des Völkerrechts immer den Fürsten anstatt des Staates anzunehmen.

Woolsey führt als Anlaß der Retorsion neben einem Verfehlen gegen die comity oder politeness nur die Erschwerung des Verkehrs durch neue Handelstaren oder ähnliches an, nimmt also gleich F. v. Martens auf das Recht nicht besonders Bezug, sondern nur auf Wirthschaftliches. Nach Calvo gründet sich dagegen die Retorsion darauf, daß ein Land in Bezug auf das andere dieselben Proceduren, dieselben Rechtsregeln auszuüben habe, welcher sich dieses gegen jenes bediene. Daher sei die Anwendung der Retorsion gerechtfertigt, wenn ein Staat unver hältnißmäßig die Eingangsabgaben oder wenn er die Transitabgaben für die Producte eines anderen Staates in solcher Weise erhöhe, daß dadurch

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