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schen wie politischen Pflicht, solchem Rechtsbruch wirksam entgegenzutreten. Aber das formelle Recht, neutral zu bleiben, kann keinem unabhängigen Staate bestritten werden, so lange er nicht zum Gegentheil vertragsmäßig verpflichtet ist, und so lange ein Staat überhaupt neutral bleiben will, hat er mit der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit eines Krieges nichts zu thun. Diese Wahrheit übersah Graf Bernstorff, der Botschafter des Norddeutschen Bundes in London, als er in seinem Memorandum vom 30. August 1870 sich über die Englischen Waffenlieferungen an Frank reich beklagte, und dies damit begründete, daß, da die öffentliche Meinung der ganzen Welt und auch Englands den Kaiser Napoleon eines Friedensbruchs in schlimmster Form für schuldig erklärte, Deutschland berechtigt gewesen sei, anzunehmen, die Neutralität Englands, seines alten Verbündeten gegen Napoleonische Angriffe, werde, wenn auch streng in der Form, doch wohlwollend im Geiste sein. Man darf in völkerrechtliche Fragen nicht politische Sympathien hineinziehen. Politisch mochte man England scharf für seine schwache unschlüssige Haltung vor Ausbruch des Krieges tadeln, aber, nachdem es einmal seine Neutralität erklärt hatte, verlangen, daß sie in einem für Deutschland wohlwollenden, also par teiischen Sinne geübt werde, war völkerrechtlich unhaltbar. Derselbe Einwand ist gegen den Art. 2 des Desterreichisch-Deutschen Bündnisses vom 7. October 1879 zu machen, der für den Fall des Angriffes eines anderen Staates als Rußlands auf einen der Contrahenten, den andern mindestens zu einer wohlwollenden Neutralität verpflichtet.

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Es ist ferner keine Entschuldigung für die neutrale Regierung, zu sagen, ihre einheimischen Geseze reichten nicht aus, eine Verletzung ihrer Neutralität zu hindern. Jeder Staat ist verpflichtet, seine Gesetzgebung so einzurichten, daß jeder Versuch seiner Unterthanen, wie irgend welches Fremden, sich über seine völkerrechtlichen Verbindlichkeiten hinwegzusezen, wirksam zurückgewiesen werden kann. The law of nations is part of the common law," sagt Lord Stowell, d. h. völkerrechtliche Verpflichtungen sind unabhängig von inneren Gesezen. Ist die Gesetzgebung wirklich nicht im Stande, Verlegungen der neutralen Pflichten einer Regierung zu hindern, so muß sie entsprechend geändert werden. Als Frankreich im Revolutionskriege in den Vereinigten Staaten Kreuzer gegen England ausrüstete, sezte Washington mit Aufgebot seines ganzen Ansehens die Neutralitätsacte von 1794 durch, welche dem ein Ende machte. geziemt der Regierung dieses Landes," schrieb er an Hamilton, „jedes Mittel zu gebrauchen, um seine Bürger zu verhindern, uns mit einer jener beiden Mächte zu überwerfen, indem wir uns bemühen, eine strenge Neutralität inne zu halten." Umgekehrt behauptete im Amerikanischen Bürgerkriege Lord Russell, die Englische Foreign Enlistment Act und die darauf fußende Neutralitätserklärung Englands in dem gegenwärtigen Kriege seien lediglich für die eigenen Unterthanen erlassen, so daß sich aus. wärtige Staaten daraus kein Recht herleiten könnten. Die Vereinigten Staaten dagegen erwiderten, daß sie sich zwar nicht in die Fragen der

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inneren Gesetzgebung einzumischen beabsichtigten, daß sie aber wohl ein Recht hätten, sich zu beschweren, wenn dieselbe hinter den Anforderungen des Völkerrechts zurückbleibe; ihnen komme es lediglich darauf an, daß diese erfüllt würden. Daß sie darin Recht hatten, ist durch den Bericht der 1867 eingesetzten Englischen Commission über die Neutralitätsgesehe anerkannt. „We are of opinion, that if the foregoing recommendations should be adopted, the municipal law of this realm available for the enforcement of neutrality, will derive increased efficiency, and will so far as we can see, have been brought into full conformity with your Majesty's international obligations" (Report p. 7). Obwohl also jener Einklang früher nicht bestand, bestand doch schon damals die Verpflich tung, und demgemäß hat England für die Verletzung derselben Genug. thuung geben müssen, indem es durch das Genfer Schiedsgericht zur Zahlung von 5 Millionen Pfd. Sterl. verurtheilt ward.

Indem der neutrale Staat sich so jeder Begünstigung einer der Kriegsparteien enthält, verlangt er aber auch andererseits, daß dieselben gleichmäßig seine Unabhängigkeit streng achten. Vor seinen Grenzen, vor seinen Rechten muß ihre Kriegführung Halt machen. Geschieht dies nicht, so ist er berechtigt, solche Verlegung mit allen Mitteln zurückzuweisen, dafür Genugthuung zu fordern, eventuell sein Recht mit den Waffen zu vertheidigen. Denn der neutrale Staat, indem er seine Unparteilichkeit in einem bestehenden Kriege erklärt, verzichtet damit auf feines seiner Souveränetätsrechte, also auch nicht auf das Recht, seine Unabhängigkeit mit Waffengewalt aufrechtzuerhalten; und viele Kriege haben ihre Ursache lediglich in der Verlegung neutraler Rechte gehabt. Eine bewaffnete Neutralität verlegt also die Rechte keiner Kriegspartei, so lange sie lediglich defensiv ist. Sogar Staaten, welche dauernd als neutral erklärt sind, also sich selbst jedes Krieges enthalten müssen, können alle Vorkehrung zur Vertheidigung ihrer Neutralität treffen, da sie sonst für den Fall, daß ihre Neutralität von dem einen Kriegführenden nicht geachtet würde, dem anderen das Recht geben würden, ein Gleiches zu thun, also die Bedingungen ihres völkerrechtlichen Standes verlieren würden (cf. Kap. 3). Der Neutrale bleibt mit beiden kriegführenden Theilen in gleich freundlichen Beziehungen. Seine Verträge mit beiden bleiben in Kraft, soweit sie sich auf den Friedenszustand beziehen. Es ist also auch keine Verlegung der Neutralität, wenn solche Verträge oder Geseze thatsächlich einem kriegführenden Theile mehr zu Nuzen kommen als dem andern, z. B. der eine von dem beiden freistehenden Rechte, auf neutralem Gebiete Lebensmittel zu kaufen, Gebrauch macht, der andere es nicht kann, weil die feindliche Flotte die Zufuhr nach seinem Gebiete hindert.

Dagegen muß jede Regierung sich hüten, im Frieden Verträge auf den Kriegsfall zu schließen, deren Ausführung nothwendig für den einen Kriegsgegner ebenso vortheilhaft, als für den anderen nachtheilig werden muß. Dies gilt nicht blos von einer theilweisen wirklichen Kriegshülfe, die selbstverständlich mit Neutralität unvereinbar ist, sondern Handbuch des Völkerrechts IV.

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auch überhaupt von einer Haltung, welche dem einen Kriegsgegner mittelbar günstig ist. So verbot 1848 in dem Deutsch-Dänischen Kriege England die Waffenausfuhr nach Deutschland, während die nach Däne mark nicht untersagt war, weil, wie es anführte, es durch einen älteren Vertrag verbunden sei, dies zu thun, sobald solche Waffen für einen Feind Dänemarks bestimmt seien. Es war sehr begreiflich, daß die Dänische Regierung die Ausführung jenes Vertrages verlangte. Aber dieselbe war thatsächlich nichts desto weniger Seitens Englands eine Verlegung der Unparteilichkeit, welche die Neutralität fordert, und die mindestens geboten hätte, daß auch die Ausfuhr nach Dänemark unter sagt wäre. Richtig dagegen handelten die Vereinigten Staaten, die während des Unabhängigkeitskrieges in dem Vertrage von 1778 Frankreich das Recht gewährt hatten, daß seine Kaper mit ihren Prisen in Nordamerikanische Häfen einlaufen dürften, aber im Revolutionskriege auf die Beschwerde von England anerkannten, daß mit der Neutralität dies Recht, das sie Frankreich als Verbündeten gewährt, nicht vereinbar sei und die Erlaubniß durch die Neutralitätsacte von 1794 beseitigten. So sagt Phillimore (III. p. 226, 27): „It is idle to contend that either this previous stipulation or the limited character of the succour can take away the hostile and partial character of such an action. What does it matter to the other belligerent under what obligation contracted by a third power his enemy is strengthened and heartened against him?" Dagegen ist die blose Thatsache der Bundesgenossenschaft mit einem der kriegführenden Theile noch nicht unvereinbar mit der Neutralität, selbst wenn das Bündniß ein dauerndes ist, denn dasselbe kann die Vertheidigungspflicht auf Fälle beschränken, welche den vorhandenen Krieg nicht berühren. Die Staaten des Deutschen Bundes waren 1859 mit Oesterreich verbündet und verpflichtet, jeden Angriff auf dessen dem Bunde angehörigen Besizungen wie gegen sich selbst gerichtet zu betrachten; sie hielten sich aber nicht verpflichtet, an der Vertheidigung seiner Italienischen Provinzen gegen Frankreich und Sardinien theilzunehmen, so lange das Bundesgebiet nicht berührt ward. Auch wenn sonst ein Staat durch frühere Verträge zur wirksamen Unter stüßung eines Kriegführenden verbunden ist, kann der andere ihn nicht ohne Weiteres als Feind behandeln, so lange er nicht thatsächlich aus der Neutralität herausgetreten ist. Der betreffende Staat kann sich weigern, seine Verpflichtung in dem speciellen Falle zu erfüllen, indem er verneint, daß der casus foederis eingetreten sei, oder behauptet, daß der Berechtigte die Voraussetzungen des Bündnisses nicht erfüllt habe, oder sich materiell außer Stande sieht, seine Verpflichtung zu erfüllen. Die Frage, ob diese Gründe stichhaltig sind, oder ob der Betreffende seine Vertragspflicht gegen den anderen Theil verleße, ist nur zwischen diesen beiden zum Austrag zu bringen. Ebenso ist es möglich, daß von zwei in Personal union stehenden Staaten einer nicht am Kriege des andern theilnimmt. Für den anderen Kriegführenden kommt es lediglich darauf an, ob das

thatsächliche Verhalten des betreffenden dritten Staates der Neutralität entspricht oder nicht. Umgekehrt gilt auch ein dauernd neutralisirter Staat in dem Augenblick nicht mehr als neutral, wo er seine angegriffene Neutralität mit den Waffen vertheidigt, obwohl dies die künftige Fortdauer seiner Neutralität noch an sich nicht in Frage stellt, falls er sich auf seine Vertheidigung beschränkt hat.

1) Die Systematik würde verlangen, daß dieser Abschnitt sich unmittelbar an die allgemeine Begriffsbestimmung des Krieges anschlösse, da in der näheren Behandlung desselben fortgehend die Verhältnisse der Neutralen in Betracht gezogen werden, wofür die principielle Grundlage fehlt.

§ 130.

Die Unterthanen der Neutralen.

Aus der Natur der Neutralität ergiebt sich ferner eine eigenthüm liche Unterscheidung der neutralen Regierung von der ihrer Unterthanen. Der Kriegszustand zweier Staaten macht alle ihre Bürger zu Feinden. Unterstüßt einer derselben den Gegner seiner Regierung, so begeht er Landesverrath. Der Verkehr zwischen den Angehörigen beider Parteien hört auf. Anders steht es mit den Unterthanen neutraler Staaten. Diese selbst dürfen in keiner Weise einen der Kriegführenden begünstigen; sie dürfen nicht gestatten, daß einer derselben ihr Gebiet zum Ausgangspunct seiner Operationen macht. Jede Vernachlässigung dieser Pflicht ist eine Verlegung der Neutralität, in welcher der betroffene Kriegführende die Absicht sehen muß, ihm zu schaden. Aber da sie ihre friedlichen Beziehungen mit beiden Theilen fortseßen, sind auch ihre Angehörigen berechtigt, nach wie vor mit denen beider Parteien im Verkehr zu bleiben. Mag dieser Handel dem einen Gegner nüßen, dem andern schaden, ihre Absicht ist keines von beiden, sondern einfach ihr eigener kaufmännischer Gewinn. Andererseits muß jeder Kriegführende suchen, sowohl den Handel des Gegners überhaupt abzuschneiden, als auch be sonders demselben die Zufuhr solcher Gegenstände zu unterbinden, welche zur Kriegführung bestimmt sind, also ihm unmittelbar schaden und den Widerstand des Feindes zu verlängern geeignet sind. Wenn ein Kriegführender einen feindlichen Hafen blokirt, d. h. durch ein Geschwader vom Verkehr absperrt, so kann er offenbar den Schiffen neutraler Staaten so wenig erlauben, in den Hafen hinein und aus demselben herauszufahren, demselben Zufuhr zu bringen und Waaren auszuführen, als er gestatten wird, daß Neutrale in eine belagerte Festung ein- und ausgehen. Und ebenso kann er nicht dulden, daß Neutrale die Freiheit des Seeverkehrs mit seinem Gegner dahin ausdehnen, demselben Waffen zuzuführen.

Der neutrale Angehörige, der dies unternimmt, thut damit an sich fein Unrecht, aber seine Regierung kann den Kriegführenden nicht zu muthen, ihn im Namen der Freiheit des Handels gewähren zu lassen, weil damit die Wirkung der Kriegführung zu sehr beschränkt würde, und weil sie selbst auch nicht darauf verzichten will, im Kriegsfalle ihrerseits das gleiche Recht geltend zu machen, solchen Verkehr mit dem Feinde zu hindern. Aus diesen entgegenstehenden Ansprüchen hat sich ein völkerrechtlicher Compromiß gebildet. Die neutrale Regierung, die kraft der Herrschaft, welche sie über ihr Gebiet übt, bis zu einem gewissen Grade auch verantwortlich für das Verhalten ihrer Unterthanen ist, verbietet demselben solche Handlungen, welche auf eine unmittelbare Kriegshülfe hinauslaufen würden, wie z. B. auf seinem Gebiete Truppen für den einen oder den anderen Theil zu werben, daselbst Kriegsschiffe auszu rüsten u. s. w. Bei anderen Unternehmungen, die an sich in den Bereich des legitimen Handels zwischen befreundeten Staaten fallen und die zugleich von der Regierung schwer zu überwachen sind, die aber gleichwohl einem Kriegsgegner nügen, also dem andern schaden würden, überläßt sie es dem betreffenden Theile, dagegen einzuschreiten; sie spricht für ihre Unterthanen nicht ein unmittelbares Verbot aus, sondern erklärt nur, daß, falls sie sich auf solche Unternehmungen einlassen, sie es auf eigene Gefahr thun und von ihr keinen Schuß gegen die Maß regeln zu erwarten haben, mit welchen die Kriegführenden dies zu hindern suchen, sofern dieselben gewisse Grenzen einhalten.1)

Hat also z. B. ein kriegführender Staat einen Hafen seines Gegners blokirt, so darf eine neutrale Regierung, wenn Handelsschiffe ihrer Unterthanen gleichwohl versuchen, in diesen Hafen ein- oder auszulaufen, sich nicht widersehen, wenn das blokirende Geschwader diese Schiffe weg. nimmt, vorausgesezt, daß die Blokade die völkerrechtlichen Bedingungen erfüllt. Ebenso muß der neutrale Staat es geschehen lassen, wenn Schiffe seiner Unterthanen, die Contrebande, d. h. Waffen oder sonstige zur Kriegführung dienende Gegenstände einem Kriegsgegner zuführen, von dem anderen aufgegriffen und als gute Beute erklärt werden. Erst wenn der betreffende Kriegführende hierbei die Grenzen überschreitet, welche die neutrale Regierung als zulässig betrachtet, tritt dieselbe ein und macht ihn hierfür verantwortlich.

Das Verhältniß zwischen Kriegführenden und Neutralen ist also doppelter Art und unterscheidet sich, wie Hall bemerkt, sowohl hinsicht lich der sich gegenüberstehenden Parteien, als ihrer Beziehungen zu ein ander, als endlich auch der Mittel, welche ihnen gegen eine Rechtsverlegung zu Gebote stehen. Der eine Theil dieser Beziehungen betrifft das Verhältniß der neutralen und der kriegführenden Staaten. Die lezteren haben das Recht, von den ersteren eine unparteiische Haltung zu verlangen, aber demgemäß die Verpflichtung, deren souveränen Rechte zu achten. Die neutralen Staaten haben das Recht, ihre friedlichen Beziehungen mit beiden Kriegführenden fortzusehen, aber die Verpflich=

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