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tung, keinen der beiden unmittelbar oder mittelbar zu begünstigen und in gewissen Grenzen auch Seitens ihrer Unterthanen eine unmittelbare Kriegshülfe zu hindern. Jede Verlegung dieser gegenseitigen Rechte und Pflichten ist eine Verlegung der Neutralität und ist zwischen den Staaten selbst auszutragen.

In dem anderen Theil dieser Beziehungen stehen sich die krieg. führenden Staaten und die einzelnen neutralen Angehörigen gegenüber. Die letteren haben keine Verpflichtungen gegen die ersteren, sondern nur gegen ihren eigenen Staat und dessen Geseze; lassen sie sich auf gewisse Unternehmungen ein, welche ihre Regierung nicht verboten hat, welche sie aber gleichwohl in Conflict mit einem Kriegführenden bringen, so berührt das die Neutralität ihres Staates nicht, sie sehen sich nur persönlich den Nachtheilen aus, welche der Kriegführende ihnen in bestimmten Grenzen zuzufügen strebt.2) Innerhalb dieser Grenzen handelt derselbe nach eigenem Ermessen, das Urtheil seiner Gerichtshöfe entscheidet. Die neutrale Regierung hat so wenig ein Einspruchsrecht als ein Recht, ihre Angehörigen gegen die Folgen von Handlungen zu schüßen, denen sie sich selbst ausgesetzt haben. Erst wenn nach der Ansicht der neutralen Regierung die völkerrechtlich zulässigen Grenzen der Repression solcher Unternehmungen überschritten werden, tritt sie selbst ein und sucht diese Ueberschreitungen des Rechtes der Kriegführenden zurückzuweisen. In der Festsetzung dieser Grenzen des Repressionsrechtes liegt der völkerrechtliche Fortschritt. Da es sich, wie gesagt, bei dieser Frage um einen Compromiß zwischen den Rechten der Kriegführenden und der Neutralen handelt und erstere gerade, je mächtiger sie sind oder je erbitterter sie die Niederlage ihres Gegners verfolgen, um so weniger geneigt sein werden, sich in dem möglichst energischen Gebrauch ihrer Kriegsmittel beschränken zu lassen, so ist es begreiflich, daß der Umfang ihres Rechtes zu einseitigem Einschreiten gegen Unternehmungen neutraler Angehöriger, welche ihre Action schädigten, Gegenstand langen Kampfes gewesen ist und noch heute nicht in allen Einzelheiten feststeht. Unbestreitbar aber bleibt, daß dies ursprünglich unbeschränkte Repressionsrecht immer mehr an be. stimmte Bedingungen gebunden ist, und die Macht der Verhältnisse ebenso dahin drängt, seine Grenzen auf das mit dem unbestreitbaren Bedürfniß der Kriegführung vereinbare Maß zu beschränken, als dieselben allgemein rechtlich verbindlich zu machen.

1),,The laws of the United States do not forbid their citizens to sell to either of the belligerent powers articles contraband of war, or take munitions of war or soldiers on board their private ships for transportation, although in so doing the individual citizen exposes his property or person to some of the hazards of war. (President Pierce's Message, 1855.)

En consultant les règles prescrites, soit par l'usage, soit par les traités, on trouvera, non que le commerce des objets appelés de contre

bande, rompt la neutralité, mais que les particuliers qui l'entreprennent s'exposent à une simple confiscation." (Observations de la cour de Versailles sur le mémoire justificatif de la cour de Londres de 1778. Martens, Causes célèbres III. p. 247.) — „Although in so doing the individual citizen exposes his property or person to some of the hazards of war, his acts do not involve any breach of national neutrality, nor of themselves implicate the government." (President Pierce's Message 1855.)

§ 131.

Geschichtliche Entwickelung der Neutralität.
A. Im Alterthum.

"

Der Rechtsbegriff der Neutralität ist dem Alterthum fremd; man war sich zwar sehr klar darüber, daß jede einem Feinde gewährte Hülfe ebenso unverträglich mit einem freundschaftlichen Verhältniß sei, wie offenbare Bedrohung eines Staates. Wenn," sagt Demosthenes, „Jemand rüstet, um mir zu schaden, ist er mein Feind“, „zav pýno ßálky undè τoževn“ (Philipp. III. § 115). Aber man gestand es anderer seits nicht dritten Staaten als ein Recht zu, zu erklären, sie wollten mit einem Kriege nichts zu thun haben, sondern mit beiden Theilen in guten Beziehungen bleiben. Wie Solon den in einem inneren Aufstande η μηδετέρας μερίδος γενόμενον" mit Strafe bedrohte, fo glaubte aud jever im Kriege befindliche Staat von anderen verlangen zu können, daß sie auf seine Seite träten, wenn sie nicht als seine Feinde gelten wollten. Die Möglichkeit der Neutralität, als einer unparteilichen Nichttheilnahme am Kriege Anderer, war freilich nicht unbekannt. Im Perserkriege suchte Argos neutral zu bleiben. Als 429 die Lakedämonier gegen die Platäer ziehen, berufen sich lettere darauf, daß wegen ihrer Hülfe gegen die Perser ihnen sugefidert μαὐτονόμους οἰκεῖν, στρατεῦσαί τε μηδένα ποτὲ ἀδίκως ἐπ' αὐτους, μηδ ̓ ἐπὶ δουλεία." Der Safesamonij de Selsberr Archidamos bestreitet dies nicht und sagt, das Beste wäre zwar, wenn sie hülfen, die übrigen Staaten von den Athenern zu befreien; wollten sie δας aber nicht ἡσυχίαν άγετε νεμόμενοι τὰ ὑμετέρα αὐτῶν, καὶ ἐστὲ μηδὲ μεθ ̓ ἑτέρων, δέχεσθε δὲ ἀμφοτέρους φίλους, ἐπὶ πολέμῳ δὲ μηδετέρους, καὶ τάδε ἡμῖν ἀρκέσει," alio eine boufommen er schöpfende Definition neutraler Haltung (Thuf. II., 71, 72). Aber eine solche wird niemals durchgeführt. Nach dem Siege über die Perjer muß Argos seine Enthaltung büßen. Die Platäer wollen nicht auf den Vorschlag des Archidamos eingehen, weil die Athener dies nicht dulden würden. Darauf macht Archidamos einen zweiten merkwürdigen Vorschlag; sie sollten ihr Gebiet mit Allem, was darin sei, den Lakedämoniern übergeben und während des Krieges anderswohin ziehen. Wenn derselbe zu Ende ist, wollen wir Alles, was uns übergeben ist,

zurückerstatten; bis dahin wollen wir es als Unterpfand behalten und bebauen lassen und euch einen Antheil geben, der für eure Bedürfnisse hinreichen wird.“ Die Platäer aber ziehen vor, sich mit den Athenern zu verbünden. Vollends fiel es keinem Kriegführenden ein, das Gebiet eines dritten Staates, mit dem er nicht im Kriege war, als unverleßlich zu betrachten. Es galt schon als besonders lobenswerth, wenn ein Heer durch ein solches zog, ohne irgend welchen Schaden anzurichten (μydèv Bhavas, Xenoph., Exp. Cyr. II., § 12.)

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Roms Politik duldete grundsäßlich keine Neutralität. (Romanos) aut socios aut hostes habeatis oportet: media nulla via est," sagt Aristänos den Achäern (Livius XXXII.). Die Möglichkeit eines Mittelzustandes wird freilich zugegeben, nam si cum gente aliqua neque amicitiam, neque hospitium, neque foedus amicitiae causa factum habemus, hi hostes quidem non sunt," aber seht Pomponius hinzu: .quod autem ex nostro ad eos pervenit, illorum fit, et liber homo noster ab eis captus servus fit illorum. Idemque est si ab illis ad nos aliquid perveniat" (1. 5, § 2, Dig. 49, 15), was der Neutralität widerspricht. Proculus bemüht sich zwar zu zeigen (1. 7, § 2), daß ein Volk frei bleibe, d. h. nullius alterius populi potestati subiectus," wenn es auch mit Rom dahin verbündet sei, daß es dessen „majestatem comiter observaret," aber ein Recht auf Neutralität bei einem Kriege Roms war damit nicht vereinbar; nur insoweit ließ dieses sich eine solche Haltung anderer Staaten thatsächlich gefallen, als dieselben dadurch in einem Kriege seine Grenzen deckten. Je mehr aber Roms wachsende Macht der Weltherrschaft zustrebte, „,qui mare, qui terras, omni ditione tenerent" (Virg. Aen. I. v. 234), desto weniger bedurfte und duldete es jolche Neutralität. Bei anderen Staaten, welche ihre Unabhängigkeit gegen Rom zu behaupten suchten, tritt der Begriff der Neutralität schärfer hervor. Die bezeichnendste Stelle findet sich bei Livius XXXV. c. 48, wo der Gesandte des Antiochus den Achäern sagt, sein König fordere nichts von ihnen in quo fides eorum adversus Romanos, priores socios atque amicos laedatur. Non enim, ut secum adversus eos arma capiant, sed ut neutri parti sese conjungant, petere. Pacem utrique parti, ut medios deceat amicos optent, bello se non interponant. Idem ferme et Aetolorum legatus petiit, ut quae facillima et tutissima esset, quietem praestarent, spectatoresque belli fortunarum alienarum eventum sine ullo discrimine rerum suarum opperirentur.“ Auch von den Trevirern bei dem Bündniß der Gallischen Stämme unter Vercingetorix heißt es: Quod aberant longius et ab Germanis premebantur, quae fuit causa, quare toto abessent bello, et neutris auxilia mitterent" (De bello Gall. VII., 53). Die Römer achten solche Neutralität nicht, sie verlangen thätigen Anschluß. Die Hauptforderung freundschaftlicher Beziehungen ist: „Hostes eosdem habeto, quos populus romanus, armaque in eos ferto, bellumque pariter gerito". (Livius XXXVIII., 8.)

§ 132.

B. Im Mittelalter.

Noch weniger konnte von Neutralität die Rede sein in den Stürmen der Völkerwanderung und den darauf folgenden jahrhundertelangen Kämpfen des Kaiserthums und Papstthums, der christlichen Welt mit der muselmännischen, der Lehnsstaaten unter einander. Der Handel beruhte daheim wie in fremden Staaten, auf Privilegien und Monopolen, um welche die mächtigeren Handelsrepubliken mit einander stritten. Venedig, Genua, Pisa wußten sich solche in der Levante zu schaffen und sezten ihren Handel mit ihren dortigen Niederlassungen fort, wenn die betreffenden Territorialstaaten im Kriege mit anderen waren. Sie durch brachen auch die Decrete der Concilien und Bullen der Päpste, welche allen Verkehr mit den Saracenen verboten und ließen sich von musel männischen Herrschern Handelsprivilegien geben. Aber das war keine Neutralität, sondern wurde vielmehr der Anlaß zu fortwährenden Kämpfen untereinander. Nicht anders machten es die Hansen; sie banden sich an keine festen Grundsäße, deren Einhaltung doch keine andere Macht im Norden zu erzwingen im Stande war. Sie kümmerten sich wenig oder gar nicht um Kriegszustände zwischen dritten Mächten, ließen sich auch wohl privilegiren" zur allzeit freien Fahrt inmitten solcher Kämpfe, an denen sie sich nicht betheiligten; waren sie aber selbst im Kriege, so suchten sie ihren Feind von allem Verkehr so vollständig abzusperren wie möglich. Nur das gebot die Klugheit, den Privatkapern zu untersagen, andere Schiffe und andere Gebiete als die der Feinde anzugreifen, indem dadurch ja der eigene Staat in neue Feindseligkeiten verwickelt werden kann. So heißt es in dem Breve curiae maris von Pisa (1298): „Illi armatores dent idoneam securitatem communi Pisano, de non offendendo aliquos alios, nisi inimicos Pisani communis." (Pardessus IV. p. 586.)1) Ebenso verlangt ein Genuesisches Statut von 1316 in solchem Falle Bürgschaft de non offendendo aliquem vel aliquos Venetos seu Pisanos, vel aliquem vel aliquos qui sint amici vel de amicitia communis Januae; de non afferendo alicui praedictorum rapinam, iniuriam, violentiam vel gravamen ad quemcunque locum vadant vel de quocumque loco veniant et de non committendo aliquid per quod commune Januae possit in aliquam brigam pervenire vel in guerram seu dampnum incurrere" (ibid. p. 440). Soweit aber vertragsmäßige Bestimmungen getroffen werden, schränken sie das Recht der Kriegführenden nicht zu Gunsten der Neutralen ein, sondern erweitern es, wie dies beim Seekrieg dargelegt ist. Dort sind denn auch die schwachen Anfänge neutraler Rechte und Pflichten erwähnt, welche wir im Mittelalter finden, die auf einer gewissen Gemeinschaft der Religion und Cultur, sowie der Handels interessen beruhten, aber doch stets wieder von der Selbsthülfe über wuchert wurden. Zu Lande kommt der Begriff der Neutralität früher zum Durchbruch als zur See; aber auch hier werden die Rechte der

Neutralen nicht anerkannt und ihre Pflichten sind fast null. Wir sehen Staaten, die neutral zu sein behaupten, einem der Kriegführenden Geld und Truppen liefern, und es kommt vor, daß Soldtruppen eines Landes in den Lagern beider Feinde kämpfen, wobei die Regierungen behaupten, daß sie mit beiden Theilen Freund bleiben. Während des Unabhängig. keitskampfes der Niederlande gegen Spanien kommen Englische und Französische Truppen ersterem zu Hülfe. Im dreißigjährigen Kriege schlägt sich der Marquis von Hamilton mit 6000 Schotten gegen den Kaiser, und doch behaupten England und Frankreich in beiden Fällen neutral zu sein. Noch weit öfter gestattet ein Staat einem Kriegführenden, in seinem Gebiet Truppen zu werben. Die Schweizer Cantone haben dies bekanntlich bis in die Neuzeit fortgesetzt und deshalb zahlreiche Verträge geschlossen. So verspricht die Eidgenossenschaft dem König Franz I. 1521, daß er für jeden seiner Kriege 6000-16000 Mann aus allen Cantonen auf seine Kosten ausheben könne, welche sie nicht zurückzuberufen sich verpflichte, so lange der Krieg dauere und sie nicht selbst in Krieg verwickelt werde. Kurz die Kriegshülfe war nur durch die Furcht beschränkt, von dem andern kriegführenden Theile deshalb geschädigt zu werden. So blieb nur übrig, sich gegen solche Benachtheiligungen durch Specialverträge zu sichern, durch welche man sich versprach, daß keiner der beiden Theile den Feinden des anderen irgendwie beistehen wollte, so schon in einem der ältesten Verträge zwischen England und Frankreich von 1303: „Accordé est que l'un ne receptera ne soustendra ne confortera, ne sera confort ne ayde aux ennemis de l'autre" (Rymer, Foedera II. p. 927); Art. 3 des Vertrages zwischen Heinrich VII. von England und Philipp, Erzherzog von Oesterreich, von 1495: „Quod neuter, immo nulla partium praedictorum praestabit auxilium, consilium vel favorem notoriis hostibus, vel inimicis alterius partis, tam per mare, terram, vel aquas nullas infestare vel invadere volentibus" (Schmauss, Corp. jur. Acad. I., p. 135) oder wie es in einem Vertrage Heinrich's VII. von England mit dem Kurfürsten von Sachsen von 1505 heißt: „Dominia alterius a suis subditis invadi aut expugnari non permittet, sed expresse et cum effectu prohibebit et impediet, nec alicui alteri dominia alterius. invadenti, consilium, auxilium, favorem, subsidium, naves, pecunias, gentes armorum, victualia aut aliam assistentiam quamcumque publice vel occulte dabit, aut praestari consentiet, sed palam et expresse prohibebit et impediet." Ebenso versprachen sich Franz I. und Heinrich VIII. im Friedensvertrage von 1525 für sich und ihre Erben und Nachfolger ,quod neuter subsidia, auxilia, gentes armorum aut aliquam assistentiam, re, verbo, consilio aut assensu praestabit aut dabit, directe aut indirecte, secrete aut aperte aut quocumque colore quaesito cuicumque alii Principi, genti populo, aut nationi alterum praedictorum Principum ejusve regnum, terras, patrias aut dominia nunc possessa invadenti aut invadere volenti aliquidve aliud in praeiudicium, damnum ant gravamen alterius Principis molienti." (Schmauss 1. c. p. 225.)

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