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zeichner des Berliner Vertrages von 1878 einladen, um eine Con vention für die bessere Sicherheit der freien Schifffahrt durch den Canal gutzuheißen und die Grundzüge anzugeben, welche dabei sanctionirt werden sollen. Diese sind folgende:

1. Der Canal soll in Friedens wie Kriegszeiten für die Durch fahrt aller Kriegs- und Handelsschiffe von einem Meere zum anderen frei sein, ohne Unterschied der Flagge und unter der alleinigen Bedingung, daß die Passanten die festgesezten Abgaben zahlen und sich den Vorschriften der Canalbehörde unterwerfen. 2. Die Großmächte sollen sich verpflichten, in Kriegszeiten niemals die freie Durchfahrt zu hindern und alles Eigenthum des Canals zu achten. 3. Der Canal darf nie blokirt werden, und kein Kriegsact noch irgend welche Feindlichkeit dürfen in demselben sowie an seinen Mündungen in einem Radius von 3 Seemeilen geübt werden. 4. Die diplomatischen Agenten jener Mächte in Aegypten sollen die Ausführung dieser Bestimmungen überwachen, sobald Umstände eintreten, welche die Sicherheit oder Freiheit der Durchfahrt bedrohen könnten. Zu diesem Zwecke sollen sie sich auf die Aufforderung eines von ihnen unter dem Vorsig eines von der Pforte für diesen Zweck ernannten Special Commissars versammeln, die Frage der Gefahr klarstellen und die Aegyptische Regierung auffordern, entsprechende Schuzmaßregeln zu treffen, jedenfalls aber sollen sie einmal jährlich zusammentreten, um festzustellen, daß die Abmachung über den Canal beobachtet ist. 5. In derselben soll außerdem ausgemacht werden, daß den für die Vertheidigung Aegyptens und die Sicherheit des Canals nothwendigen Maßregeln kein Hinderniß entgegengestellt werden darf. 6. England und die Pforte werden auch alle anderen Staaten einladen, dieser Convention beizutreten. 7. Nach einer Zusazbestimmung sollen die Staaten, welche dies gethan, falls durch irgend welchen Umstand die Schifffahrt durch den Canal behindert ist (obstructed), das Recht haben, durch das Aegyptische Gebiet die Truppen zu senden, welche sie von einem Meere zum andern bringen wollen; jedoch sollen niemals mehr als 1000 Mann eines Staates zugleich auf Aegyptischem Boden weilen und der Durchmarsch so rasch wie möglich vollzogen werden; auch soll derselbe dem Befehlshaber des betr. Hafens 24 Stunden vorher angezeigt werden. Diese ständige Servitut erschien nicht mit Unrecht als unverträglich mit der Unabhängigkeit Aegyptens, bezw. der Pforte, zumal sich hieran Verabredungen über eine eventuelle Rückkehr Englischer Truppen nach der Räumung schlossen, welche lettere ziemlich illusorisch machten.

Demgemäß protestirten Frankreich und Rußland auf das Bestimmteste gegen den Vertrag und die Pforte wagte nicht, ihn zu ratificiren.

An diese Differenzen knüpften die neuesten Verhandlungen zwischen England und Frankreich an, welche zu der, vorbehältlich der Zustimmung der anderen Unterzeichner des Berliner Vertrages, zwischen beiden Mächten am 24. October 1887 unterzeichneten Convention führten. Dieselbe lautet ihrem wesentlichen Inhalt nach wie folgt:

Art. 1. Der Suez-Canal wird immer, in Kriegs- wie in Friedenszeiten, frei und allen Handels- und Kriegsschiffen ohne Unterschied der Flagge geöffnet sein. In Folge dessen verpflichten sich die Vertragsparteien, den freien Gebrauch des Canals weder in Kriegs noch in Friedenszeiten zu behindern. Der Canal darf niemals in Blokadezustand versezt werden. Art. 2 verspricht das Gleiche für den Süßwasser-Canal „,et ses dérivations". Durch Art. 3 verbinden sich die Mächte „à respecter le matériel, les établissements, constructions et travaux" beider Canäle. Art. 4 besagt, daß, da der Canal auch in Kriegszeiten den Kriegsschiffen der Kriegführenden nach Art. 1 offen bleibt, die Mächte sich verbinden, daß kein Kriegsrecht, kein Act der Feindseligkeit, noch ein Act, der die freie Schifffahrt im Canal zu hindern bezwecke, im Canal, seinen Zugangshäfen und einem Rayon der letzteren von 3 Seemeilen geübt werden könne, selbst wenn die Pforte kriegführender Theil sei. Die Kriegsschiffe der Kriegführenden können im Canal und seinen Zugangshäfen nur die nöthigsten Vorräthe einnehmen. Ihre Durchfahrt soll so rasch wie möglich erfolgen, der Aufenthalt in Port Said und Suez nicht 24 Stunden überschreiten, außer bei Seenoth, wo sie so rasch wie möglich weiterfahren sollen. Zwischen der Abfahrt eines Kriegsschiffes aus einem der Zu gangshäfen und der eines des anderen kriegführenden Theiles müssen 24 Stunden verstrichen sein. Art. 5. In Kriegszeiten werden die kriegs führenden Mächte in den Zulaßhäfen und im Canal weder Truppen noch Schießbedarf noch Kriegsgeräth weder aus- noch einschiffen. Jedoch im Fall eines „empêchement accidentel" im Canal kann man Truppen in einzelnen Gruppen von nicht mehr als 1000 Mann in den Zugangs. häfen mit entsprechendem Kriegsmaterial aus oder einschiffen. Art. 6. Die Prisen werden in jeder Beziehung dem nämlichen Regime wie die übrigen Kriegsschiffe unterworfen werden. Art. 7. Die Mächte dürfen in den Gewässern des Canals, den See Timsah und die Seen bitteren Wassers mitbegriffen, keine Kriegsschiffe unterhalten. Indeß können sie in den Häfen von Port Said und Suez Kriegsschiffe halten lassen, deren Zahl jedoch zwei nicht überschreiten darf. Dies Recht kann nicht von Kriegführenden geübt werden. Art. 8. Die Vertreter der Mächte in Aegypten, welche den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet haben, werden mit der Ueberwachung desselben betraut werden. Bei jeder Gelegenheit wo die Sicherheit oder die freie Durchfahrt des Canals bedroht ist, werden sie sich auf den Antrag von drei von ihnen unter Vorsiz ihres Doyens versammeln, um die nothwendigen Feststellungen vorzunehmen. Sie werden der Regierung des Khedive von der Gefahr Kenntniß geben, damit derselbe die zum Schuß und dem freien Gebrauch des Canals geeigneten Maßregeln ergreife. Sie werden sich jedenfalls einmal im Jahre versammeln, um sich zu versichern, daß der gegenwärtige Vertrag richtig ausgeführt wird. Sie werden namentlich die Unterdrückung eines jeden Festungswerkes oder die Auflösung eines jeden Truppencorps verlangen, welches auf der einen oder der anderen Seite des Canals den Zweck oder die Wirkung

haben könnte, die Freiheit und die volle Sicherheit der Schifffahrt zu schädigen. Art. 9. Die Aegyptische Regierung wird nach Maßgabe ihrer Competenz die nöthigen Maßregeln treffen, um die Ausführung dieses Vertrages zu sichern, und falls ihre Mittel dafür nicht ausreichen, sich an die Pforte wenden, welche sich mit den Mächten über die nöthigen Maßregeln einigen wird. Art. 10. Die Bestimmungen der Art. 4, 5, 7, 8 sollen die für die Vertheidigung Aegyptens nöthigen Maßregeln Seitens des Sultans und Khedives aus eigenen Mitteln nicht hindern. Art. 11. Dies darf aber den freien Gebrauch des Canals nicht hindern, und die Errichtung bleibender Befestigungen ist nicht gestattet. In Art. 12 verpflichten sich die Mächte, sofern der Canal in Betracht kommt, keine Gebiets- oder Handelsvortheile, noch Vorrechte in den zukünftigen internationalen Abmachungen zu suchen. Die Rechte der Türkei als Territorialmacht sind dabei vorbehalten. Art. 13. Abgesehen von den Bestimmungen des vorliegenden Vertrages werden die souveränen Rechte des Sultans und die Rechte und Freiheiten des Khedive, wie sie die Firmane festgestellt haben, nicht geschädigt werden. Art. 14. Die Vertragsmächte kommen überein, daß die aus dem gegenwärtigen Vertrage hervorgehenden Verpflichtungen nicht durch die Dauer der Concession der Gesellschaft des Suez-Canals begrenzt werden. Art. 15. Die Bestimmungen des gegen wärtigen Vertrages bilden kein Hinderniß für die in Aegypten bestehenden Gesundheitsmaßregeln. Art. 16 fordert die übrigen Mächte auf, dem Vertrage beizutreten, was dieselben gethan; auch die Pforte hat sich nach längerem Zögern mit ganz unwesentlichen Aenderungen dazu entschlossen.

Die dauernde Neutralisirung großer Gebiete und Staaten, wie sie vorstehend ausgeführt ist, bleibt die Ausnahme, die regelmäßige ist die, welche jeder Staat in einem Kriege beobachtet, an welchem er nicht theilnehmen will. Diese ist nun stets bei allen Staaten anzunehmen, die nicht das Gegentheil erklärt haben, wenn der Theilnahme an einem Kriege nicht ein thatsächlicher Eintritt in denselben vorausgegangen ist; aber wie die Kriegführenden regelmäßig den Neutralen den Beginn des Krieges speciell oder doch durch allgemeine Erklärung ankündigen, um festzustellen, von welchem Augenblick an die Pflichten der Neutralität beginnen, so wird auch durchweg die Neutralität bei jedem Kriege, der den betreffenden Staat berühren kann, ausdrücklich erklärt, schon weil die neutrale Regierung ihren Unterthanen sagen muß, was ihnen in Bezug auf die Kriegführenden erlaubt oder verboten ist.

1) Lawrence, The Panama-Canal and the Clayton-Bulwer Treaty in Essays on some disputed questions of modern international law, 1885, p. 89. Die sämmtlichen Amerikanischen Actenstücke in Wharton's Digest of the inter national law of the United States II., § 150 f.

2) Vgl. Twiss, De la sécurité de la navigation dans le canal de Suez, (Revue de droit intern., 1882, p. 572), Lawrence, The Suez Canal in inter

national law (Essays p. 41), 1885; Procès-verbaux de la Conférence internationale réunie à Paris du 30 Mars à 12 Juin 1885, pour réglementer le libre usage du Canal de Suez, Martens, Nouv. Recueil Gèn, 2. série, XI., p. 307-460. Französ. Gelbbuch, Négociations relatives au règlement international pour le libre usage du canal de Suez, 1886-87. Paris 1887; Handbuch Bd. II.

§ 138.

Pflichten und Rechte der Neutralen.

Die Neutralität besteht in der thatsächlichen Beobachtung vollkommener Unparteilichkeit für alle Beziehungen zu den Kriegführenden, also der Enthaltung von allem, was den einen derselben begünstigt und demgemäß dem anderen schaden muß; es giebt also, von der dauernden Neutralisirung eines Staates abgesehen, keine qualificirte Neutralität; man ist neutral oder ist es nicht. Freilich verlegt es die Neutralität eines Staates noch nicht, wenn dessen Angehörige ihre Sympathie mit einem kriegführenden Theile aussprechen. Große Kriege geben je nach ihren Zielen und der Art ihrer Führung stets Anlaß zur Parteinahme; 1870 nahm Präsident Grant in seiner Neutralitätsproclamation ausdrücklich in Anspruch, „daß die freie und volle Aeußerung der Sympathien öffentlich und anderweitig nicht eingeschränkt sei durch die Geseze der Vereinigten Staaten". Anders aber steht es mit der Regierung eines Staates, der neutral bleiben will; diese hat keine Sympathien oder Antipathien zu äußern, sie kann zwar einem Kriegführenden, zumal wenn sie an vor gängigen Verhandlungen über die Streitfrage theilgenommen, erklären, daß sie seinen Entschluß, zu den Waffen zu greifen, mißbillige, wie dies 3. B. die Englische Regierung im Frühjahr 1877 bei der Russischen Kriegserklärung gegen die Türkei that, sie kann demselben auch im Fortgange des Krieges ihre Ansicht über einzelne Vorkommnisse desselben offen sagen und ihm bemerken, daß die Fortdauer ihrer Neutralität die Einhaltung gewisser Bedingungen vorausseße, wie dies gleichfalls England Rußland gegenüber damals that, aber die Regierung als solche hat sich nicht zum Mundstücke der öffentlichen Meinung zu machen. Es war mindestens höchst unklug, wenn Englische verantwortliche Minister und Staatsmänner wie Gladstone und Russell im Amerikanischen Bürgerkrieg im Parlament ihren Sympathien für den Süden offenen Ausdruck gaben und erklärten, es würde eine großes Unglück sein, wenn der Norden den Süden mit den Waffen unterjoche.1) Wenn später die Englische Regierung die Klagen Seward's über ihre Sympathien für den Süden mit der Bemer kung zurückwies: „The matter in dispute is action and not motive, therefore the discussion is irrelevant", so ist dies zwar an sich richtig, aber es bleibt darum doch wahr, daß die Motive der Wille sind, welcher den Arm zum Handeln führt, und ohne die Sympathie der regierenden

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Classen Englands für den Süden hätte es schwerlich eine Alabamafrage gegeben.

Durchaus unberechtigt aber war die Beichwerde der Norditaaten über die Anerkennung des Südens als kriegführenden Theiles und die Behauptung, daß dies eine dem Völkerrecht wideriprechende Intervention jei. Der Staatssecretär Seward segte sich mit diefer wiederholten Beschwerde in offenen Widerspruch mit der bisher befolgten Braris der Ber einigten Staaten. Für die Anerkennung der Rechte eines kriegführencen kommt es lediglich auf die Thatsache an, ob sich zwei Barteien gegen. überstehen, welche beide als staatlich organisirt gelten fönnen, oder oh die eine als nur im vorübergehenden Aufitand begriffen anzusehen ist, wie die Polen 1831 und 1862; die Südstaaten aber waren unzweifelhaft eine solche organisirte Macht und ihre Regierung übte in ihrem Gebiete unbestrittene Autorität. Nur die Anerkennung berielben als unabhängiger Staat während der Fortdauer des Krieges wäre eine Verlegung ber Neutralität gewesen.

1) So z. B. Gladstone am 8. October 1862: There is no doubt that Jefferson Davis and other leaders of the South have made an army; that they are making, it appears, a navy; that they have made what is more than either certainty the success of the Southern States, so far as regarde Leór wyaration they have made a nation. We may anticipate with from the North."

§ 139.

Wahrung der Gebietsintegrität.

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Die erste Pflicht einer neutralen Regierung ist nun, die Unverleg feit ihres Gebietes zu wahren, also nicht zu dulden, daß einer der trak führenden Theile dasselbe irgendwie als Operationsbasis für feiten gegen den andern Theil benuße. In früherer Ze wohl an, daß die Neutralität gewahrt bleibe, wenn nur selbst keinem der Kriegführenden active Hülfe gewähre, Theilen gleichmäßig erlaube, gewisse Dinge zu thun, wie : auf ihrem Gebiete zu werben, Schiffe auszurüsten, Prie zu bringen u. s. w. Judeß hat die Erfahrung gezeigt, it, hier eine wirkliche Gleichheit zu beobachten. Truppenwerbung, so ist es nicht durchführbar, jedem bestimmte Anzahl zu gestatten, es ist auch nicht dasse führende, wenn man ihnen Gleiches gestattet; schon die Landes wird für die eine Partei günstiger sein al einen seemächtigen Staat ist es von weit geringe in neutralen Häfen Schiffe ausrüsten und seine barf, als für den mindermächtigen, dessen Häf

Handbuch des Völkerrechts IV.

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