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könne seinen Gegner auf neutrales Gebiet verfolgen „,dum fervet opus" ist unhaltbar. Es ist feste Regel ohne Ausnahme, daß jeder feindliche Act in neutralen Gewässern durchaus unstatthaft ist. Selbst Sir W. Scott anerkannte: When the fact is established, it overrules every other consideration. The capture is done away, the property must be restored.“ Dieser Grundsay ist allerdings wiederholt verlegt. 1759 griff ein überlegenes Englisches Geschwader ein Französisches an, welches sich an die Portugiesische Küste flüchtete und dort auf den Sand seßte. Die Eng länder verfolgten es dorthin, verbrannten zwei Schiffe und führten zwei andere fort, troh des Feuers der Portugiesischen Batterien. Auf die lebhaften Beschwerden des Marquis de Pombal1) sandte England zwar einen außerordentlichen Gesandten nach Lissabon, um die Verlegung des neutralen Gebietes zu entschuldigen, weigerte sich aber, die beiden genommenen Schiffe herauszugeben oder Entschädigung zu zahlen. 1793 nahmen zwei Englische Schiffe eine Französische Fregatte im Hafen von Genua weg, und die Britische Regierung weigerte sich nicht blos, sie herauszugeben, sondern auch für diesen Uebergriff sich zu entschuldigen. Ebenso nahm England später einige Schwedische Schiffe in neutralen Norwegi schen Küstengewässern. Später anerkannte England die unbedingte Unverleglichkeit neutraler Küstengewässer, obwohl es für die Zurückgabe der dort genommenen Schiffe ein vorgängiges Erkenntniß des Admiralitäts gerichtes fordert, was andere Regierungen nicht thun. Wenn auch bei der Küstenbildung im einzelnen Falle streitig sein kann, wo das Küstengewässer beginnt,) so ist der Grundsah doch unzweifelhaft und eben deshalb unabhängig von der Frage, ob der neutrale Staat hinreichende Vertheidigungsmittel besigt, um seine Autorität über diese Gewässer aufrecht zu halten. Ist der Befehlshaber des Kriegsschiffes in entschuldbarem Irrthum gewesen, indem er z. B. an einer wüsten Küste kein Hoheitszeichen der neutralen Macht gesehen, so mag er diesen Irrthum vor Gericht geltend machen, um sich persönlicher Bestrafung zu entziehen. Aber seine Handlungsweise wird dadurch nicht gerechtfertigt, und seine Regierung bleibt der neutralen zur Genugthuung verpflichtet. In dem Falle des an der Amerikanischen Küste von einem Französischen Kaper weggenommenen Portugiesischen Schiffes Nossa Senhora do Carmelo" erklärte das Erkenntniß des Französischen Prisenrathes vom 27. Fructidor VIII. (1797) den Einwand als frivol, daß die betreffende Küste durch keine Festung oder Batterie beschüßt sei, da alle Schiffe im Küstengewässer dessen Privilegien beanspruchen könnten. Auch die in dem Falle der "Anna" 1805 von Lord Stowell gemachte Behauptung ist unhaltbar. wonach Bynkershoek so weit Recht habe, daß ein feindliches Schiff. welches sich innerhalb des neutralen Gebietes an einen unbewohnten Plaz geflüchtet, wie die kleinen Schlamminseln des Mississippi, und dort ohne Widerstand weggenommen sei, als verfallen betrachtet werden könne. Das Schiff ward demgemäß zurückgegeben und der Captor in die Kosten verurtheilt. Am 26. September 1814 ankerte der Amerikanische Kaper

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„General Armstrong" vor Fayal, ein Englisches Geschwader folgte ihm, und einige Schaluppen desselben näherten sich ihm in der Nacht. Der Capitän Reid forderte sie auf, sich zurückzuziehen, und da sie dies nicht thaten, feuerte er auf sie und tödtete mehrere von der Mannschaft. Am andern Morgen kam ein Portugiesisches Kriegsschiff, um den „Armstrong “ zu beschießen, worauf derselbe sein Schiff aufgab und zerstörte. Die Vereinigten Staaten forderten von Portugal hierfür Genugthuung. Dieses aber machte geltend, daß Reid seinen Schuß, als des neutralen Aufenthaltsstaates, erst angerufen, nachdem er selbst Feindseligkeiten geübt, und es habe vergeblich sich bei dem Englischen Capitän beschwert. Nachdem die Sache sich bis 1851 hingezogen, gab der Präsident der Französischen Republik seinen Schiedsspruch zu Gunsten Portugals, weil sur ce que le capitaine Reid, n'ayant pas recouru dès le principe à l'intervention neutre et ayant employé la voie des armes pour repousser une agression injuste dont il prétendait être l'objet, avait méconnu la neutralité du territoire du souverain étranger et dégagé par conséquent ce souverain de l'obligation de protection; que dès lors le gouvernement portuguais ne pouvait être responsable des résultats d'une collision qui avait eu lieu au mépris de ses droits de souveraineté, en violation de la neutralité de son territoire et sans que les officiers locaux eussent été requis en temps utile et mis en demeure d'accorder aide et protection."

In dem Fall der „Caroline“ (1838) hatten Canadische Insurgenten dies Schiff benuzt, um Munition und Soldaten vom Amerikanischen Ufer des Niagara nach dem Canadischen zu bringen. Die Canadischen Behörden verfolgten dasselbe auf das Amerikanische Ufer und zerstörten es. Die Amerikanische Regierung erklärte der Britischen, sie müsse für diese Verlegung ihrer Gebietshoheit beweisen „a necessity of defence, instant, overwhelming, and having no choice of means and no moment for deliberation." England gab dies zu, führte den verlangten Beweis und bedauerte „that some explanation and apology for the occurrence was not immediately made."

Als 1862 der Amerikanische Kreuzer Adirondac" ein Englisches Schiff, welches die Blokade zu brechen versucht hatte, in die Gewässer der Bahamas verfolgte, nannte der Staatssecretär Seward in einem Briefe an den Marinesecretär vom 14. April 1861 dies an inexcusable violation of the law of nations, for which acknowledgment and reparation ought to be promptly made. To guard against any such occurence, the President desires that you at once give notice to all commanders of American vessels of war, that this Government adheres to recognizes and insists upon the principle, that the maritime jurisdiction of every nation covers a full marine league from the coast and that acts of hostility or authority within a marine league of any foreign country by any naval officer of the United States are strictly forbidden."

Ein verwickelter Fall kam 1863 im Amerikanischen Bürgerkriege

vor.

Das Handelsschiff „Chesapeake“, von New-York auslaufend, wurde von einer Südstaatlichen Bande übermannt, welche einige von der Be saßung tödtete und die übrigen aussette. Diese Individuen tauften das Schiff Retribution", landeten die Ladung in Neu-Schottland, erklärten dort, es gehöre der Südstaatlichen Kriegsmarine an, und fingen an, Lebensmittel und Kohlen einzunehmen. Die Britischen Behörden schöpften Verdacht und nöthigten das Schiff, wieder fortzugehen. Inzwischen hatte die Amerikanische Regierung auf Klagen der Eigenthümer den Kreuzer ,,Dacotah" ausgefandt, der den , Chefapeake" in Sicht vor Sambow traf, als Besayung aber nur einen Mann und zwei Englische Mechaniker fand. Er nahm das Schiff, brachte es nach Halifax und bot dem Statthalter von Neu-Schottland an, dasselbe mit den drei Leuten zu seiner Verfügung zu stellen. Dieser aber forderte die Freilassung von Schiff und Mannschaft, da die Wegnahme in neutralem Gewässer die Britische Souveränetät verlegt habe. Diese Freilassung erfolgte auch, und die Gefangenen wurden den Neuschottischen Behörden übergeben, welche sie laufen ließ. Obwohl die Regierung der Vereinigten Staaten sich hierüber beklagte, gab sie doch im Januar 1864 zu, daß der Capitän der Dacotah" in patriotischem Eifer seine Vollmachten überschritten. Das Shiff wurde ben Figenthimern guridgegeben.

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Eine der gröbsten Verlegungen war es, daß 1864 der Amerikanische Dampfer Wachusetts" den conföderirten Kreuzer Florida", der in Bahia eingelaufen, um seine Havarien auszubessern, und sich auf Befehl der dortigen Behörde neben eine Brasilianische Corvette gelegt, beschoß und aus dem Hafen wegschleppte; noch dazu befand sich der Consul der Vereinigten Staaten, der sein Wort gegeben, daß der „Wachusetts" die Neutralität des Hafens achten würde, an Bord im Augenblick des Angriffes. Der Amerikanische Gesandte in Rio mißbilligte dies sofort. Der Consul ward abgesezt, der Capitän vor ein Kriegsgericht gestellt, die Mannschaft der „Florida", die inzwischen untergegangen, freigegeben und ein Dampfer nach Bahia geschickt, wo er eine Ehrensalve vor der Brasilianischen Flagge gab. Um Conflicte gegnerischer Kriegsschiffe zu vermeiden, legt die neutrale Regierung gewöhnlich denselben eines der ihrigen zur Seite.

Ebensowenig wie ein Kampf ist die kampflofe Wegnahme eines Handelsschiffes der anderen Kriegspartei oder eine Durchsuchung eines neutralen Schiffes in neutralen Gewässern zulässig. Geschieht dies oder wird es versucht, so ist der neutrale Staat berechtigt und verpflichtet, einzuschreiten, um es zu hindern, eventuell die Rückgabe der Prije zu bewirken und Genugthuung für seine verlegte Neutralität von der Regierung, der das Schiff gehört, zu fordern. Durch sein Einschreiten nimmt er keine Jurisdiction über das schuldige Kriegsschiff in Anspruch sondern wahrt nur seine Gebietshoheit, und eben weil diese von einem Schiffe vollführt ist, das dessen Regierung repräsentirt, hält er sich ar diese und verhandelt die Frage auf diplomatischem Wege. Es kann ibm

nicht etwa zugemuthet werden, falls die Prise aus seinem Machtbereich gelangt ist, vor dem Prisengericht des Nehmestaates als Kläger aufzutreten und die Herausgabe zu verlangen. Unterläßt er es, seine Neutralität wirksam aufrecht zu halten, so haben nicht die geschädigten Privateigenthümer des betreffenden Schiffes gegen ihn ein Klagerecht; wohl aber ist die Regierung des Geschädigten berechtigt, den Staat, der seine Neutralität so zum Schaden ihrer Angehörigen hat verlegen lassen, zur Rechenschaft zu ziehen und Genugthuung zu verlangen. Selbstverständlich wird, wenn ein Schiff widerrechtlich in neutralen Gewässern genommen, und der Captor mit seiner Prise entkommen ist, aber später wieder mit derselben in die Jurisdiction des Staates geräth, dessen Neutralität er verlegt hat, die Prise sofort de jure frei.

1) Derselbe schrieb damals an das Foreign Office: „Je sais que votre gouvernement a pris une grande prépondérance sur le nôtre; mais il est temps que cela finisse. Si mes prédécesseurs ont eu la faiblesse de lui accorder tout ce qu'il a demandé, moi, je ne lui accorderai que ce qui lui est dû. La satisfaction que j'exige est conforme au droit des gens et ne saurait être refusée." Der Weigerung Englands volle Genugthuung zu geben, führte 1762 zum Kriege.

2) Es hängt dies von der Auffassung der betreffenden Regierung ab. Die eine Theorie nimmt nach Grotius und Bynkershoek (De dominio maris, cap. 2) Kanonenschußweite an: „Terrae potestas finitur ubi finitur armorum vis quousque tela exploduntur," was also mit der Tragweite der Geschüße wechselt. Durchgängig nehmen Verträge und Geseße eine Entfernung von einer Seemeile an. Handb. Bd. II., S. 470 ff.

§ 147.

Prisen in neutralen Häfen.

Wenn es unbestritten und durch viele Verträge besonders festgestellt ist, daß in neutralen Gewässern keine Prisen gemacht werden. dürfen und die gemachten zurückgegeben werden müßen, so galt es doch bis auf die neueste Zeit als erlaubt, die auf hoher See gemachten in neutrale Häfen zu bringen und dort darüber zu verfügen. Eine Reihe von Verordnungen über die neutrale Schifffahrt der Mittelmeerstaaten von 1778 erlaubt dies sogar ausdrücklich, so von Toscana (1. August) Art. 10: „Voulons de même qu'il soit permis dans nos ports d'équiper et d'expédier pour le commerce même sous pavillon de nation en guerre les prises qui y auront été conduites," Genua vom 1. Juli 1779 Art. 10. Venedig verfügte 9. September 1779 Art. 18: Les prises d'un vaisseau ou autre navire belligérant, conduites dans nos ports y seront reçues sauf les règlements nationals d'administration ou de police interne; les effets pourront être déchargés, déposés, vendus, procurés, administrés

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acquis, de qui que ce soit dans toute notre domination, supposé toute fois que la sentence peremtoire et la déclaration de bonne prise ait été prononcée par les tribunaux compétents."

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Dasselbe Recht wurde auch vertragsmäßig zugesichert, so im Art. 17 des Vertrages zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten vom 6. Juli 1778: Les vaisseaux de guerre de S. M. Très Chrét. et ceux des États-Unis de même que ceux que leurs sujets auront armés en guerre pourront en toute liberté conduire où bon leur semblera, les prises qu'ils auront faites sur les ennemis et au contraire ne sera donné asyle ou retraite dans leurs ports ou havres à ceux qui auront fait des prises sur les sujets de S. M. ou des dits États-Unis." Ganz dasselbe bestimmte aber Artikel 25 des Vertrages vom 19. November 1794 der Vereinigten Staaten mit Großbritannien, wogegen Frankreich protestirte, da dies der zu seinen Gunsten conventionell eingeschränkten Neutralität widersprach. Auch Preußen und die Vereinigten Staaten verabredeten im Art. 19 des Vertrages vom 11. Juli 1799, daß „,the vessels of war, public and private, of both parties, shall carry wheresoever they please, the vessels and effects taken from their enemies, nor shall suchprizes be arrested, searched or put under any legal process, when they come to and enter the ports of the other party,“ und da dieser Artikel durch den Vertrag vom 1. Mai 1828 bestätigt war, erklärte ihn Präsident Grant in seiner Neutralitätsproclamation vom 22. August 1870 als in Kraft bestehend.

Demgemäß sezten die Kriegführenden in neutralen Häfen Prisengerichte ein und bevollmächtigten speciell ihre dortigen Consuln, die Prisen abzuurtheilen, so das „Règlement du Roi de France concernant les prises, qui seront conduites dans les ports étrangers et les formalités que doivent remplir les Consuls de S. M. qui y sont établis“ vom 8. November 1779. 1793 errichtete Frankreich förmliche Prisengerichte in Charleston und anderen Pläzen der Vereinigten Staaten. Der oberste Gerichtshof der selben aber erkannte 1794, „that no foreign power could rightfully erect any court of judicature within the United States unless by force of treaty and that no foreign consul could adjudicate upon a prize," und 1799 erklärte Lord Stowell, daß ein auf neutralem Gebiete ergangenes Erkenntniß kein Eigenthum an einer Prise übertragen könne. Heute ist allgemein anerkannt, daß jede Ausübung einer Jurisdiction auf neutralem Gebiete unstatthaft ist, denn entweder findet sie ohne Zustimmung des Neutralen statt, und ist dann offenbar als Verlegung der Neutralität ungeseßlich, oder mit Zustimmung des Neutralen, der dann durch Be günstigung des Kriegführenden Partei nimmt, also nicht mehr neutral ist (cf. das Urtheil Lord Stowell's im Fall des „Flad Oyen“ bei Phillimore III., p. 581 ff.). Das Französische Decret vom 18. Juli 1854 beseitigte deshalb die Commissions consulaires. Der Captor darf aber auch sonst in keiner Weise auf neutralem Gebiete über seine Prise verfügen. Der Neutrale mischt sich nicht in die Frage der Legalität der Prise; er hält sich an die Thatsache, daß ihre Aufbringung ein krieg.

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