Page images
PDF
EPUB

Ausdruck sei, kann nicht als richtig gelten. Derselbe ist es nicht mehr, als wenn auch in anderen Rechtsverhältnissen die Sorge eines bonus pater familias gefordert wird, und bedeutet, daß der Neutrale die Beobachtung seiner Neutralitätspflicht mit demselben Eifer überwachen soll, den er in seinen eigenen Angelegenheiten beobachtet; wer, um ein Unrecht gegen einen Dritten zu verhindern, dasselbe thut, was er für seinen eigenen Schuß thut, entspricht allen billigen Anforderungen der anderen Partei. Gewiß ist es oft für schwache neutrale Staaten schwer, übermächtige Kriegführende zur Beobachtung ihrer Pflicht anzuhalten; aber sie müssen Alles aufbieten, um die Achtung ihrer Neutralität zu erzwingen. Vernachlässigt ein Neutraler dies zu thun und unterwirft sich furchtsam dem Unrecht eines Kriegsführenden, so büßt er dem anderen gegenüber seine neutrale Immunität ein und kann von ihm als Feind behandelt werden.

Diese Regel geht durch die ganze Geschichte von Syphax von Numidien, welcher, wie Livius erzählt, die Römische und Carthagische Flotte nöthigte, in einem neutralen Hafen Friede zu halten, bis auf den Alabamastreit. Es ist also, wie schon früher erwähnt, keine Entschuldigung für die neutrale Regierung, daß ihre Geseze unzureichend seien, die Beobachtung der Neutralität zu erzwingen. Die völkerrechtlichen Verpflichtungen sind unabhängig von den inneren Gesezen. Gehen leztere über erstere hinaus, so hat der Auswärtige kein Recht, auf die Erfüllung einer rein municipalen Bestimmung zu dringen oder sich über die Ausführung derselben zu beklagen. Bleiben dagegen die Staats. geseze hinter den internationalen Verbindlichkeiten zurück, so hat jeder Auswärtige nicht minder das Recht, die volle Erfüllung der letteren zu fordern. Für ihn kommt es nicht auf das Motiv, sondern auf die Thatsache dieser Erfüllung einer Verpflichtung an, von welcher innere Geseze nichts herabmindern können. Lord Russell anerkannte selbst in einer Note vom März 1862 an den Amerikanischen Gesandten: The duty of nations in amity with each other is, not to suffer their good faith to be violated by evil disposed persons within their borders, merely from the inefficiency of their prohibitory policy."

[ocr errors]

Am vollständigsten hat diese Grundsäße Lord Chief Justice Cockburn in Betreff der Englischen Neutralitäts-Acte von 1870 dargelegt: „When a government makes its municipal law more stringent than the obligations of international law would require, it does so, not for the benefit of foreign States, but for its own protection, lest the acts of its subjects in overstepping the confines, oftentimes doubtful, of strict right, in transactions of which a few circumstances, more or less may alter the character, should compromise its relations with other nations. Now it is quite clear, that the obligations of the neutral State spring out of, and are determined by, the principles and rules of international law, independently of the municipal law of the neutral. They would exist all the same, though the neutral State had no municipal law to enable it to enforce the duties of neutrality on its

subjects. It would obviously afford no answer on the part of a neutral government to a complaint of a belligerent of an infraction of neutrality that its municipal law was insufficient to enable it to insure the observance of neutrality by its subjects; the reason being that international law, not the municipal law of the particular country gives the only measure of international rights and obligations. While therefore on the one hand, the municipal law, if not co-extensive with the international law, will afford no excuse to the neutral, so neither on the other, if in excess of what international obligations exact, will afford any right to the belligerent which international law would fail to give him." (Reasons for dissenting from the Geneva Award, Parl. Papers. North America 1873, No. 2, p. 29.)

Ebensowenig ist es eine Entschuldigung für die neutrale Regierung, zu sagen, die betreffenden Behörden hätten in der behaupteten Neutralitätsverlegung eine solche nicht gesehen. Die Englische Regierung anerkannte im Alabamastreit in ihrer Denkschrift, daß in dem Falle des „Dreto" die Voraussetzung, auf welche hin der Richter verfahren, nämlich daß alle Beweise über das, was mit dem Schiffe vor seiner Ankunft in der Colonie vorgefallen, nicht in Betracht gezogen werden könnten, irrthüm lich sei, meinte aber, es sei immerhin die Entscheidung des competenten Gerichtshofes und daher bindend für die Regierungsbehörden gewesen. Allerdings ist dies der Fall, aber damit war die Frage der internationalen Verantwortlichkeit Englands gegen Amerika nicht beseitigt. Wenn ein Gericht ein nachweisbar ungerechtes Erkenntniß abgiebt, so ist dieses freilich für die Landesbehörden bindend, aber die Nation hat hierfür einem anderen Staate gegenüber so gut die Verantwortlichkeit zu tragen. wie für einen formell rechtskräftigen, aber materiell ungerechten Act der Legislative. Deshalb erkannte auch das Genfer Schiedsgericht im Falle des „Dreto" auf Verlegung der Neutralität und Entschädigungspflicht Englands whereas the judicial acquittal of the „Oreto" at Nassau cannot relieve Great Britain from the responsibility incurred by her under the principles of international law." Endlich ist es auch keine Entschuldigung, wenn eine neutrale Regierung behauptet und nachweist, daß jene Verlegung nur dadurch möglich geworden, daß ihre Behörden von dem Schuldigen betrogen seien, denn die due diligence, zu welcher sie bei Erfüllung ihrer Neutralitätspflicht verbunden ist, erfordert, daß sie sich nicht betrügen lasse. Demgemäß erklärte das Genfer Schiedsgericht: Whereas it results from all the facts connected with the stay of the Shenandoah" at Melbourne, and especially with the augmentation which the British Government itself admits to have been clandestinely effected of her force, by the enlistment within that port, that there was negligence on the part of the authorities of that port the Tribunal decides that Great Britain has failed by omission, to fulfil the duties prescribed by the second and third of the rules aforesaid, in the case of this same vessel, from and after her entry into Hobson's Bay, and is therefore

[ocr errors]

responsible for all acts committed by that vessel after her departure from Melbourne.“ Dem geschädigten Kriegführenden gegenüber kommt es lediglich darauf an, ob die Neutralität verlegt ist, nicht durch welche Behörde.

Dagegen muß noch ausdrücklich Verwahrung eingelegt werden gegen einen Saß, welchen das Genfer Schiedsgericht in seiner Sizung vom 15. Juni 1872 über die Verantwortlichkeit der Neutralen aufgestellt hat, nämlich daß die due diligence, welche die Regeln des Art. 6 des Vertrages von Washington vorschrieben: „ought to be exercised by neutral Governments in exact proportion to the risks to which either of the belligerents may be exposed, from a failure to fulfil the obligations of the neutrality on their part." Dies ist eine unzulässige Vermischung von Politik und Völkerrecht. Die Verpflichtungen der Neutralität haben mit dem Grade der Gefahr, der ihre Verleßung die Kriegführenden ausseßt, nichts zu thun. Der Neutrale hat diese Gefahren nicht zu beurtheilen, kann es auch in den wenigsten Fällen, und hat nicht die Aufgabe, die Kriegführenden gegen die Gefahren des Kriegszustandes zu schüßen. Indem man eine solche Gefahr als Kriterium. aufstellt und noch dazu die Abmessung derselben „in exact proportion" verlangt, ladet man den Neutralen eine Last auf, die sie gar nicht tragen können, denn sie enthält eine unbegrenzte Verantwortlichkeit für Vorfälle, welche sie vielfach gar nicht ermessen und controliren können, und deren Tragweite gar nicht festzustellen ist, so daß es auch für die spätere Entschädigungspflicht an jeder festen Grundlage fehlen müßte.

[ocr errors]

Hierauf ging denn auch wesentlich der Antrag Hardy's im Unterhause vom 21. März 1873, daß die Regierung, wenn sie gemäß Art. 6 des Vertrages von Washington die drei Regeln desselben zur Kenntniß anderer Seemächte bringen und diese zum Beitritt einladen würde, ihnen sowohl wie den Vereinigten Staaten erklären möge: that having regard to the oppressive and impracticable character of the obligations hitherto unknown to international law, which would be imposed upon neutral nations through the interpretation placed by the Tribunal of Geneva upon the three rules in the 6th Art. of the treaty of Washington and of upon the principles of international law with the respect to the duties of neutrals in connexion with the subject-matter of the said rules H. M.'s dissent from the principles set forth by the Tribunal as basis of their award, principles which, by unduly enlarging the rights of belligerent powers against neutrals, would discourage in the future the observance of neutrality by States desirous of peace." Gladstone, als Premier-Minister, erwiderte darauf: that our recommendation of the three rules does not carry with it, in whole or in part, in substance or even in shadow, so far as we are concerned, the recitals of the Arbitrators as being of any authority in this matter." (Times vom 22. März 1873.)

[ocr errors]

Die Richtigkeit dieser Auffassung scheint unbestreitbar. Konnte die

Handbuch des Völkerrechts IV.

45

Entscheidung des Genfer Schiedsgerichts, in dem Deutschland, Holland, Desterreich, Rußland u. s. w. nicht vertreten waren, schon an sich keine neuen Bestimmungen über Neutralitätspflichten aufstellen, sondern nur für die Contrahenten verbindlich sein, welche übereingekommen, sich ihr zu unterwerfen, so konnten auch für diese die Motive keine grundsäzliche Autorität haben, noch weniger aber für solche Mächte, die an der Sache nicht betheiligt waren.

§ 156.

Insbesondere die Schadensersaßpflicht der Neutralen.

"

Die Verantwortlichkeit des Neutralen für eine erfolgte Verlegung seiner Neutralitätspflicht umfaßt Alles, was er zu einer restitutio in integrum des geschädigten Theiles thun kann. Dazu gehört zunächst, daß er den Verleger zur Rechenschaft zieht, ihn zur Herausgabe einer ungeseßlich gemachten Beute nöthigt, die Fortseßung seiner widerrechtlichen Handlung nach Kräften hindert. So sagt Kent: „If the enemy be attacked under neutral protection, the neutral is bound to redress the injury" (Commentaries I., p. 116). So erklärte die Englische Regierung 1828 in dem Terceirafall, daß, da eine Partei „, having fraudulently evaded the English jurisdiction and started from these shores in violation of the foreign Enlistment-Act, the English Government was entitled to pursue and seize the ships beyond its jurisdiction" und verhinderte des halb durch ein nachgesandtes Geschwader die Landung der ungefeßlich ausgerüsteten Expedition auf Portugiesischem Boden. Ebenso aber hätte die Englische Regierung, wenn sie entschlossen war, ihre Neutralität nicht verlezen zu lassen, und nur hintergangen war, in den Fällen des „Creto" und der „Alabama“ handeln müssen; sie hätte ihnen aus denselben Gründen, die im Terceirafall angeführt wurden, ein Geschwader nachsenden müssen, das sie nach Liverpool zurückgebracht hätte und ihnen dort den Proceß machen. Die Schiffe hätten von jedem Gericht verurtheilt werden müssen, sobald der Sachverhalt dargelegt worden wäre.

Die Regierung hätte ferner von den Conföderirten Staaten Ge nugthuung für die Verlegung ihrer Neutralität fordern müssen, worin keineswegs eine Anerkennung der Südstaaten als unabhängigen Regierung gelegen hätte; denn wenn man nicht von einer thatsächlich bestehenden Regierung Genugthuung verlangen könnte, so könnte diese sich Alles er lauben, was eine anerkannte Regierung nicht ungestraft thun dürfte. Auch hatte England früher den Nordstaaten gegenüber ausdrücklich die Befugniß in Anspruch genommen, mit einer de facto bestehenden Re gierung für Abstellung von Beschwerden in Verbindung zu treten. Endlich hätte die Regierung einen Proceß gegen die Englischen Rheder

anstrengen müssen, welche die Schiffe gebaut hatten, mit der Wissenschaft, daß sie zum Gebrauch eines Kriegführenden bestimmt waren. Nach der Erklärung der Kronjuristen war hier das Englische Gesez verlegt, und zwar sowohl durch einen Kriegführenden, als durch einen Englischen Unterthan, der wissen mußte, daß er dies that, indem er durch sein equipping, arming and fitting out“ einen neutralen Hafen zur Operationsbasis eines Kriegführenden hatte machen helfen. Aber es geschah dem Herrn Laird nichts, ja er durfte sich im Parlament rühmen, daß er noch ein Dußend „Alabamas“ bauen könne; und als die Regierung später zwei von demselben Hause gebaute Widderschiffe mit Beschlag belegte, that sie demselben den Gefallen, sie hernach für sich zu kaufen.

Was sodann die Genugthuung betrifft, welche die neutrale Regierung dem geschädigten Kriegführenden zu leisten hat, so bezieht sie sich, wie die des verleßenden Kriegführenden ihr gegenüber, auf die moralische Schuld, daß sie ihre Neutralität hat verlegen lassen, und auf Entschädi gung für den erlittenen Nachtheil. Die erstere wird durch Anerkennung ihrer Schuld und Aussprache des Bedauerns über den Vorfall geleistet. So erklärte die Britische Regierung im Vertrage von Washington, also einem völkerrechtlichen zweiseitigen Act, Art. 1, daß „H. Brit. Maj. has authorized Her High Commissioners and Plenipotentiaries to express, in a friendly spirit, the regret felt by H. M's. Government for the escape, under whatever circumstances of the Alabama" and other vessels from British ports and for the depredations committed by those vessels". Der Ersatz des materiell erlittenen Schadens erfolgt entweder durch directes Abkommen zwischen den betreffenden Regierungen, durch Entscheidung einer ad hoc eingefeßten Commission oder durch Spruch eines von beiden Theilen verabredeten Schiedsgerichtes, wobei die terms of reference festgestellt werden, welche dem Gericht zu unterbreiten sind. In dieser Beziehung hat die Alabamafrage zwei merkwürdige Incidenz, puncte zu Tage gebracht.

Bei den Verhandlungen in Washington 1871 bestritten die Englischen Bevollmächtigten, daß ihre Regierung die Neutralität verlegt habe, erklärten sich aber bereit, die Frage wegen der Verantwortlichkeit des von den Südstaatlichen Kreuzern veranlaßten Schadens einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Die Amerikaner bemerkten, sie könnten ein solches nicht annehmen, wenn nicht vorgängig die Grundsäge festgestellt würden, die für dasselbe bei Erwägung der Thatsachen maßgebend sein sollten. Ein derartiges Verlangen, Regeln aufzustellen, die rückwärts auf die Beurtheilung vorangegangener Thatsachen angewendet werden sollen, war wohl ohne Vorgang in der Geschichte diplomatischer Verhandlungen. Die Englischen Bevollmächtigten erwiderten denn auch, daß sie nicht ermächtigt seien, derartigen Normen für die Schiedsrichter zuzustimmen, aber bereit seien, zu erwägen, welche Grundsäge in Zukunft maßgebend sein sollten. Indeß das Ministerium Gladstone gab dem Amerikanischen Verlangen vollständig nach, und so wurde im Art. 6 nach

« PreviousContinue »