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5) G. F. v. Martens 1. c.

6) Bartolus a Saxoferrato 1. c. qu. 7; Groot III. II. § 7; Bynkershoek, De foro legatorum XXII. § 4.

7) Mas Latrie 13.

8) Mas Latrie 32.

$ 22.

Das Verfahren bei Repressalien.

Wir verdanken Mas Latrie's sorgfältig historisch begründeter Darstellung auch genauere Angaben über das Verfahren. Darnach hatte ein Individuum, ein handeltreibendes oder anderes, welches durch die Handlung eines Bewohners eines anderen Landes eine Rechtsbenachtheiligung erfahren, bei der Regierung dieses lezteren sein Recht zu fordern. Wenn aber das fremde Gericht ihm Genugthuung weigerte, so richtete es an seine eigene Regierung ein Gesuch um Gewährung von Repressalienbriefen. Dieses Gesuch mußte enthalten die Auseinandersetzung der Thatsachen und die annähernde Abschäzung des erlittenen Verlustes. Grund zur Gewährung des Gesuchs war die Unmöglichkeit, von der fremden Regierung Genugthuung zu erlangen, sei es in Folge einer formellen und bereits constatirten Justizverweigerung, sei es, weil es kein Mittel gab, gegen den wahrhaft Schuldigen bei den Gerichten seines Landes vorzugehen. Nach Eingang des Gesuches richtete der König oder der bezüg. liche Magistrat, an welchen das Gesuch adressirt war, sich an die fremde Regierung, um sie zu ersuchen, der verlegten Partei ihr Recht werden zu lassen. Im Allgemeinen begnügte man sich aber in verschiedenen Ländern nicht mit einer einzelnen und einfachen Genugthuungsforderung, sondern ließ mehrere eine bestimmte Frist festsezende Sommationen auf einander folgen, vor deren Ablauf Repressalienbriefe nicht gewährt werden durften. Nachdem eine Prüfung der Rechts- und Thatfrage die Zulässigkeit und Statthaftigkeit des Gesuches ergeben, wurde der erlittene Schaden festgestellt. Nach Erfüllung aller Formalitäten erging dann ein förmliches Urtheil dahin, daß Repressalienbriefe einer bestimmten Person, gegen ein bestimmtes Land und bis zu einer bestimmten Summe ertheilt werden könnten.

Falls die Repressalienbriefe in feierlicher Weise abgefaßt waren, beginnen sie mit einem Anrufen Gottes. Es folgt dann eine zusammengedrängte Darlegung der Sache, sodann die Entscheidung, wonach der verlegten Partei gewährt ist zu nehmen und ergreifen überall, wo sie dieselben finden würde, die Güter der Einwohner des Landes, gegen welches der Brief bewilligt ist, und endlich die Verpflichtung an alle Beamte, dem Briefeigner Hülfe zu leisten und selbst alle Güter der Fremden, welche Landsleute des Urhebers des Schadens find, zu ergreifen.

War der Briefeigner ein reicher Rheder und hatte er gegen Seekaufleute seine Actionen vorzunehmen, so executirte er selbst, indem er Fahrzeuge auf seine Kosten ausrüstete oder ausrüsten ließ. War aber die Action auf dem Festlande zu vollstrecken, so wandte sich der Brief. eigner an die Beamten seines Landes, um die Güter derjenigen Fremden ergreifen zu lassen, gegen welche Briefe erlassen waren. Es konnte aber auch der Repressalienbrief einem Dritten verkauft werden. Es trat dann der Käufer an die Stelle des Briefbedachten. Bisweilen übernahmen aber auch die Regierungen die Ausführung der Repressalienbriefe.

Das als Repressalie genommene Gut wurde entweder den Ma gistraten des Landes zur Aufbewahrnng übergeben oder nach publiquer Abschätzung verkauft und der Betrag in Abzug gebracht von der Repres saliensumme. Daß durch Repressalienausübung betroffene Unschuldige von ihrer Stadt entschädigt worden, dafür sprechen nur wenige Urkunden und läßt es sich nur vermuthen. Dagegen kommen gegenseitige Versicherungen gegen Repressalien vor, und konnte derjenige, gegen welchen ein Repressalienbrief erlassen worden, mit einem Repressalienbrief (contremarque) gegen einen anderen sich schüßen, falls dieser ungerechter Weise durch eine fremde Regierung erlassen worden. Diese lettres de contre marque wurden daher gegen diejenigen gerichtet, welche die bezüglichen lettres de marque ausgestellt hatten. Bisweilen wurden auch von Fürsten erlassene Repressalienbriefe widerrufen, und suchten dieselben die Schadlos. haltung auf anderem Wege zu erlangen.

Zum Theil aufgehoben wurden die bisher geschilderten mittel. alterlichen Repressalien zuerst durch die Republik von Venedig 1423. Die Unzulässigkeit derselben im Interesse des Handels wird aber immer mehr anerkannt. Dennoch schränken der Vertrag von Ryswick vom Ende des siebzehnten und der von Utrecht vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts nur den Gebrauch ein. Seitdem aber übergehen die Verträge das Repressalienrecht wie Mas Latrie meint, indeß nur die im mittelalterlichen Sinn. Das Institut besteht dem Namen nach noch heute fort und enthalten Verträge, noch immer auf Repressalien bezügliche Bestimmungen.

§ 23.

Unterschied der älteren und modernen Repressalien.

Auf die modernen Repressalien bezieht sich die im § 20 aufgestellte Definition, wonach Repressalien im Staatenverkehr in Friedens. zeiten die eine Rechtswidrigkeit eines Staates mit einer glei chen oder ähnlichen erwidernde Handlungsweise des ver. lezten Staates bedeuten.

Es unterscheiden sich die modernen Repressalien von den älteren dadurch: 1) daß sie vom Staat angeordnet und geübt werden und nicht von Privaten; 2) daß der Anlaß für sie nicht blos eine Rechtswidrigkeit gegen einen Privaten ist und namentlich nicht blos eine Justizverweigerung gegen diesen, wenn auch eine solche vor der Anwendung einer Repressalie constatirt sein muß, indem zunächst der Weg Rechtens zu betreten ist; 3) daß sie überhaupt ein Rechtsmittel unter Staaten und nicht unter Privaten sind. Schon Wildman (1. c.) giebt als Zweck der Repressalien an, dem Staate selbst oder seinen Unterthanen Recht zu verschaffen wegen einer durch einen fremden Fürsten oder Staat zugefügten Rechtsverlegung, falls die Justiz verweigert wurde. Auch Heffter (1. c.) läßt die Staatsgewalten für ihre und ihrer Unterthanen Interessen (sog. specielle Repressalien) ausüben. Auch ist 4) bei den heute üblichen Repressalien nicht der zu vergeltende Schade vorher in einer Summe abgeschäßt und 5) mit der Beitreibung der ab geschäßten Summe das Repressalienverfahren nicht beendet, vielmehr ist dazu die Abstellung der Rechtswidrigkeit, wider welche die Repressalie geübt wird, erforderlich. Ueberhaupt aber waren die Repressalien in früherer Zeit privater Selbsthülfe, wenn auch meist vermittelt durch Staatsconcession und Legalisirung, entsprungen, während die der heutigen Zeit aus der Selbsthülfe der Staaten wider einander entstanden.

Diejenigen Repressalien, welche u. A. auch von Berner Privatrepressalien genannt werden, mußten von dem Augenblick an, wo der Staat selbst seinen Angehörigen wirksame Rechtsexecution gewähren konnte, aufhören und haben aufgehört, wie auch die Caperei auch seitens derjenigen Staaten, welche ihr noch nicht entsagten, weil fie Private zu Staatsactionen berechtigt, noch wird abgeschafft werden. müssen. Wegen der Verschiedenheit der früheren und heutigen Repressalien ist es denn aber auch erforderlich, daß sie nicht, wie von den meisten Autoren, durcheinander behandelt werden.

§ 24.

Anordnung der modernen Repressalien.

Die modernen Repressalien können nur von einem souveränen Staat angeordnet und auf seine Anordnung hin ausgeführt werden, 1) indem diese Befugniß nicht mehr durch eine Urkunde einer privaten Per son übertragen wird. Eine Privatperson, welche ohne Erlaubniß der Staatsgewalt Repressalien in Bezug auf ein ihr widerfahrenes Unrecht unternahm, wurde schon seit längerer Zeit des Raubes oder Seeraubes für schuldig erachtet.2) Schon Hugo Grotius) sagte: „Hostes sunt

qui nobis aut quibus nos publice bellum decernimus, caeteri latrunculi vel praedones appellantur", und Berner: 4) Eigenmächtige, nicht aus einer Staatsvollmacht hervorgehende Repressalien von Seiten einzelner Behörden oder Unterthanen bilden einen Eingriff in die Rechte der eigenen Staatsgewalt und sind zugleich verbrecherisch gegen das Eigenthum oder die Person des angegriffenen Fremden.“

Als Personen, welche in Vertretung ihres Souveräns seine Gewalt für ihn auszuüben und daher auch Repressalien anzuordnen befugt feien, nennt Burchardi beispielsweise die Gesandten, die Commandanten der Land- und Seemacht in fernen Gegenden, da die Staaten als solche mit einander nur durch ihre Regierungen verkehren. Indeß ist dazu eine besondere Uebertragung des Rechtes an jene Personen erforderlich, da es sich um ein Souveränetätsrecht handelt. Auch können troßdem verschiedene Fälle verschiedene Beurtheilung und Verfügung veranlassen, welche, soweit keine Gefahr im Verzuge ist, telegraphisch einzuholen wären. Dagegen entspricht es dem Factischen, wenn Burchardi behauptet, daß der Staat zur Ausübung der Repressalien sich der Civilund Militärmacht bediene. Weil aber Repressalien nur auf rechtliche Initiative der Staatsgewalt geübt werden können, so können sie auch als „blose Verwaltungsmaßregeln", wie Oppenheim es thut, nicht bezeichnet werden, noch weniger aber kann deren Ausführung den Regierungsbehörden freistehen.5)

1) Wildman sagt freilich:,,The authority of the sovereign is essential to the legality of reprisals", aber er sagt auch: „the right of reprisals is a right of sovereignty" und verbessert damit die erste, allenfalls nur für Monarchieen zulässige Aeußerung, denn nicht die Persönlichkeit des Ver. treters der Staatssouveränetät, sondern diese selbst ist hierbei maaßgebend.

Wildman I. 191; Manning 146.

3) Grot III. III. 1.

4) Berner 1. c. 597.

5) Oppenheim 1. c. 228.

§ 25.

Repressalien der Bundesstaaten und Staatenbünde.

Bei Bundesstaaten und Staatenbünden könnte das Recht zu Repressalien denjenigen Organen zugesprochen werden, welche das Recht zur Kriegserklärung haben1), weil auch Repressalien eine gewaltthätige äußere Staatsaction find. Das Recht zur Kriegserklärung steht aber zu in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, nach ihrer Ver

Handbuch des Völkerrechts IV.

fassung Art. 8, dem Congreß, in der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach deren Verfassung Art. 8, dem Bunde resp. nach Art. 85, dem National- und Ständerath, für das Deutsche Reich dem Kaiser. Es ist indessen dabei in Bezug auf die erstgenannten Staaten zu be merken, daß deren Verfassung Sect. 8 ausdrücklich dem Congreß das Recht einräumt „Erlaubniß zu Repressalien" zu ertheilen. Darunter sind aber zweifellos nicht die heute noch allgemein statthaften und kommenden Repressalien zu verstehen, sondern nur die früheren allermeist für unstatthaft erklärten und nur von den Vereinigten Staaten noch an. erkannten. Für die Schweizerische Eidgenossenschaft steht es aber nach Art. 14 fest, daß die einzelnen Cantone unter einander sich jeder Selbsthülfe, also auch der Repressalien enthalten müssen und daß, falls ihnen diese dem Auslande gegenüber gestattet wären, solches ebenjo hätte ausdrücklich gesagt werden müssen wie hinsichtlich der Verträge einzelner Contone mit dem Auslande im Art. 9 geschehen. Schwieriger ist die Frage für das Deutsche Reich zu beantworten. Die Verfassung schweigt über dieselbe. Ist nun daraus zu folgern, daß Repressalien anzuordnen dem Kaiser zukomme, und zwar ohne oder mit Zustimmung des Bundesrathes, oder ist, da sie nicht ausdrücklich dem Präsidium des Reichs eingeräumt sind, anzunehmen, daß sie den souveränen Staatsgewalten der einzelnen das Reich bildenden Staaten we nigstens für deren Repressalienfälle verbleiben? Die Beantwortung der Frage würde sich aber wohl darnach wesentlich anders gestalten, wie die Vorfrage; ob das Deutsche Reich ein Bundesstaat oder Staatenbund sei", gelöst würde. Nimmt man ersteres an, so würde wohl eher dem Deutschen Reich als dem einzelnen Staat das Repressalienrecht in thesi zustehen. In praxi verhält es sich aber trotzdem wohl anders, vielleicht auch deshalb, weil das Deutsche Reich richtiger als ein Staatenbund anzusehen ist. Statuirt man aber als Anlaß zu Repressalien nicht überhaupt eine Rechtswidrigkeit, sondern die Justiz. verweigerung oder Verzögerung, so könnte, falls ein fremder Staat gegen einen Deutschen Staat wegen einer durch dessen Gerichte erlittenen Justizverweigerung eine Repressalie ausüben würde, das Deutsche Reich wegen der Einheitlichkeit der Justizverfassung und des Proceßverfahrens der Staaten des Deutschen Reiches die Repressalie als gegen sich gerichtet ansehen und daher als seine Angelegenheit betrachten. Daß aber umgekehrt das Deutsche Reich eine von einem Angehörigen eines seiner Staaten in einem fremden Staate erduldete Justizverweigerung nicht durch Repressalien seinerseits erwidern könne, ist unzweifelhaft, da bisher dem Deutschen Reich die Rechtsvertretung oder Rechtsfürsorge für alle Angehörigen sämmtlicher Einzelstaaten nicht zugestanden wurde.

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Oder sollte das Repressalienrecht dem Kaiser deshalb zustehen, weil er, nach Artikel 11 der Reichsverfassung, das Reich völkerrechtlich zu vertreten hat?

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