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Wenn wir die Amnestie einschränkend auszulegen haben, so ist vor Allem zu beachten, daß die Rechtsverhältnisse und Klagen, auf welche sie Anwendung findet, in irgend einem unmittelbaren Zusammenhange mit dem Kriege stehen müssen, daß aber dieses Erforderniß allein nicht genügt. Klagen zu zerstören, welche mit dem Kriege nichts zu schaffen haben (unconnected with the cause of war", Halleck § 11) ist die Amnestie überhaupt nicht geeignet. Im Einzelnen kann der Einwand der Amnestie nicht erhoben werden: 1. bei privatrechtlichen Ansprüchen dritter Mächte; 2. bei privatrechtlichen Klagen aus Rechtsgeschäften des einen Staates gegen Unterthanen des anderen, sofern diese Geschäfte rechtmäßig abgeschlossen sind, mögen sie auch in den Kriegsverhältnissen ihren Grund haben (hierher gehören z. B. Lieferungsverträge, Gelddarlehen u. s. w.); 3. bei privatrechtlichen Klagen zwischen den Unterthanen des einen Staates und dem andern Staate, wenn die betreffenden Ansprüche schon vor dem Kriege bestanden (Woolsey § 160, 4, S. 273); ebenso 4. bei privatrechtlichen Klagen zwischen den Unterthanen der verschiedenen Staaten, wenn sie sich aus älteren vor dem Kriege abgeschlossenen Rechtsgeschäften ergeben; die Verpflichtungen zur Zahlung von Schulden zwischen den Angehörigen der kriegführenden Staaten ruht zwar während des Krieges, lebt aber nach seiner Beendigung wieder auf, sofern nicht eine Confiscation stattgefunden hat (hierüber im nächsten Kapitel); 5. selbstverständlich bei allen Klagen, welche aus einem Rechtsgrund abgeleitet sind, der zwar während des Krieges entstanden ist, aber in keiner Beziehung zur Kriegführung steht.

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Auch strafrechtlich darf man die Amnestie nicht zu weit ausdehnen, will man nicht die Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit zum Princip erheben.) Die Amnestie soll im Wesentlichen die Anwendung eines strafrechtlichen Princips sein, wonach Handlungen, die in einem besonderen Affect be gangen werden, straflos sind, der Affect gewissermaßen als Milderungs. grund aufgefaßt wird. Der Erregtheit der Bevölkerung im Kriege, der politischen Leidenschaft wird Rechnung getragen, aber nur dieser; so be tonten ältere Schriftsteller besonders das hostiliter" in der oben auf geführten Definition. Die Amnestie kann daher nicht zu Gute kommen: 1. Denjenigen, die gemeine Delicte begangen haben, sofern nicht die Beweggründe der Handlung patriotische gewesen. Man wird denjenigen Bürger, der eine Tödtung, eine Körperverletzung begangen, nicht strafen dürfen, wenn er vielleicht glaubte, seinem Vaterlande damit zu dienen. Gerade auf solche Fälle soll sich ja die Amnestie beziehen. Aber es liegt kein Grund vor, einem Diebstahl, einer Brandstiftung aus bloser Privatrache oder Bosheit das Privileg der Straflosigkeit zu gewähren. 2. Den eigenen Unterthanen, die unter sich oder gegen ihren Staat Delicte begangen haben. Keineswegs tilgt der Friedensschluß derartige Strafansprüche des Staates aus. Dem eigenen Unterthanen gegenüber kommen die gewöhnlichen Strafgeseze, z. B. über Kriegsverrath in Anwendung; haben die Verhältnisse des Krieges ihn zu Thaten ge

trieben, die als Strafthaten erscheinen, so kommen für ihn die allgemeinen Geseze seines Landes in Betracht; ihm kommt nicht die Amnestie zu gute, für ihn kann es sich höchstens um eine Anwendung des Nothstandsparagraphen handeln. 3) Denjenigen Angehörigen der kriegführenden Staaten, die unter sich auf neutralem Gebiete Rechtsverletzungen begehen. Hier kann freilich in der Erregtheit der Gemüther (z. B. Arbeiter. schlägereien in der Schweiz) ein Milderungsgrund erblickt werden; aber an eine Ausdehnung der Amnestie auf solche Fälle kann schon darum nicht gedacht werden, weil der Friedensvertrag nur die contrahirendeu Mächte verpflichtet und weil der neutrale Staat niemals das Recht verliert, Delicte, die in seinem Gebiet begangen wurden, zu bestrafen. 4. Denjenigen, die vor dem Kriege Strafthaten begangen haben. solchen Fällen gereicht weder die feindliche Erregtheit zur Entschuldigung, noch kommen Rücksichten auf den Frieden zu statten. Ein vor dem Kriege in einem später abgetretenen Gebiete begangenes gemeines Delict, das erst nach dem Kriege entdeckt wird, kann unter den gewöhnlichen Voraussetzungen (Verjährung, Anwendung des früheren Strafrechts u. s. w.) verfolgt werden.

In

1) Vgl. Woolsey, Introduction, § 158. Die Rechtsfrage läßt der Sieger „auf sich beruhen“, vgl. hierüber Kant's Rechtslehre, § 58. Nach Holzendorff, Encyklopädie, S. 1246, wäre ein Friede ohne die rechtskräftige Beseitigung des Kriegsgrundes nur ein verschleierter Waffenstillstand“.

2) S. die Altrömische Formel z. B. bei Brissonius, De formulis populi Romani IV., 49. Ueber die Anschauung der Hellenen s. 3. B. Schömann, Griech. Alterthümer (1859), II., S. 16, Telfy, Corp. juris attici (1868), Nr. 1230 ff. Der S. 795 erwähnte Egyptische Friede ist „auf ewige Zeiten" geschlossen. Auch in der Neuzeit kamen Frieden auf Zeit vor, z. B. auf 5 Jahre zwischen Heinrich VIII. und Jacob V. (14. Decbr. 1528). Vgl. Calvo S. 382. *) Ausdrücklich Hubertusburger Friede, Art. 2, Frankfurter Friede, Art. 8, Heffter § 180, Vattel § 29.

*) Richtig Halleck. Desgleichen für den Status quo (post) Heffter § 181. Beachtenswerth Geffcken's Note 2 zu Heffter § 181. Phillimore § 524 unter scheidet im Anschluß an Grotius und Cocceji fünf Fälle als Basis des Friedens: 1. quod omnia restitui debeant in statum quo fuere ante bellum, 2. ut omnia maneant in statu quo nunc sunt, 3, a new state of things, 4. Amnesty, 5. nihil dictum est de damnis, injuriis etc. Meist wird wie es wünschenswerth ist diese Frage im Friedensvertrag genau geregelt, gewöhnlich ein neuer Zu stand, zuweilen der Status quo ante (z. B. im Frieden von Versailles 1783) oder ein besonderer Termin festgesezt (Vertrag zu Breda auf den Status quo vom 20. Mai 1667; die bekannten Bestimmungen des Westphälischen Friedens über Dies und Annus Normalis 1624).

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5) Vgl. Halled § 19, Geffcken zu Heffter § 181, N. 2, insbesondere Wheaton § 6.

*) Vgl. Calvo §§ 2156, 2157. Bluntschli § 716, Frankfurter Friede, Art. 10, Uebereinkunft von Ferrières vom 11. März 1871 (Martens XIX., 679). Präliminarien von San Stefano, Art. 28. S. auch oben S. 526.

7) Cocceji a. a. D., sect. IV., § 5, S. 43.

8) J. P. O. XVI., § 5, J. P. M., Art. 105, Wiener Schlußacte, Art. 11 ff., 22, Prager Friede, Art. 10, Frankfurter Friede, Art. 2 a. E., Friede von San Stefano, Art. 17, Friede von Constantinopel, Art. 8, 9.

9) Vattel § 20. Ueber die der Amnestie nicht unterworfenen Fälle ebenda § 22, und besonders Wheaton, Intern. law, § 544. Ausnahmen finden sich 3. B. im Spanisch-Französischen Frieden 1559, Art. 7, aufgestellt. Aus politischen Gründen wurde im Prager Frieden 1635 Markgraf Friedrich V. von Baden Durlach von der Amnestie ausgenommen; vgl. v. Weech, Das Großherzogthum Baden, 1885, S. 202.

§ 176.

B. Besondere Bestimmungen der Friedensverträge. (Gebietsabtretungen.)

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Neben den allgemeinen Bestimmungen enthält der Friedensschluß die durch Ursachen und Ziele des Krieges bedingten besonderen Fest sehungen. Diese sind außerordentlich mannigfaltig und von den Um ständen abhängig.1) Troßdem findet man bei Beobachtung zahlreicher Friedensschlüsse naturgemäß eine Reihe von Bedingungen, die unter ähnlichen Verhältnissen häufig wiederkehren.

Die Friedensschlüsse des 16. und 17. Jahrhunderts zeigen uns die eingehenden Festsetzungen über die Religionsübung. Mehrfach begegnet uns in Friedenschlüssen die Anerkennung einer Oberhoheit, die Verpflich tung zur Truppenstellung u. s. w., in welchem Falle der traité de paix wohl zu einem traité d'amitié et de paix sich gestaltet.

Zahlreich sind Bestimmungen, welche sich auf handelspolitische Fragen beziehen, so über gemeinsame Regelung der Schifffahrt, Oeffnung der Häfen für die Consuln des anderen Staates u. s. w. Ueberhaupt finden sich in Friedensschlüssen Festsetzungen aller Art, wie sie in sonstigen Verträgen vorkommen, und findet darauf das oben, besonders das in dem Abschnitt von den Handels- und Schifffahrtsverträgen Gesagte (Bd. III., S. 141 ff.) Anwendung.

Andere Bestimmungen wiederum sind den Friedensverträgen eigen thümlich und finden sich in der Mehrzahl derselben. Dahin gehören vorzüglich drei Arten von Bestimmungen, die über Gebietsabtretungen, über Zahlung von Kriegsentschädigungen und die über Besehung von Gebieten zum Zwecke der Sicherung dieser Zahlungen. Der letztere Punct wird im Schlußparagraphen dieses Kapitels zusammen mit der Lehre von der Sicherung der Friedenserfüllung erörtert werden.

Die Frage, welche Kriegsentschädigungen festzusetzen seien, ist eine rein politische, und wird auch die Art der Zahlung sehr verschieden be stimmt.) Am häufigsten werden bekanntlich Gebietsabtretungen vereinbart. Die Lehre von diesen ist oben (Bd. II, § 57, 58) bereits gründlich erörtert worden. An dieser Stelle bedürfen daher nur einzelne praktische Gesichtspuncte der Hervorhebung, und es kann für den Hechts. charakter der Abtretung ausschließlich auf jene Tarlegung verwiesen werden.

Die Artikel der Friedensschlüsse haben nicht nur die neuen Grenzen genau unter Beifügung von Karten zu bezeichnen, sie haben auch über eine Reihe anderer aus der Gebietsabtretung sich ergebender Ver hältnisse zu entscheiden. Durch die Angliederung eines eroberten Landes an den siegreichen Staat werden eine Menge alter Beziehungen gelüft und müssen neue geschaffen werden. Auf allen einzelnen Verwaltungs. gebieten ist dies mit den größten Schwierigkeiten verbunden. Es handelt sich um Theilung von Capitalien und Grundbesig, welche den burch bie neue Grenze getrennt werdenten Gemeinden oder Kreifen geboren, um die Beseitigung der civilproceñualiichen Schwierigkeiten, die aus DET Theilung der Gerichtsbezirke ich ergeben, um die Auslieferung aller bie Rechtslege und Berwaltung betreffenden Archive und Zocumente, um die Aurierge für die Standesamtsbezirfe und Hegifter, um die Aces einanderichung etwa beitsbender Spartanen, anten. Crebitinstitute mit dem früheren Staate, um die Abgrenzung der firelißen Zizoefen, um die Lebermittlung der Beamtencautionen, Übernahme ber Zehenen in eine große Anzahl von Bunsten, melde entmeter im Fristens, jélife selki ober in szingliden Ueberginkommen geregelt werben müffen * Leber Me befondere Extimmung bord mede hemotren bes ebs getretenen Gebiets te Cotton freigeilt mint, i de ll

3.271.

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(Martens, Nouv. Recueil cont. XX., S. 799 ff.). Hier wurde über die im Texte aufgeführten Puncte und zahlreiche andere Fragen verhandelt. Das Ergebniß der Conferenzen ist niedergelegt in der Zusaßübereinkunft vom 11. December 1871. (Martens XIX., S. 847, R..G..B1. 1872, S. 7; weitere Conventionen Martens Bd. XX.) In größter Vollständigkeit fand Verf. das Material in dem (u. a. auf der Reichsgerichtsbibliothek befindlichen) Werke: Recueil des traités, conventions, lois, décrets et autres actes relatifs à la paix avec l'Allemagne. (Fünf Bände.) Paris, imprim. nationale 1872-1879. Bd. I. enthält die diplo. matischen und militärischen Verträge und die Französischen Geseze, Bd. II., III. Documents complémentaires, Bd. IV. die Actenstücke, betr. acquittement de l'indemnité de guerre et évacuation du territoire. Délimitation des frontières. Réorganisation des territoires morcelés. Réconstitution des actes de l'état civil, des voies de communication, de la défense nationale, des édifices publics détruits. Sépulture des soldats. Liquidation des territoires cédés. Compte de liqu. des diverses charges résultant de la guerre. Bd. V.: Addenda-Tables. Gute Hervorhebung der juristischen Gesichtspuncte Bd. V. S. X.

Vgl. auch Villefort, Recueil des traités relatifs à la paix avec l'Allemagne, und eine Darstellung der verschiedenartigen Unterhandlungen bei Valfrey, Traité de Francfort. 2 Bände. Paris 1872.

§ 177.

C. Wirkung des Friedens hinsichtlich früherer
Staatsverträge.

Literatur: H. Grotius III., 20, 19. Martens, Ueber Erneuerung der Ver träge in den Friedensschlüssen. — De Wys, An Bello oborto pereat foederum auctoritas, Amsterdam 1830. Heffter §§ 99, 122, 181. Bluntschli §§ 538, 718. Phillimore § 529 ff. — Hall § 125.

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Woolsey

§ 160.
Vattel a. a. D., § 23. Calvo § 2961. Hansard's parla-
mentary history XXXV., p. 164 ff., 587 ff. The Society for the
Propagation of the Gospel New Haven, 5 Curti's (Amer.), Report
p. 483-493. The Frau Ilsabe, 4 Robinson, Adm. Rep. p. 64.
Sutton v. Sutton, Russel & Mynes, Rep. p. 663 (vgl. Phillimore a. a. D.).

Zu den schwierigsten und bestrittensten Fragen bei der Auslegung der Friedensschlüsse gehört die Frage, inwieweit die Verträge, welche vor dem Kriege bestanden, nach demselben weiterbestehen, beziehungsweise wieder in Kraft treten. Diese oben schon mehrfach gestreifte Frage (Bd. III. S. 26, 202 ff.) ist an dieser Stelle näher zu erörtern.

Principiell findet man bei den Autoritäten des Völkerrechts zwei Anschauungen vertreten. Nach der älteren Auffassung ging man davon aus, daß durch den Krieg die gesammte Rechtsordnung zerstört und daher jedes Vertragsverhältniß zwischen den kriegführenden Staaten gelöst werde. Diese Theorie von der gänzlichen Aufhebung der Verträge durch

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