Page images
PDF
EPUB

den Krieg wurde auch noch im Anfang dieses Jahrhunderts von Englischen und Amerikanischen Staatsmännern vertreten und wird z. B. heute von Phillimore verfochten.) Dem gegenüber greifen die meisten Völkerrechtslehrer der Gegenwart, unter Vorantritt von Bluntschli, den Ausgangspunct jener Meinung an und widerlegen sie, indem sie diesen ihren Grund stürzen.

Der Friede ist nicht der Anfang eines neuen Rechtszustandes sagen die letzteren, sondern der Friedensschluß stellt nur die Verbindung mit dem früheren friedlichen Rechtszustande her, der vorübergehend durch den Krieg gestört war. Nach dieser Ansicht treten alle Vertragsverhältnisse nach dem Frieden wieder in Wirksamkeit. Der Krieg suspendirt nur die Wirksamkeit der Verträge, macht dieselben aber nicht rechtlich ungiltig. Als Erklärung und Beschränkung fügt man wohl hinzu, daß die Wirksamkeit der Verträge durch den Krieg nur insoweit gehemmt wird, als die Kriegführung mit derselben unvereinbar ist und sodann, daß, abgesehen von den im Friedensschluß ausdrücklich aufgehobenen Verträgen, diejenigen ihre Kraft verlieren, welche durch den Krieg aufgelöste oder umgestaltete Verhältnisse betreffen. Mit diesem Zusage scheint uns nicht eine Beantwortung, sondern nur eine Umschreibung der Frage gegeben: Welche Verhältnisse gelten denn in solchem Sinne als aufgelöst oder umgestaltet?

Offenbar muß in dieser Frage unterschieden werden zwischen den Arten der Verträge2), und wir möchten etwa vier Gruppen zum Zwecke der Klarlegung dieser Streitfrage machen.

Es gibt Verträge, welche gerade im Hinblick auf den Kriegszustand geschlossen sind, z. B. über Neutralität Verwundeter, Handelsverhältnisse, Stellung der feindlichen Staatsangehörigen im fremden Lande u. s. w. Diese Verträge werden durch den Krieg nicht aufgehoben, sondern treten gerade für den Kriegsfall in Kraft.3)

2. Einzelne Verträge, welche das allgemeine völkerrechtliche Verhältniß der kriegführenden Staaten betreffen, werden durch den Krieg ohne Weiteres hinfällig und treten auch nie wieder stillschweigend in Kraft, z. B. Bündnißverträge, Verträge über Stellung von Truppen u. dergl. mehr.

3. Dem gegenüber giebt es Verträge, welche ihrer inneren Natur nach dauernd sind. Dahin gehören nicht diejenigen, die etwa „für ewige Zeiten" geschlossen sind, da diese Clausel herkömmlicherweise den Friedenszustand vorausseßt, wohl aber solche, die etwas an sich Dauerndes festseßen, z. B. die Anerkennung eines souveränen Gemeinwesens enthalten. Den gleichen Charakter tragen Verabredungen über die Auslegung bestimmter völkerrechtlicher Säße; solche Uebereinkommen bleiben bestehen, da der Krieg nicht die allgemeinen Grundsäße des Völkerrechts aufhebt.

4. In Bezug auf alle übrigen Verträge sind wir der Ansicht, daß ihre Wirksamkeit durch den Krieg gehemmt, daß aber ihre Gültig

keit nicht aufgehoben wird. Sie treten daher wieder in Kraft. Dies gilt von jenen zahlreichen Verträgen auf dem Gebiete des internationalen Verwaltungsrechts, der Rechtspflege u. s. w. Eine Gruppe von Ver. trägen glauben wir jedoch ausnehmen zu dürfen und für sie die unter 2. aufgestellten Grundsäze anwenden zu müssen, nämlich die Handelsund Zollverträge.

Während bei allen anderen Vereinbarungen die gemeinsamen Interessen des internationalen Lebens vorwiegen, kommen in diesen Ver trägen neben den Interessen der Gemeinschaft die Bedürfnisse des einzelnen Volkes zur Geltung. Man muß beachten, daß insbesondere die Zollverträge jenes Gebiet umspannen, auf welchem der Staat in seiner wirthschaftlichen Individualität den anderen Staaten entgegentritt; mit Recht hat man das Zollwesen als Zusammenfassung der gesammten Individualität der Volkswirthschaft in ein Bild bezeichnet. Abgesehen davon, daß viele Kriege gerade aus dem Gegensaze dieser wirthschaftlichen Interessen entstanden, ist festzuhalten, daß jeder Krieg von Einfluß auf diese Verhältnisse ist, daß jeder Krieg diese wirthschaftliche Individualität, die wirthschaftliche Physiognomie der Völker verändert; Zoll- und Handelsverträge erscheinen uns daher stets als aufgehoben. Diese Verhältnisse bedürfen im Frieden unbedingt einer Neuregelung. Daß dieselbe nach den früheren Grundsäßen erfolgen kann, ist selbstverständlich. Die hier vertretene Ansicht wird durch die Praxis bestätigt. Art. 11 des Frank furter Friedens beginnt les traités de commerce ayant été annulés par la guerre", erkennt also ausdrücklich die Aufhebung dieser Ver träge an.

Die Europäische Staatspraxis scheint im Allgemeinen der älteren Meinung treu geblieben zu sein. Wenigstens finden wir in den neueren Friedensschlüssen durchweg eine auf Erneuerung der Verträge bezügliche Bestimmung.) Sehr empfehlenswerth ist es jedenfalls, festzusehen wie dies im Züricher Frieden 1859 geschah --, daß eine aus Vertretern der kriegführenden Staaten gebildete Commission sämmtliche Verträge durchgehen sollte, um amtlich klarzustellen, welche derselben als bestehend, welche als aufgehoben zu betrachten. Eine ähnliche Praxis wurde 1871 von Deutschland und Frankreich befolgt.

1) „A state of war abrogates treatises previously existing" etc. hieß es in der Botschaft des Präsidenten 1847 (Annual-Register 1847, p. 407). Besonders viel besprochen wurde der Anfang dieses Jahrhunderts zwischen England und den Vereinigten Staaten Nordamerikas entbrannte Fischereistreit. Eng. land hatte den Fischern der Vereinigten Staaten gewisse Freiheiten durch Vertrag von 1783 zugestanden. Dieser Vertrag war im Frieden von Gent 1814 mit Stillschweigen übergangen; England glaubte, jener Vertrag sei erloschen, während die Regierung der Vereinigten Staaten ihn nach dem Friedensschluß wieder als wirksam erachtete. Der Streit wurde 1818 ohne Entscheidung der Principienfrage beigelegt. Ueber lettere vgl. British and Foreign State papers 1819–1820,

vol. VII, Twiss, The Oregon Question 1846, cp. X., Wheaton, Intern. law, § 269 ff., Phillimore § 533 ff.

2) Woolsey S. 272, scheidet 1. Verträge, die den Kriegsfall im Auge haben, 2. solche, die für ewig erklärt sind, 3. die ihrer Natur nach dauernd sind, 4. die Interpretationsregeln enthalten. Hall S. 325, giebt folgende Eintheilung: 1. Verträge der kriegführenden Mächte unter einander oder mit dritten Staaten über dauernde Verhältnisse, 2. Garantieverträge u. dgl., 3. Verträge unter den kriegführenden Mächten über Gegenstände der Politik (Abtretungen u. s. w.), 4. Verträge, die ihrer Natur nach dauernd sind, veraltete Einrichtungen aufheben u. s. w., 5. Verträge, die vorübergehenden Charakter haben, Handels- und Postverträge u. s. w. Nach dieser Classification macht Hall verschiedene, sehr anfechtbare Folgerungen über das Fortgelten der Verträge.

3) Bluntschli's Staatswörterb. IV., S. 672, u. dieses Handb. III., S. 26, 202. *) Unter den neueren Friedensschlüssen vgl. Friede von Zürich zwischen Desterreich, Frankreich und Sardinien, Art. 17 (Martens, Nouv. Rec. cont. XVI., p. 537), von Frankfurt Art. 11 nebst Zusayübereinkunft vom 12. October 1871, Art. 11, vom 11. December 1871, Art. 18; Protokoll vom 11. Januar 1872 (Liste der Verträge bei Martens, Nouv. Rec. contin. XX. p. 868); Friede von Constantinopel, Art. 10.

§ 178.

D. Anfangspunct der Wirksamkeit des Friedensschlusses.

Literatur: Grotius III., 20, 21.

-

-

Coccejus 1. VII., c. 7.

Rayneval, Inst. du droit des gens II., p. 113. Heffter §§ 86, 87, 183. Bluntschli § 717. Halled XXXIV, §§ 14-17. Wheaton S. 885. Woolsey §§ 111, 162. Hall § 202. Phillimore § 517 ff. Calvo § 2962. Vattel IV., § 24 ff., III. § 239 ff. - Fälle: Pitt Cobbet, Leading cases, S. 150 ff. (über Mentor case und Swineherd case vgl. auch Literatur bei Calvo und Phillimore a. a. D. und Halleck § 16). Hylton v. Brown, 1 Wash, Rep. p. 312. Bayne v. Spedwell, 2 Dallas, Rep. p. 40. U. S. v. Reynes, 9 Howard, Rep. p. 327. Vgl. ebenda p. 280. 1 Rob. Adm. Rep. p. 171; ebenda V., 189. S. auch über Lord Palmerston's Auffassung (House of Commons, 31. März 1856): Times vom 1. April 1856. Vgl. ferner Dalloz 1871, p. I., S. 80 u. 262.

[ocr errors]

Der Friedensvertrag bindet die Staaten, sobald er abgeschlossen ist. Es wirft sich aber die Frage auf, wann gilt er als abgeschlossen? Diese Frage wird von der herrschenden Meinung mit Recht dahin be= antwortet, daß der Tag der Ratification maßgebend sei. Wie auf anderen Rechtsgebieten ein Vertrag erst vorhanden, wenn alle Formen erfüllt sind, so auch hier. Ist nun auch der Zeitpunct, von welchem ab der geschlossene Friede seine Wirksamkeit äußert, nach allgemeinen Grundsägen der Tag der Ratification, so kommt doch hinsichtlich der

Einstellung der Feindseligkeiten dieser Termin nicht in Betracht, denn es wird entweder fast immer verabredet, daß zu einem bestimmten früheren Termine, meist sofort nach Unterzeichnung, kriegerische Operationen, Requisitionen, Prisen u. s. w. aufhören sollen, oder es liegt bereits ein Waffenstillstand vor; wäre das nicht der Fall, so muß man unbedingt mit Hall (§ 199) dem Frieden sofort vor seiner Unterzeichnung die Wirkung eines Waffenstillstandes zuerkennen.

Der Friedensvertrag bindet die Unterthanen erst, nachdem sie Kenntniß vom Abschluß erhalten haben. Selbstverständlich muß diese Kenntniß eine glaubhafte sein, sie muß auf amtlicher Benachrichtigung beruhen oder wenigstens so sicher sein, daß sie jeden Zweifel ausschließt.') Ist aber ein Mitglied der Land- oder Seemacht glaubhaft vom Friedens schlusse unterrichtet, so darf dasselbe feindliche Handlungen nicht mehr vornehmen und würde sich durch eine Verlegung dieses Grundsages unmittelbar haftpflichtig machen; denn der festgesezte Termin ist in dieser Hinsicht nur das äußerste Ziel für die beiderseitigen Staaten. Nur die bis dahin bona fide fortgesetzten Gewaltthätigkeiten kommen nicht in Be tracht. Eine unbedingte Verpflichtung des Staates zum Ersaz von Schaden u. s. w. besteht jedoch hier nicht. Die Billigkeit erfordert allerdings, daß soweit möglich eine Entschädigung gewährt wird. An sich sind derartige feindliche Acte nichtig; aber Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden. Erhobene Contributionen z. B. können zurückgegeben werden; für eine verbrannte Ortschaft aber wird eine Entschädigung nicht gewährt.

Es muß jedoch ein Termin angenommen werden, von welchem ab unbedingt der volle Friedenszustand als hergestellt gilt. Der Englisch. Amerikanischen Praxis folgend, darf man hier vielleicht actual und constructive knowledge scheiden. Die lettere ist von einem bestimmten Zeitpuncte an unbedingt zu vermuthen; als solchen kann man aber frühestens den Tag der Ratification ansehen. Immer kann hier noch der Fall eintreten, daß eine Haftbarkeit des Staates für die Handlung eines seiner Organe, eines Offiziers, vorliegt, ohne daß andererseits eine strafrechtliche Verantwortlichkeit bei lezterem vorhanden ist.

Alles was nach diesem leztgenannten Termine geschehen ist, ist rechtlich null und nichtig, ohne Rücksicht auf die Kenntniß des Thäters.*) Die Wirkungen solcher feindseligen Handlungen sind, so weit möglich, rückgängig zu machen, so weit dies nicht thunlich, ist möglichste Schad. loshaltung herbeizuführen. Gebiet, was später besegt ist, muß geräumt, Schiffe, die gekapert sind, müssen herausgegeben, für Bombardements von Ortschaften Ausgleichung gewährt werden f. w.

Für zwei Puncte ist die Entscheidung dieser Frage noch von be sonderer Bedeutung, einmal in Bezug auf das Prisenrecht, worüber Art. 13 des Frankfurter Friedens genauere Bestimmungen enthält und worüber an anderer Stelle gehandelt ist, sodann in Bezug auf Gebietsabtretungen. Man wird vom allgemeinem Standpuncte sagen dürfen, daß der Erwerbs

titel in dem Friedensschlusse zu finden ist.3) Trozdem wird in vielen Fällen derselbe in der debellatio zu erblicken sein, da häufig eroberte Gebietstheile von vornherein mit der Absicht sie dauernd zu behalten, verwaltet werden. So verhielt es sich 1870 mit Elsaß-Lothringen, das jedoch de jure erst am 2. März 1871, dem Tage der Ratification der Präliminarien, Deutsches Gebiet wurde eine Auffassung, die auch

amtlich vertreten worden ist.1)

1) „La connaissance, dont il s'agit doit être certaine, assurée, indubitable; elle doit émaner médiatement ou immédiatement de la puissance, à laquelle appartient l'armateur, et si l'on veut, de l'une et de l'autre des deux puissances contractantes. Cette connaissance doit être telle qu'elle prévienne et dissipe tous les doutes, toutes les incertitudes, toutes les craintes etc." Merlin, Rep. XXV., p. 125 ff. Vgl. auch die Citate bei Heffter und bei Grotius III., 21, 5.

2) Effectus pacis contractae est, ut omnis vis tollatur, adeo ut si post stipulatam pacem ab ignorantibus aliquid captum vel occupatum sit, vi pacis id restitui debeat" (Coccejus) – ,,quae post perfectas pactiones capta sunt, reddenda satis constat, sublatum enim jam erat belli jus“ (Grotius). Vgl. Wheaton a. a. D.

Bluntschli in Holzendorff's Jahrbuch I., S. 337.

*) Vgl. hierüber die Bekanntmachungen des Oberpräsidenten von Elsaß. Lothringen vom 7. März 1872, Holzendorff's Jahrbuch IV., S. 151, Richt. hofen, Gültigkeit der während des Krieges 1870/71 Seitens der Französischen Regierung für Elsaß-Lothringen erlassenen Geseze (Annalen 1874, p. 522 ff.), sowie die Verweisungen in Kirchenheim's Staatsrecht, S. 287, Anm. 2.

$ 179.

Auslegung, Ausführung, Aufhebung und Sicherung des Friedens.

Literatur und Verweisungen: Auslegung und Ausführung: Klüber § 327, Heffter § 184, Calvo §§ 2970-2973, Vattel §§ 32-35. Aufhebung: Calvo § 2976, Vattel §§ 38-54, Kent, Commentaries a. a. D. (I. S. 175), Halleck §§ 23-25, Wheaton § 7, Wheaton, History, S. 538 ff. (Franz. Ausg. II., S. 235), Leopold, Diss. de effectu novi belli, Helmstädt 1792. Sicherung: Vulpellus a. St. Angelo, De Pace, Venet. 1573, Guazzinus, De pace, treuga ete., Leipzig 1618, E. F. Schröter s. J. W. Rosenfeld, De jure securitatis, Jena 1667, Klüber § 155, Calvo § 2974. S. auch oben Bd. III., § 25 ff. Aeltere Literatur bei Ompted a § 276, 313 (Geiseln), 326 (Garantie des Westphäl. Friedens).

[ocr errors]

Nachdem wir Inhalt und Wirkung des Friedensschlusses dargelegt, knüpfen wir zum Schluß an die Erörterungen des § 174 an. Nach

Handbuch des Völkerrechts IV.

52

« PreviousContinue »