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vinnen. Folgerichtig fielen auch die von lezteren in der Gefangenschaft geborenen Kinder jure postliminii dem Herren der Mutter zu.7)

Das antike Postliminium der Römer konnte bereits im Mittelalter nicht mehr zur Anwendung gebracht werden, weil die Kriegsgefangenschaft nicht mehr die persönlichen Rechte der Kriegsgefangenen zerstörte. Die Erörterung dieser Fragen fand trozdem immer im Anschluß an das Römische Recht statt und wurde von den Pandektisten zu den oben aufgeführten Titeln der Institutionen und Digesten geboten. Sehr eifrig scheint man sich mit diesem Gegenstande im Uebrigen nicht beschäftigt zu haben. Das kanonische Recht hebt zwar bei seiner Begriffsumgrenzung des Völkerrechts (Dist. 1, qu. 9) die „postliminia" hervor, aber die Glossen geben dazu nur ganz unbedeutende Erläuterungen. Daß eine ziemliche Unklarheit herrschte, geht deutlich aus dem ersten Saße von Hugo Grotius hervor:,, . . et de postliminio nihil ferme sani prodiderunt hi qui retro actis saeculis juris cognitionem professi sunt. Accuratius haec res a veteribus Romanis tractata est, sed saepe confuse nimis etc." (III., 9, § 1).8) Immerhin begann man, wenn auch meistentheils unter Verwerthung der aus dem Alterthum entnommenen Fälle, diese Lehre eingehend zu erörtern, so z. B. auch Gentilis III., 17, Ayala in seinem Jus belli ac pacis. "9) Allerdings wußte man auch jezt noch, troß der das Beuterecht einschränkenden Umgestaltung des Kriegsrechtes sich nicht anders zu helfen, um dem Eigenthümer sein Eigenthum wieder zu verschaffen, als durch die Säße der Römischen Juristen, eine interessante Illustration für den Einfluß des Römischen Rechtes auf die Europäische Welt. 10)

Aber auch der enge Zusammenhang im Entwickelungsgange dieser Lehre mit den Wandlungen der staatsrechtlichen Anschauungen muß be achtet werden. Wenn man sich immer noch an das Römische Recht hielt, so war dies natürlich in jener Epoche, die ja bekanntlich überall eine Vermischung staats- und privatrechtlicher Anschauungen aufwies, die ein öffentliches Recht noch nicht kannte. Darf es uns wundern, daß in dieser Zeit auch die Unterwerfung der Völker und die Wiederherstellung gestörter Rechtsverhältnisse nach dem Kriege mit dem civilistischen Maß. stabe gemessen wurde, da man ja auch die Stellung des Regierungsnachfolgers zum Vorgänger in solcher Weise behandelte? Alle Anordnungen des occupirenden Feindes unterliegen hiernach folgerichtig der aufhebenden Kraft des Postliminiums, und die Gefährlichkeit dieser Auffassung wurde nur dadurch gemildert, daß man lezteres eben nur außer halb des Friedens anerkannte, sonst aber so eingehende Normen auf. stellte, wie sie z. B. der Ryswicker Frieden Art. XLVI. enthält.

Die Bedenklichkeit der gekennzeichneten Anschauungen sollte der Welt durch ein Ereigniß klar werden, welches wie kein anderes für die Entwickelung dieser Lehre von Bedeutung war, durch den Fall der sog. Westphälischen Domänenkäufer und der Hessen-Casselschen Staats capitalien (vgl. § 187). Das Königreich Westphalen, durch Napoleons

Gewalt begründet, verschwand 1813 in Folge des Sieges von Leipzig aus der Reihe der Staaten, und die früheren Fürsten wurden wieder eingesetzt. Diese betrachteten nun die siebenjährige Zwischenregierung als eine blos usurpatorische und glaubten die Rechtsbeständigkeit der von ihr vorgenommenen Handlungen nicht anerkennen zu müssen. Die vielseitige Erörterung der Fragen in der Presse und die einschneidende Bedeutung ihrer Beantwortung für das Publicum und sein Vermögen zeigte so recht, wie die alte „possessorische Auffassung" der Dinge vor der modernen Gedankenreihe der staatsbürgerlichen Epoche weichen mußte. Ein Sturm der Entrüstung ging durch Deutschland, als die restaurirten Fürsten das während der Zwischenregierung rite veräußerte Staatseigenthum sich kraft des „Postliminium“ aneignen wollten. Dieses Ereigniß belehrte die Welt, wie die Fälle der Usurpation und Occupation scharf zu scheiden seien und wie man für den ersteren nicht die Grundsäße vom Postliminium in Anwendung bringen könne. Aber noch weiterhin wirkten diese Ereignisse klärend, indem sie zur Erkenntniß brachten, daß auch unter fremder Occupation der Staat mit seinen tausendfältigen Bedürfnissen fortleben und daß in Folge dessen auch die Anwendung des Postliminium auf Regierungshandlungen vielfache Einschränkung erleiden müsse.

Es ist richtig, daß der Kernpunct unserer Lehre hierdurch ver schoben war und dieselbe jezt stets im Zusammenhang mit der „Zwischenherrschaft" behandelt wurde. Trozdem erhielt die Wissenschaft durch Erörterung dieser Fragen reiche Förderung, insbesondere durch die Referate in der Deutschen Bundesversammlung und die feinjuristischen Ab. handlungen Pfeiffer's (vgl. Literatur zu § 187). Eine monographische Beurtheilung der gesammten Postliminiumslehre vom völkerrechtlichen Standpuncte erfolgte jedoch nicht, während in wenigen Jahrzehnten drei Monographien über das Römische Postliminium erschienen! Mit feinem juristischen Tacte und großer Sachkenntniß versuchte dann Philli. more diese Lehre zu erfassen, und enthält bereits die 1. Auflage seines Werkes die ausführlichste Behandlung dieser Lehre in der neuesten Periode. Fassen wir neben der Theorie die Gerichtspraxis ins Auge, so verdienen insbesondere die Rechtssprüche der Amerikanischen Gerichte, welche gerade Phillimore in ausgedehntem Maße verwerthet, sowie die Entscheidungen des Französischen Cassationshofes nach 1870 Her. vorhebung (s. a. § 184).

1) Fr. 5 § 1 Dig. XLI., 1, Fr. 17, Inst. II., 1, Gajus II. § 69, IV. § 6. Ueber die Orientalischen Anschauungen vgl. Michaelis, Mosaisches Recht I., 254 ff. (5. Mof. 20), über die der Hellenen Jl., IX., 328, Polyb. IV., 67, Gilbert, Griechische Staatsalterthümer, 1885, II., S. 396, über die der Römer Osenbrüggen, De jure belli ac pacis Romanorum, 1836, S. 4 ff., Sell, Die Recuperation der Römer, 1837, Müller- Joch mus, Geschichte des Völkerrechts im Alterthum, 1848, S. 131 ff.

von

o) Fr. 12 § 15, Fr. 27 Dig. XLIX., 15. Citate bei Pernice, N. 50 ff. 3) Vgl. Bekker, Pandekten I., § 35, Beilage; auch Bechmann spricht „Schwebe" (vgl. bes. S. 83).

4) Inst. I. 12 § 5, II. 1 § 17, Fr. 16, 18 Dig. XLIX., 15 (Ulpian), Fr. 12, Dig. XXVIII. 1, (Julian). S. bes. Pernice, N. 66. Vgl. auch Bechmann § 12, IV., Abs. II., V., S. 79. (Demelius, Rechtsfiction, S. 75 ff., — berührt übrigens das Postliminium nicht.)

5) Cujac., Observat. lib. XXVI., 2, Hase S. 20 ff.

6) Sehr ausführlich über das Postliminium hinsichtlich des paterfamilias Bechmann S. 15 ff. [und die Stellung des Haussohnes in der Zwischenzeit, S. 27], das des Haussohnes S. 34, des Vormundes, Mündels S. 43. Ueber die Wirkung des Postliminiums auf die Ehe s. ebenda S. 44 und Hase S. 85. Nach der stets mit dieser Lehre zusammen erörterten fictio legis Corneliae wurde angenommen, daß die in feindlicher Gefangenschaft Verstorbenen in Beziehung auf ihre Beerbung und in Beziehung auf leztwillig angeordnete Vormundschaften, so behandelt werden sollten, wie wenn sie als Römische Bürger verstorben wären (die „Rückdatirung" des Todes stammt nicht vom Geseß — Fr. 12 Dig. XXVIII. 1 sondern von der Jurisprudenz. Vgl. Bechmann S. 84 ff., Hase S. 180 ff.)

7) Fr. 20 Dig. I. 5, Hase S. 158. Ueber einen andern Fall (Anspruch des in der Gefangenschaft geborenen Kindes einer statulibera) s. Bechmann S. 51; Verzeichnisse von Gegenständen bei Cicero und Festus, s. auch Puchta, Just. a. a. D.

8) Ayala, De jure et officiis belli I., c. 5, § 33 ff.

9) In der folgenden Zeit wurde der Ausdruck postliminium" oft in ganz seltsamer Weise verwendet, so z. B. behauptet, das „jus sacrorum“ sei den Deutschen Fürsten durch postliminium" zurückerworben. Eine diese Ansicht widerlegende von einem Jesuiten herrührende Heidelberger Dissertation von 1757: Gallade, Fictum postliminium juris sacrorum per instr. pacificationum imperii principibus restituti. In wieder anderer Bedeutung z. B. J. T. Werner vom Jure postliminii der Deutschen Auswanderer 2c., Lemgo 1801.

10),,It must be regarded as a striking illustration of the sway of Roman law over the European mind, that the lawyers have taken this road to help the first owner to his property after recapture." (Woolsey p. 258.)

§ 182.

Systematische Stellung und Quellen.

Literatur und Verweisungen: Preuß. A. L. R. I., 9, §§ 198, 199. Desterr. B. G. B. 402. Code civil 2279.

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lexikon und Stoerk, Jurist. Blätter a. a. D. (§ 180).

Brockhaus im Rechts.
Bluntschli§ 727.

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Die Entwickelung der Lehre vom Postliminium zeigt, wie der zuerst für das Privatrecht aufgestellte Begriff mehr und mehr ein Begriff des öffentlichen Rechtes geworden. Vielleicht aber darf man ihn noch weiter fassen, als es gewöhnlich geschieht, und behaupten, derselbe habe nicht auf dem einen oder dem anderen Rechtsgebiete, sondern für alle Zweige des Rechtes Bedeutung. Das Postliminium bezeichnet die allgemeine Wiedereinsehung in den vorigen Stand für den besonderen Fall der kriegerischen Occupation. Insofern gehört das Postliminium allen Rechtsgebieten an, insofern giebt es ein Postliminium für Personen und Sachen, für Geseze und Einrichtungen, für Verhältnisse des privaten und des öffentlichen Rechtes, für Proceß- und Strafrecht.1) Dies wollen wir versuchen im Auge zu behalten, und wir bieten vielleicht im Folgenden wenigstens die Bausteine für eine allgemeinere, das ganze Gebiet des Rechtes umspannende Betrachtung einer Lehre, die man zu. weilen gar (vielleicht wegen einer etwas scholastischen Behandlung) als ein un peu épisodique" bezeichnet oder für ganz entbehrlich erklärte.")

Die Lehre, welche die Rückführung aller Verhältnisse nach dem Kriege zum früheren Rechte darlegt, zeigt freilich in Folge ihrer Natur Berührungspuncte mit fast allen anderen Zweigen der Rechtswissenschaft, das persönliche Postliminium mit dem allgemeinen Personenrecht und Erbrecht, das sachliche mit der Lehre vom Eigenthumserwerb. Die strafrechtlichen Lehren von dem Geltungsgebiet der Strafgeseze und von der Unterbrechung der Verjährung wie die civilprocessualen über Fristenversäumniß, justitium, u. s. w. reichen an dieses Gebiet heran; und die lezten beiden Paragraphen werden uns den engen Zusammenhang unserer Lehre mit staatsrechtlichen Fragen darthun. Ihren Mittelpunct aber findet die Lehre in der völkerrechtlichen Wissenschaft, welche diese verschiedenen Richtungen zusammenzuleiten und den sie beherrschenden Kernpunct, die allgemeinen Grundsäße festzustellen hat.

Ein Blick auf die Quellen bestätigt eine solche Auffassung. Die Rechtssäße über das Postliminium sind internationales Recht. Daß das Römische Recht über diesen Gegenstand, auch da wo es sonst recipirt ist, keine Gültigkeit hat, ist seit Hugo Grotius bereits allgemein aner kannt;) aber auch das Landesrecht trifft meistens nur vereinzelte Bestimmungen. Wo solche bestehen, gelten sie naturgemäß an erster Stelle.

Das Preußische A. L.-R. enthält einige, aber auch nicht erschöpfende Bestimmungen, das Französische Recht schweigt, das Sächsische und Desterreichische bürgerliche Gesetzbuch überlassen, ausweislich der Motive, diese Fragen ausdrücklich dem Völkerrecht,5) ebenso verfährt der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich,) und ein sorgfältiges Studium der in der Anmerkung aufgeführten Gesezesquellen und Commentare ist vielleicht geeignet, den Leugnern des Völkerrechts zu beweisen, daß das Bestehen eines solchen wenigstens von den großen Gesetzgebungen unserer Zeit vorausgesetzt oder anerkannt wird.

1) Von einem kirchenrechtlichen Postliminium kann nicht wohl gesprochen werden, wie es z. B. die in § 181, N. 9, citirte Dissertation thut. Man könnte höchstens etwa an die Reconciliatio einer durch Blutthaten polluirten Kirche, denken (Hinschius, Kirchenrecht IV., 1, S. 328). Für das kirchliche Gebiet gelten, weil öffentlich rechtliches Gebiet, die völkerrechtlichen Säße, daß sich durch Eroberung an den Eigenthumsverhältnissen nichts ändere, nach der unten § 184 citirten Entscheidung des Deutschen Reichsgerichts, nicht.

2) Hallam, Histoire de la litt. de l'Europe, 1840, III, 309. Vgl. Brockhaus im Rechtslexikon III., 99.

) H. Grotius 1. c. §§ 15. 19, Heffter § 189.

4) A. L.-R. I., 9, §§ 198, 199. ,,Unbewegliches Eigenthum ist niemals ein Gegenstand der Beute. Bewegliche Sachen, die der Feind weggenommen und veräußert hat, kann der vorige Eigenthümer gegen Erstattung desjenigen, was dafür gezahlt worden, zurückfordern.“ Vgl. die Erläuterungen zu diesen Paragraphen und dem ganzen V. Abschnitt von I., 9, insbes. bei Koch, A. L.-R., 1884, I., S. 521, Rönne, Ergänzungen zum A. L..R., Klein II., S. 218, Gans, Beiträge I., S. 155. Fälle: Striethorst, Archiv, Bd. 53, S. 316. Bd. 82, S. 166. Erörterung der Fragen: wie lange zurückgefordert werden kann, von wem, was Rechtens sei, wenn die Sache verbraucht und was, wenn sie mit Vortheil weiter veräußert, vgl. Rönne a. a. D. und das Schreiben des Ostpreuß. Prov. Departements vom 8. Mai 1808 Rabe IX., S. 195 betr. den von den Bürgern einzuziehenden Nachschuß für das vom Feinde unter den Factorei. preisen erkaufte Salz.

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5) Code civil 2279. Motive und Erläuterungen zu § 232 des Sächsischen G..B. (für das ältere Recht s. Haubold § 181, N. d.). Oesterr. B. G..B. § 402 (Dienstreglement vom 9. Aug. 1873, 391, 2., Mil.-Str.-G.-B. 264, 492 ff., 733). Vgl. Stubenrauch, Commentar I., S. 495. Ueber den nicht mehr anwend. baren Saz des Bayr. L.-R. II., 3, § 6, s. Roth, System des Bayr. Privatrechts II., S. 171, § 140. Reyscher, Württemb. Recht, § 289. Außerdem Beseler § 89, Stobbe Bd. II., S. 591 u. s. w.

6) Motive zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesezbuches für das Deutsche Reich Bd. III., S. 370. („Zu einer Regelung :c... ist ohne Zweifel das bürgerliche Gesetzbuch nicht der geeignete Ort".)

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