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mögen unter Lebenden oder durch leßten Willen verfügen. Wie weit er alle diese seine Rechte wahrnehmen kann, wird lediglich von den thatsächlichen Verhältnissen und von den Gesezen des feindlichen Staates abhängen. So spricht z. B. § 44 des Deutschen Reichsmilitärgesezes ganz allgemein „Kriegsgefangenen und Geiseln“, so lange dieselben sich in der Gewalt des Feindes befinden, die Befugniß des Militärtestamentes zu. Es bedarf heute keiner Fiction, um dem Kriegsgefangenen die vaterländischen bürgerlichen Rechte zu erhalten. Dieselben gehen überhaupt nicht verloren; es kann, wenigstens für Erhaltung der Privatrechte, in der Zwischenzeit gesorgt werden, und der volle Genuß aller Rechte tritt durch die Befreiung von selbst ein, der persönliche "Status" ist vom Augenblick der Rückkehr an unverändert. Während der Kriegsgefangene nach früheren Anschauungen ein Unfreier war, gilt er im modernen Rechte einfach als Abwesender, und es kommen auf ihn die zahlreichen Grundsäge in Anwendung, welche das Privat- und Proceßrecht hinsichtlich der Behandlung Abwesender aufstellt.

Während das Gesagte hauptsächlich die privatrechtlichen Verhältnisse betrifft, kann andererseits von einem persönlichen Postliminium ganz besonders mit Bezug auf die öffentliche Rechtsstellung des Individuums gesprochen werden. Zunächst handelt es sich hierbei auch um die Rechtsverhältnisse der Kriegsgefangenen. Die hierauf bezüglichen Fragen sind durch Art. 76-80 der Lincoln-Lieber'schen Kriegsartikel in ziemlich allgemein anerkannter Weise gelöst worden. Das Postliminium findet danach für Kriegsgefangene nach dem Friedensschlusse statt. Aber auch ihre thatsächliche Befreiung während des Krieges giebt ihnen alle öffentlichen Rechte und Pflichten wieder. Die praktische Folge ist von außerordentlicher Bedeutung: werden dieselben von neuem gefangen, so können sie zwar einer sorgfältigen Verwahrung unterliegen, aber wegen der inzwischen erfolgten Antheilnahme am Kriege nicht gestraft werden. Durch die geglückte Befreiung aus der feindlichen Gewalt, auch durch die Rettung zu Neutralen, lebt in dem bisher Gefangenen auch die staatsbürgerliche Pflicht und das heilige Recht wieder auf, für sein Vaterland die Waffen zu führen, ohne daß er dadurch Gefahr liefe, bei einer neuerlichen Gefangennahme der Wohlthaten der modernen Kriegshaft verlustig zu gehen. Anders verhält es sich freilich, wenn etwa eine Entlassung auf Ehrenwort erfolgt ist. Dann kann eine kriegsgerichtliche Bestrafung nach den allgemeinen Grundsäßen des „fides etiam hosti servanda" stattfinden.

Analoge Anwendung finden diese Grundsätze auf Geiseln und andere Personen, welche aus der feindlichen Gewalt befreit werden.

Abgesehen von diesen mit der oben (Bd. IV. S. 423) behandelten Lehre von der Kriegsgefangenschaft in Verbindung stehenden Rechten kann das Postliminium auch hinsichtlich anderer öffentlich-rechtlicher Verhältnisse in Betracht kommen; vor allem ist eine Fortdauer des früheren Status auch in Bezug auf Aemter anzuerkennen. Der Gefangene verliert dieselben nicht; wie weit die damit verbundenen Vortheile, die in der Zwischen.

zeit zu beziehen gewesen, reclamirt werden können, ist eine Frage des inneren Staatsrechts. Das Römische Recht schloß dergleichen Ansprüche, z. B. auf den in der Zwischenzeit fällig gewesenen Sold aus, doch können Billigkeit und Staatsverfassung anderes mit sich bringen. Durchaus dieselben Säge müssen für diejenigen Personen gelten, welche im Occupationsgebiete persönliche Rechte hatten und jenes Gebiet verließen, z. B. Beamte, welche vom Feinde durch andere erseßt wurden.

Vielleicht darf bemerkt werden, daß, wie es ein Postliminium für physische Personen giebt, auch ein solches für juristische Personen angenommen werden kann. Hier sind sogar die juristischen Constructionen bedeutend einfacher. Denn die juristische Person kann in solchem Falle nach ihrem Tode im wahrsten Sinne des Wortes wiederaufleben. Eine Körperschaft (Eisenbahngesellschaft, Jnnung, Versicherungsgesellschaft 2c.) kann durch den occupirenden Staat aus mannigfachen Gründen unterdrückt und nach Beendigung der Occupation in alle ihre Rechte wieder eingesezt werden.

Noch in einer anderen Richtung, als bisher, möchten wir von der Anwendung des Postliminium sprechen, obwohl dies in der Theorie noch nicht geschehen ist. Man darf wohl die Grundsäße vom Postliminium theilweise auch auf das Gebiet des Strafrechts ausdehnen. Nicht nur für jene persönlichen Rechte, deren wir Erwähnung gethan, auch in Bezug auf die bürgerlichen Pflichten, inBezug auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit und Haftbarkeit giebt es ein Postliminium. Hier erheben. sich allerdings die schwierigsten Fragen, welche wohl im Stande sind, die Aufmerksamkeit des Criminalisten auf sich zu lenken. Zunächst kann es keinem Zweifel unterworfen sein, daß wegen der vor der Occupation begangenen Strafthaten auch nach derselben eine Verfolgung stattfinden kann. Hier handelt es sich nicht um eine Unterbrechung der Verjährung, sondern um ein Ruhen derselben. Die rechtliche Unmöglichkeit des Proceßbeginns oder der Fortsetzung desselben ist hier der Grund des aufgehobenen Verjährungslaufes. Die Rechtsfrage zeigt einige Analogie mit dem Falle des auf hoher See begangenen Delicts, für welchen z. B. Art. 100, 2 der Deutschen Seemannsordnung die Normen aufstellt. Die rechtliche Feststellung wird sich in solchen Fällen stets darauf zu erstrecken haben, ob wirklich die Möglichkeit der Verfolgung unterbrochen, die ordentliche Rechtsprechung gänzlich gehemmt war.

Sehr viel schwieriger ist die Entscheidung hinsichtlich der während der Occupationszeit selbst im Occupationsgebiete begangenen gemeinen Delicte der eigenen Staatsangehörigen, selbstverständlich so weit nicht die Kriegsgerichtsbarkeit des occupirenden Feindes in Betracht kommt.1) Soll man sagen, der Feind habe jedenfalls die Strafgewalt für das Occupationsgebiet in vollem Umfange gehabt, und so weit er sie nicht ausgeübt, sei für eines anderen Staates Strafgewalt kein Raum geblieben, oder soll man das Strafrecht des betr. Staates als weiterbestehend erachten? Die Praxis, welche mehrfach Gelegenheit hatte, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, bietet uns insofern geringen Anhalt, als sich die Entschei

dungen der Gerichtshöfe verschiedener Staaten schnurstracks gegenüberstehen. Die Französischen Gerichte haben die lettere, die Amerikanischen Gerichtshöfe die erstere Ansicht angenommen. Insbesondere handelte es sich bei solchen Entscheidungen um Zollcontraventionen. Waaren, die in occupirtes Gebiet des Staates X eingeführt sind, gelten nach der Amerikanischen Auffassung nicht in den Staat X eingeführt, und der Zollcasse des lezteren kommt ein Postliminium nicht zu Gute, während nach der Entscheidung des Pariser Cassationshofes gerade Zollgeseze, Forstgeseze u. s. w. verbindlich bleiben.2)

Wir entscheiden uns grundsäßlich zunächst dahin: Das Strafrecht des occupirten Staates bleibt bestehen, so weit es nicht ausdrücklich oder that. sächlich aufgehoben ist. So weit die occupirende Macht eine Kriegsgerichts barkeit ausübt, kann für die dieser unterworfenen Delicte später nicht eine Verfolgung eintreten. Keineswegs aber werden dadurch alle übrigen Delicte für straflos erklärt; mithin ist eine spätere Verfolgung wegen gemeiner Vergehen nach Aufhebung der der Occupation möglich. In Bezug auf das Verwaltungs- und Polizeistrafrecht, insbesondere auch hinsichtlich der Verlegungen des Finanzrechts wird die Bestrafung jedoch von der Prüfung der thatsächlichen Verhältnisse abhängig sein; sie wird ausgeschlossen sein, sofern der occupirende Staat etwa ein Verwaltungsgebiet in seinem ganzen Umfange seiner Gewalt unterstellt hat, wie dies hinsichtlich der Ausnußung der Finanzquellen meist der Fall ist. Im Uebrigen jedoch hieße die Anerkennung der Straflosigkeit für das ganze Gebiet des Strafrechts nicht nur dem unglücklichen Besiegten die Mittel nehmen, gegen sich selbst gerichtete Strafthaten später zu ahnden, sondern es hieße überhaupt das Unrecht sanctioniren und das Occupationsgebiet zu einer Freistatt unsittlicher Handlungen machen. So ist die Anerkennung des Postliminium in diesem Sinne zwar gewissermaßen ein privilegium odiosum der durch die Kriegsgeseße nicht getroffenen Delinquenten, aber eine Forderung der Gerechtigkeit.

1) Der unten § 186, Note 6, berührte Fall bietet auch strafrechtliches Interesse. Die Französischen Gerichte erkannten, daß, wenn auch der Eroberer Verkäufe von Bäumen aus Domanialforsten vornähme, doch kein Franzose dürfte „s'en rendre adjudicataire, . . . si non en encourant les rigueurs de la loi pénale“. Erkenntniß vom 27. August 1872, Dalloz II., 186. Vgl. Französisches Decret vom 9. Februar 1871, Aufrechthaltung der Forststrafgeseze betreffend. Unterbrechung der Criminal. verjährung findet nicht ohne Weiteres statt; s. Dalloz 1871, I., 358, und insbes. III., 92. Ueber den Fall des Grafen Platen - Hallermund s. Forsyth, Constitutional opinions, S. 335, Pitt Cobbet, Cases, S. 155. Aehnlich 8 Wheaton, Rep. 588. Vgl. auch oben Bd. II., § 12, Note 1. Daß in er oberten Gebieten über denselben Gegenstand nicht zwei Gesetzgebungen gelten können, ist nachgewiesen in Hirths Annalen 1874, S. 529.

2) Hinsichtlich der Anwendung des Postliminium auf Zollcontraventionen stehen sich die Ansichten der Französischen und Amerikanischen Gerichts.

höfe gegenüber. Nach einer Entscheidung des Französischen Cassationshofes (Dalloz 1872, II., S. 185, 27. August 1872; vgl. auch 1871, II., 132) bleiben auch im occupirten Gebiete alle Zollgeseze c. bestehen; wogegen nach Amerikanischer Auffassung der Import in das vom Feinde beseßte Gebiet nur den von diesem erhobenen Gebühren unterworfen ist. „That goods imported into it are not imported in the United States; and are subject to such duties only as the conqueror may impose. . that the jus postliminii do not apply to such a case; and that goods previously imported do not become liable to pay duties to the U. S. by the resumption of their sovereignty over the conquered territory." Vgl. inbes. U. S. v. Rice, Wheaton, Rep. IV., 246, Curti, Rep. IV., 391, U. S. v. Hayward, Gallisons, Rep. II., 500, Wheaton p. 580, Phillimore p. 874.

§ 185.

B. Das sachliche Postliminium. Privatrechtliches

Postliminium.

Literatur und Verweisungen: Heffter §§ 190, 191.

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Pfeiffer, Recht
S. 48 ff., 68 ff.

Bluntschli

Krauß (citirt zu § 180). - Young (citirt zu § 181).
Phillimore § 545.

Calvo §§ 2980, 2981.

der Kriegseroberung, S. 41 ff. Corsi, Occupazione, Litta S. 47 ff. Nic. de Landa S. 96 ff. Rouard de Card, La guerre continentale et la propriété, Paris 1875, insbes. S. 26 ff. Vgl. oben S. 836.

Das Postliminium, soweit es bisher besprochen wurde, erfolgt durch den Wiedereintritt des Kriegsgefangenen oder anderer Personen in frühere Rechtsverhältnisse. Dem gegenüber erscheint das sachliche Postliminium als Wiedererlangung der vom Feinde in Beschlag genommenen Sachen. Während das Römische Recht ursprünglich nur in Bezug auf eine bestimmte Reihe von Gegenständen die Wohlthat des Postliminium gewährte, und sogar z. B. den feinen Unterschied von Kriegs- und Transportschiffen gegenüber Vergnügungsgondeln machte, kann nach moderner, bereits seit Hugo de Groot herrschender Auffassung grundsäglich kein Gegenstand als postliminiumsunfähig angesehen werden. Fast könnte man freilich meinen, das moderne Zeitalter, welches das Beuterecht in einem durchaus anderen Sinne kennt, könne den Rechtsbegriff des Postliminium für das Privateigenthum entbehren. Immerhin giebt es in jedem Kriege Fälle genug, wo eine Aneignung fremden Eigenthums stattfindet und wo das Postliminium mit seiner correctiven Tendenz als Handhabe zur Wiederher stellung der gestörten Rechtsordnung dienen kann; insbesondere aber machen - nach Stoerk's zutreffender Bemerkung die mittelalterlich rechtlosen Zustände des Seekriegs den gänzlichen Verzicht auf dieses juristische Hülfsmittel unmöglich.

Das Postliminium wirkt hinsichtlich des Grundeigenthums: ist dasselbe während des Krieges dem Eigenthümer entzogen, und gelangt es wieder unter die Autorität des befreundeten Staates zurück, so erlangt auch jener sein Eigenthum wieder. Nur eine ausdrückliche Bestimmung des Friedens könnte das Gegentheil bewirken, und es würde dann nach dem Rechte des betr. Staates etwa nach den Enteignungsgeseßen Entschädigung zu gewähren sein. Wohl werden die öffentlichen Rechte und Pflichten durch die Occupation berührt, nicht aber die privatrecht. lichen Beziehungen. Der häufigste Fall ist der, daß die Privaten einfach aus ihren Besizungen verdrängt, die leßteren zu militärischen Zwecken benutzt werden. In diesem Falle kann der Eigenthümer nach Vertreibung des Feindes sich einfach wieder in Besit seines Grundstückes setzen: wie weit er für jene Benußung eine Entschädigungsforderung an Staat oder Gemeinde hat, ist keine Frage des internationalen Rechtes.1) Eine wirk liche Aneignung privaten Grundeigenthums wird heutzutage selten sein; spricht doch schon das Allgemeine Preußische Landrecht I., 9 § 199 aus, daß unbewegliches Eigenthum nicht Gegenstand der Erbeutung sein kann.2) Troßdem müssen wir auch einen solchen Fall ins Auge fassen. Es kann 3. B. sehr leicht ein Mißverständniß über die Eigenthumsverhältnisse beim Eroberer obwalten; so hielt man u. A. bei der Besetzung Straßburgs Ende September 1870 das Schloß irrthümlicherweise zuerst für Staats, eigenthum. Hat nun etwa eine Veräußerung von Privatgrundstücken Seitens des Feindes stattgefunden, so ist eine solche unbedingt nichtig und die Vindication zugelassen, unter der Vorausseßung, daß Meliorationen ersezt werden. Wie die Veräußerungen von Grundstücken selbst, so sind auch die von Pertinenzien und von dinglichen Rechten, Servituten 2c. zu beurtheilen. Der Eroberer wird vielleicht, durch die Kriegsnoth gezwungen, das Recht haben, die Früchte zu verkaufen, Pachtgelder einzuziehen, nicht aber über derartige dingliche Rechte dauernde Verfügungen zu treffen, etwa die Ausübung des Jagdrechtes3) zu verpachten u. s. w.

In Bezug auf die beweglichen Sachen kann ebenfalls von einem Postliminium gesprochen werden. Bluntschli erklärt, daß auch diese bis zum Friedensschlusse von dem verlegten Eigenthümer zurückgenommen werden können, wenn die feindliche Gewalt verdrängt ist. Vorbehalten bleiben die privatrechtlichen Beschränkungen, welche der dinglichen Ver folgung beweglicher Sachen im Wege stehen, und die Bestimmungen zu Gunsten des redlichen Verkehrs, welche den Erwerber schüßen. Unter den beweglichen Sachen, welche nach dem leßten Deutsch-Französischen Kriege den rechtmäßigen Eigenthümern zurückgegeben wurden, ist besonders das Material der Eisenbahnen zu erwähnen.1) Zum Zwecke der großen Gefangenentransporte mußten etwa 15 000 Wagen der Französischen Eisenbahngesellschaften nach Deutschland verbracht werden, welche nach dem Frieden zurückgeliefert wurden. Die für all dies in Anwendung kommen. den Grundsäge stehen in so engem Zusammenhang mit der Lehre vom Rechte der Kriegführenden über das Privateigenthum im Occupations

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