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gebiete, daß eine abgesonderte Behandlung unmöglich ist und hierfür auf die obige Darstellung Lueder's S. 482 ff., 496 ff. verwiesen werden muß.

In wie weit das Postliminium im Seekriege wirkt (jus recuperationis, droit de recousse ou de reprise), ist an anderer Stelle (IV., S. 593, 835) erörtert und kann hier ebenfalls übergangen werden.

Erwähnt sei nur noch der Fall, daß Sachen feindlicher Unterthanen sich beim Ausbruche des Krieges in der eigenen Gewalt des anderen kriegführenden Theiles befinden. Nach modernem Rechte sollen diese Sachen auch ferner den Schuß des Staates genießen, in dem sie sich befinden, und dem Eigenthümer verbleiben. Könnte jedoch dadurch, daß fie in freiem Verkehr blieben, dem Feinde Vortheil erwachsen, oder könnte ein Nothfall eine Benüßung zu eigenem Unheil hervorrufen, so dürfte immer nur eine Beschlagnahme stattfinden, und es würde hier nach Aufhörung des Kriegszustandes eine Restitution (auch eine Art Postliminium) einzutreten haben. (Vergl. Frankfurter Frieden Art. 12.)

Daß ebenso wie für die beweglichen und unbeweglichen Sachen ein Postliminium auch für immaterielle Güterrechte wirken könne, ergiebt fich aus den allgemeinen Grundsäßen. So werden insbesondere die Inhaber von Patenten in ihre früheren Rechte eingesetzt; u. A. wurde in Bezug auf die Wahrnehmung der Fristen für Patenterneuerung) von der Französischen Regierung 1870 eine besondere Verordnung erlassen.

Obligations Rechte erleiden durch den Krieg keine Aenderung und bleiben auch während der Kriegsgefangenschaft oder andere durch den Krieg veranlaßte Verhinderung wirksam, der Verhinderte sei Gläubiger oder Schuldner, und es mag der Feind die Forderung vom Schuldner eingezogen haben oder nicht. Im strengsten Sinne des Wortes kann dies überhaupt nicht geschehen, sondern der Schuldner nur mit Hinblick auf jene obligatorische Verpflichtung zu einer der lezteren gleichwerthigen Zahlung gezwungen werden. Dies ist ein Unglück für ihn, giebt ihm höchstens eine eventuelle Einrede (vergl. unten § 187 a. E.), befreit ihn jedoch nicht, denn die Forderung besteht in dem rechtlichen Bande zwischen Schuldner und Gläubiger, und des Lezteren Recht kann ohne seinen Willen nicht verloren gehen: das sind übrigens Fragen, die lediglich dem Civilrechte angehören. Auch ist es unmöglich, die Frage, ob und wie Forderungsrechte occupationsfähig sind, im Einzelnen zu prüfen.6) Nur so viel sei bemerkt, daß von einem Postliminium i. e. S., wie es gerade hier im Anschluß an einen Fall aus dem classischen Alterthum, an eine Amphyktionenentscheidung mit Vorliebe erörtert wurde, hier nicht die Rede sein kann. Längst ist anerkannt, daß die Gewalt über die Person des Gläubigers nicht ein jus exigendi seiner Schulden giebt, und daß Forderungsrechte, als etwas Unkörperliches, überhaupt nicht Gegenstand der occupatio bellica sind. Unzweifelhaft bleibt, was früher ebenfalls bestritten wurde, der Gläubiger auch dann im Besize seiner Forderung, wenn die Documente, die über die Forderung ausgestellten Urkunden, die Schuldverschreibungen verloren oder erobert sind: diese sind Mittel das Recht zu beweisen, nicht Träger

desselben; das Forderungsrecht haftet nicht auf der Schuldurkunde und wird nicht durch deren Besißergreifung erobert.7)

Wie nun das Postliminium zu Gunsten aller gestörten Privatrechte wirkt, so kann man in einem gewissen Sinne von solcher Wirkung auch in civilprocessualischem Sinne sprechen. Nicht nur daß der Verjährungslauf während der Occupation ruht, auch alle anderen Fristen werden hinausgeschoben, wie event. das ganze Verfahren unterbrochen. Theils enthalten die Geseze, wie z. B. die Deutsche Civilproceßordnung, schon hierüber Bestimmungen, theils werden solche im Einzelfalle erlassen, wie dies z. B. 1870 seitens der Regierung der nationalen Vertheidigung geschah.8)

Alles über die privatrechtlichen Beziehungen Gesagte findet in seiner ganzen Ausdehnung auf das Privatvermögensrecht des Staatshauptes und seiner Familie Anwendung. Das fürstliche Privatgut ist naturgemäß in höherem Grade als die Habe anderer Personen der Kriegsgewalt aus. gesezt. Der Fürst ist weit eher in Gefahr, daß sein Privatgut beschlag. nahmt oder veräußert wird. Falls lezteres geschehen, so wird das Postliminium genau so wie für Privatrechte der Bürger wirksam. „Le droit de conquête n'a effet au préjudice des princes que par les biens qu'ils possèdent en qualité des princes, et non par les biens qu'ils possèdent comme simple propriété.9)

1) Dalloz 1872, III., 86.

2) S. oben § 182, Note 3, 4, insbes. Reyscher, Württembergisches Recht, § 289, Note 9. Aus diesem Grunde erklärte z. B. Wheaton den Begriff des Postliminium für unanwendbar auf Privateigenthum, weil dies überhaupt nicht erobert werden könne. Vgl. betreffs der Berechtigung über Immobilien insbesondere Phillimore § 549, III., S. 823. Ein sehr berühmter Fall, der über die grants of territory made by British governors after the Declaration of Independence by the Americans. Für ungültig erklärt: Harcourt v. Gaillard, 7 Curti's Amer. Rep. p. 332. Vgl. Phillimore S. 815.

3) Ueber das Jagdrecht vgl. Franz. Decret vom 13./15. September 1870, und Dalloz 1875, II., 204 (Phillimore S. 878).

4) Vgl. Calvo § 1940. Ueber das Recht an beweglichen Sachen überhaupt s. Phillimore S. 617, 866, 1. Edward, Adm., Rep. p. 60. Den engen Zusammenhang dieser Fragen mit der Lehre von der Occupation betont besonders Martens Vergé § 283, S. 264.

5) Vgl. Franz. Decret vom 10./24. September 1870, Dalloz 1870, IV., G. 88,

6) Hierüber vgl. u. A. Hartmann, Obligation, 1875, S. 117-272, F. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung, 1853, Archiv für civilistische Praxis, XV., 6, 9, XXXIV., 5, 10, 17.

7) In diesem Sinne Lauterbach, Colleg. Pandect. XLVI., tit. 3, § 16, Barbeyrac Note 1 ad Pufendorf, Jus nat. VIII., 6, § 19. Gute Er örterungen bei Pfeiffer S. 55-61, und Phillimore S. 821 ff. Anders

verhält es sich freilich, wenn etwa Inhaberpapiere occupirt sind. Die Frage, ob dann vielleicht ein Aufgebotsverfahren stattfinden dürfe, verdiente eine eingehende Untersuchung. Ueber die Rückgabe occupirter Obligationen finde ich unter neueren Friedensschlüssen die Bestimmung des Art. 17 des Friedens mit Bayern vom 22. August 1866.

9) Deutsche C.P.D. §§ 222 u. 224. Das Franz. Decret vom 9. Septbr. 1870 bestimmte: „Toutes prescriptions et peremptions en matière civile, tous les délais impartis pour attaquer ou signifier des décisions des tribunaux etc. sont suspendus pendant la durée de la guerre." Decret vom 3./5. October, Art. 2:,,Il est accordé à dater de la cessation de la guerre un délai égal à celui qui restait à courir au moment où elle a été déclarée." Vgl. Dalloz 1870, IV., 95, Gesez vom 26. Mai 1871 (Documents I., S. 364). Streitfrage: Dalloz 1875, I., S. 209.

9) Sirey XVII., I., S. 217.

§ 186.

C. Das Postliminium des öffentlichen Rechtes.

Literatur: Heffter § 188.

Bluntschli §§ 731-733.
Hall §§ 163, 164.

Stoerk, Jurist. Calvo § 2989.

Blätter a. a. D., S. 486.
Ruble, A. de l'armée et l'administration allemande en Champagne,
Paris, Hachette 1872 (enthält S. 113-261 alle wichtigen Actenstücke).
Corsi, L'occupazione, S. 98-198. Vgl. auch die Lit. zu § 118 oben S. 510.

Das antike Postliminium trug vorzugsweise einen privatrechtlichen Charakter: heute findet der Restitutionsgedanke ganz besonders seine Anwendung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes, und während jener Rechtsbegriff wohl gar als entbehrlich bezeichnet werden konnte, ist das Postliminium öffentlich rechtlichen Charakters in seiner vollen Bedeutung allgemein anerkannt. In dieser Anerkennung ist der Fortschritt der staatlichen Anschauungen am deutlichsten erkennbar. Daß der Staat als solcher auch unter fremder Gewalt fortlebe, ist der Grundgedanke des öffentlich-rechtlichen Postliminiums der Gegenwart.

Das frühere Staatsverhältniß tritt wieder in Kraft, so bald ein Kriegführender ein in Besitz genommenes Gebiet des Gegners verläßt. In Bezug auf die Art der Gewaltausübung Seitens des occupirenden Feindes sind verschiedene Möglichkeiten vorhanden. Es hat vielleicht eine Occupation stattgefunden, bei welcher lediglich Kriegsrecht geübt und nur, soweit es der Krieg erforderte, die Verwaltung geführt worden ist; oder der occupirende Staat hatte von vornherein die Absicht, das besezte Gebiet sich einzuverleiben.) Im lezteren Falle kann wohl, wenn jene Absicht verwirklicht wird, die Einrichtung einer Verwaltung als Beginn endgültiger Besißnahme gelten; wie aber, wenn jenes Gebiet nun nicht einver

leibt wird? Man braucht hier nicht nur daran zu denken, daß der Feind wieder vertrieben wird, vielmehr ist zu beachten, daß von vorn herein niemals ganz genau feststeht, bis zu welcher Grenze eine Einverleibung stattfindet, daß bei der endgültigen Festsehung im Frieden noch mancher Austausch von Grenzgemeinden vorgenommen wird.2) Für alle diese Gebiete, für alle diese Fälle gelten die gleichen Regeln: andere Rechtssäze ergeben sich nur für den im Schlußparagraphen erwähnten Fall der Usurpation. Bei den eben gedachten Fällen handelt es sich immer darum, daß die Herrschaft des Feindes weder durch einen Friedensschluß bestätigt, noch anderweitig zu einem anerkannten Rechtszustand geworden ist. Hier ist das Postliminium zugelassen und bedeutet im Allgemeinen die Erneuerung des vorherigen Rechtszustandes: keineswegs aber schließt diese Erneuerung eine Nichtigkeit für alle Regierungsacte in sich. Vielmehr müssen diese nach ihrer rechtlichen Natur unterschieden werden und man formulirte eine allgemeine Regel dahin, daß dieselben, soweit sie blose Gerichts- und Verwaltungsacte sind, in Kraft bleiben, dagegen, sofern sie den Verfassungszustand betreffen oder überhaupt einen politischen Charakter haben, unwirksam werden.

Die Maßnahmen der Occupationsgewalt verfolgen gewöhnlich einen zweifachen Zweck. Die einen stehen in engster directer Verbindung mit dem Kriege und werden geradezu durch die Erreichung bestimmter Kriegs. zwecke bedingt: die Fürsorge für die Truppen, die Verwaltung der Eisenbahnen, die Beschaffung von Geldmitteln u. s. w. gehören hierher. Eine andere Gruppe von Verwaltungshandlungen erfolgt wesentlich im Interesse der Bevölkerung, um die schädlichen Folgen des Krieges für diese erträglich zu machen, um auch inmitten der Kriegsnoth eine geregelte Verwaltung zu erhalten. Bei keiner dieser Maßnahmen darf die nur provisorische Berechtigung der occupirenden Macht vergessen werden; so bald sie etwas thut, was über das Kriegsrecht hinausgeht, eine Regierungshandlung vornimmt, die die volle Souveränetät voraussetzt, kommt das Postliminium zur Wirksamkeit.

Man wird aber in Bezug auf die einzelnen Verwaltungsacte hauptsächlich drei materielle Gebiete unterscheiden können: die eigentlichen Regierungsacte von politischer Bedeutung, die Verwaltungsacte ohne solche, d. H. die Acte der inneren Verwaltung und Polizei, sowie die der Rechtspflege, und drittens die Maßnahmen auf dem Gebiete der wirth schaftlichen und Finanzverwaltung.

1. Die politische Regierung so weit von einer solchen die Rede sein kann wird ja während der Occupation auch von der Kriegsgewalt geführt. Hier sind die Anordnungen in keiner Weise für die Zukunft verbindlich. Jede Aenderung der Verfassung fällt ipso jure mit Aufhören der Occupation fort, und es hängt ganz von dem Staatsrechte des betreffenden Staates ab, wie weit die frühere Verfassung wieder herzustellen ist. Auf diesem Gebiete kann der Feind so wenig dauernd gültige Anordnungen treffen, wie auf dem der auswärtigen ohnedies wohl

völlig aufgehobenen oder der militärischen Verwaltung; wie überhaupt alle organisatorischen Maßnahmen nur vorübergehende Wirkung haben können.

2. Anders verhält es sich auf dem Gebiete der Verwaltung i. e. S. und insbesondere auf dem der Rechtspflege. Ein Gesezgebungsrecht hat der Eroberer nur für die Zeit der Occupation, und jedes Gesetz kann später aufgehoben werden unter billiger Berücksichtigung der dadurch etwa begründeten Privatrechte. Die einmal getroffenen Verwaltungsanordnungen und die gefällten gerichtlichen Entscheidungen können aber nicht ohne Weiteres aufgehoben oder umgestoßen werden. Der Eroberer war ermächtigt, die Verwaltung zu ordnen, ihre Fortführung lag nicht sowohl in seinem wie im öffentlichen Interesse. Daß hier das Geschehene anerkannt werden. muß, ergiebt sich aus der Fortdauer der staatlichen Bedürfnisse der Bevölkerung. Die Cassation der inzwischen gefällten Urtheile müßte zu den größten Verwirrungen führen. Es wird sich hier also im Wesent= lichen um die Frage handeln, ob relativ rechtmäßig beseßte Gerichte entschieden haben;3) sofern dies der Fall war, kann von einer späteren Cassation der Urtheile, nachdem vielleicht überall das Personal der Gerichte gewechselt, nicht die Rede sein. Selbstverständlich bleiben die Civil wie Strafurtheile nur bestehen, sofern sie keine Beziehung zur Politik haben. Sofern aber der Eroberer vielleicht eine regelmäßige Verwaltung und Justiz nicht organisirt hat, oder die Organisation dieser Zweige staatlicher Thätigkeit nicht in Function geblieben ist, knüpfen alle administrativen und processualen Handlungen, so z. B. Wahrnehmung von Fristen, Ermittelungen) u. s. w. an das vor dem Kriege Geschehene an.

3. Ganz besondere Schwierigkeiten ergeben sich, so bald es sich um Maßnahmen des Eroberers im Gebiete der staats- und volkswirthschaft. lichen Verwaltung handelt. Allen Acten des Eroberes bindende Kraft zusprechen, hieße die Willkür der occupirenden Heerführer und Civilbeamten sanctioniren; alle Geschäfte für nichtig erklären, würde eine große Erschwerung der Verwaltung bedeuten; die Fragen aber den bürgerlichen Gerichten allein zu überlassen, ist darum unmöglich, weil die in einem Staate gefällte Entscheidung wie ein oft angeführtes, nach dieser Richtung hin aber wenig bekanntes Beispiel beweist in anderen Staaten nicht für vollstreckbar erklärt" werden wird. Das Völkerrecht wird daher wenigstens versuchen müssen, leitende Normen aufzustellen.

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Zunächst steht fest, daß die während der Occupationszeit erfolgten Leistungen nicht noch einmal gefordert werden dürfen: eine Berechtigung zu einer rückwärts wirkenden Ausübung der Regierungsrechte ist nicht anzuerkennen, gezahlte Steuern u. s. w. gelten als dem Staate gezahlt. Insoweit wirkt also ein Postliminium nicht. Wohl aber kann kraft eines solchen eine Vindication und Restitution stattfinden, wenn der Eroberer etwa Staatseigenthum veräußert, belastet, verpfändet, Staatscapitalien eingezogen hat u. s. w. Der Eroberer hat offenbar das Recht, staatliches Eigenthum in Besiß zu nehmen, die Früchte zu percipiren und

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