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gerichtlichen oder Verwaltungswege und nimmt eine Rechts. verweigerung an, wenn in einem Lande einem begründeten Rechts. anspruch die Anerkennung oder Vollziehung von den dazu berufenen Behörden, sie seien richterliche oder administrative, versagt werde, worin überdies auch der Fall einer Rechtsverzögerung einbegriffen sei, wenn nämlich die Erörterung und Entscheidung eines Rechtsanspruches gegen die bestehende Ordnung von der Behörde in schuldhafter Weise hingezogen und auch von der obersten Staatsgewalt eine Abhilfe nicht erlangt würde.10) Weniger vollständig waren von früheren Autoren die Bedingungen für eine Justizverweigerung angegeben, vielmehr erfaßten die einzelnen Autoren in der Regel nur je eine oder einige. So erachtete Groot11) die Justizverweigerung für begründet, wenn man gegen einen Ver brecher oder Schuldner innerhalb einer angemessenen Frist kein Urtheil erlangen könne. Nach Bynkershoek12) und Wheaton13) muß die Justizverweigerung eine offenbare und klare sein, die Causa nach Bartolus a Saxoferrato14) eine wahre. Nach anderen Autoren muß die Sache, in welcher die Justizverweigerung stattgefunden, eine nicht im geringsten zweifelhafte sein, denn bei einer zweifelhaften spräche die Präsumtion zu Gunsten des rechtsprechenden Richters15) und muß die Justiz durch alle Instanzen von Gerichten und hierauf vom Fürsten versagt sein16), oder vollständig verweigert oder unvernünftig verzögert sein.17)

Auch wurde anerkannt, daß ein zwar irrthümliches, aber doch durch unabhängige Richter in gewissenhafter Weise gefälltes und nicht durch irgend eine außergerichtliche Autorität beeinflußtes und erzwungenes Urtheil keinen genügenden Grund für Repressalien abgebe, sondern vielmehr zu Gunsten einer Entscheidung geseßlich eingesezter Richter spräche, wogegen ein als ungerechtes und parteiisches erweisbares Urtheil zu Repressalien nicht berechtigen könne18) und ein Urtheil in einer unwichtigen Sache überhaupt nicht,19) denn de minimis non curat lex. Bartolus a Saxoferrato sagte: „Non debet repressaliarum remedium dari pro modico" und „per praedictam iniustitiam ius partis totaliter laedatur". zweite Hauptveranlassung zu einer Repressalie ist die Nichtbezahlung einer Schuld durch Fremde an Staatsangehörige. Eine solche Schuldforderung muß aber klar und liquid sein.20) Vattel (§ 342) nennt noch als Veranlassungen, wenn eine Nation sich des einer anderen Gehörenden bemächtigt hat oder wenn sie ein Unrecht wieder gut zu machen. oder dafür eine rechtliche Genugthuung zu gewähren sich weigert. Für Beleidigungen eines Staates sind aber anerkanntermaßen Repressalien kein passendes Sühnemittel.21)

Die

1) Wildman I. 193; Phillimore 22.
2) Vattel II. § 347; Burchardi 504.

3) Twiss II. § 11.

4) Groot 1. c. § 5.

5) Bartolus a Saxoferrato qu. 1.

6) Bynkershoek, Qu. iur. publ. 1. c.
7) Wolff § 589.

3) Vattel §§ 343, 350.
9) Wildman I. 194.
10) Heffter § 111, 103 a.

11) Groot 1. c. § 5.
12) Bynkershoek 1. c.

13) Wheaton I. 276.

14) Bartolus a Saxoferrato, qu. 4.

15) Groot l. c.; Vattel § 350.

16) Wildman I. 197.

17) Phillimore III. 21.

18) Groot l. c. und Vattel § 350 erblicken eine Justizverweigerung auch in einem offenbar ungerechten und parteiischen Urtheil; „wir verlangen, daß die eine oder andere Qualification erwiesen sei, wenn auch der eine oder andere Beweis nicht leicht zu führen sein wird.“

19) Phillimore III. 23, 24.
20) Vattel § 343; Wurm 477.
21) Phillimore III. 20.

§ 29.

Verlangen rechtlicher Genugthuung.

Vor der Anordnung von Repressalien muß rechtliche Genugthuung verlangt werden durch den Staat, welcher selbst oder dessen Angehörige verlegt sind von dem Staat, durch welchen oder durch dessen Angehörige die Verlegung erfolgte.1) Wenn aber der Gegner sich der Rechtsbehand lung oder Rechtsausgleichung entzieht und sofort zu thatsächlichen Maßnahmen übergeht, so kann der verlegte sofort Repressalien anwenden, um jenen für eine Ausgleichung zu gewinnen.2) Zur Genugthuungserlangung ist eine diplomatische Vorstellung, enthaltend eine vollständige Darlegung des Streitfalles, durch den in dem verlegt habenden Staat residirenden Gesandten des verlegten Staates an den ersteren zu richten und wird darauf innerhalb einer bestimmten gesezten Frist nicht Genugthuung gewährt, so wird diese Verzögerung als Justizverweigerung erachtet und sind Repressalien anwendbar.) Ist zur Feststellung des Beschwerdegegenstandes, welcher zu Repressalien führen soll, eine gerichtliche Con statirung erforderlich, so muß zuvor ein ordentliches gerichtliches Verfahren stattfinden. Ueberhaupt muß aber für jeden Repressalienfall eine plena causae cognitio erfolgen und der die Repressalie fordernde Antrag dem Gesandten des verlegt habenden Staates vorgelegt werden zur Prüfung und Veranlassung der Genugthuung. Dem gegnerischen Staat ist die Vertheidigung gegen die Repressalienforderung zu gewähren, damit die Repressalie nicht ohne hinreichende Veranlassung oder bestehende

Rechtswidrigkeit verhängt werde. Jedenfalls muß aber die Justiz in allen Instanzen verweigert sein, bevor der Repressalienweg betreten wird und Verhandlungen von Staatsregierung zu Staatsregierung wegen Genugthuungserlangung eröffnet werden.

1) Vattel § 343; Wildman I. 194; Twiss II. § 11.

2) Vattel 1. c.

3) Wildman I. 195; Wurm 1. c.

§ 30.

Einzelne Repressalienhandlungen.

als

Nach der oben angegebenen Definition von Repressalien sind sie die in Friedenszeiten eine Rechtswidrigkeit eines Staates mit einer gleichen oder ähnlichen erwidernde Handlungsweise. Während nun Vattel als einzelne Repressalienhandlungen anführt, daß eine Nation des einer anderen Nation Angehörenden sich bemächtigen, es zu ihrem Vortheil bis zum Betrage des ihr Geschuldeten mit Schäden und Zinsen ver wenden oder es zurückhalten könne bis zur vollen Genugthuung, haben Neuere diesen blos den alten Repressalien entsprechenden financiellen Ersahstandpunkt verlassen und eine Reihe anderer Handlungen moderne Repressalien bezeichnet. So hält Oppenheim1) die Repressalien im Allgemeinen für feindselige Handlungen zur Rettung der Ehre oder zur Erzwingung einer Satisfaction, wenn sie auch durchaus nicht dasselbe erwidern. Ueberhaupt beständen sie aber in einer sichtbaren Abbrechung des diplomatischen Verkehrs und selbst derjenigen freundschaftlichen Vergünstigungen, welche die Völkerrechtssitte allgemein eingeführt, ohne schon directe Rechtsverlegung zu sein. Zum Beispiele könnten Repressalien geübt werden durch Ausweisung aller Fremden der zu verfolgenden Nation, selbst der Gesandten und Consuln, durch Aufkündigung laufender Handels- und Schifffahrtsverträge, durch Versagung aller Rechtswohlthaten an die jenseitigen Unterthanen 2c. Nur dürften sie keine unmittelbare Verlegung des Völkerrechts enthalten, zum Beispiel keine Mißhandlung von Gesandten, kein unmittelbares Zu widerhandeln gegen gültige Verträge, denn sonst verfehlten sie ihren Zweck, durch thatsächliche Nachweisung der Wichtigkeit des freundlichen Vernehmens Restitution und Satisfaction zu erzwingen, indem sie im Gegentheil dann einen casus belli enthielten und den Gegner bei seiner Ehre zum Kriege zwängen.

Bluntschli2) führt als ohne Krieg geltende völkerrechtlich zulässige Repressalien an:

a) die Beschlagnahme und nach Umständen die Pfändung und Versilberung (!) von gegnerischem Staatsvermögen innerhalb des eigenen Staatsgebietes;

b) die Beschlagnahme von Privatvermögen der Angehörigen des
gegnerischen Staates innerhalb des eigenen Gebiets, insofern
derselbe sich zuvor in widerrechtlicher Weise an dem Privatvermögen
der Staatsangehörigen des Beschlagnehmenden vergriffen (!) hat;
die Hemmung des Handels- und Postverkehrs, der Eisenbahn-
und Telegraphenverbindung und der Schifffahrt;

d) die Zurückweisung oder Ausweisung der Angehörigen des ver-
legenden Staates aus dem Gebiet des verlegten Staates;
e) die Zurückhaltung von Personen, welche den gegnerischen Staat
repräsentiren oder doch demselben angehören, als Geißeln;
f) die Gefangennahme von Personen, welche im Dienst des Un-
recht übenden Staates sind oder selbst von Privatpersonen,
welche demselben angehören, wenn die eigenen Angehörigen zu-
vor von dem beleidigenden Staat widerrechtlich gefangen gehalten
worden sind;

g) die Weigerung vertragsmäßige Leistungen ferner zu erfüllen
und die Lossagung von bestehenden Verträgen;

h) den Entzug der Privilegien oder selbst des privatrechtlichen Rechtsschußes gegenüber den Angehörigen des gegnerischen Staates. F. v. Martens) ist bemüht, gegenüber diesen, doch die möglichen nicht erschöpfenden Repressalieneinzelhandlungen dieselben zu reduciren, und führt als dazu heutzutage gerechnete nur auf:

1. Beschlagnahme des öffentlichen Gutes desjenigen Staates, der sich zuerst (?) der Rechtsverlegung schuldig gemacht hat, sowie des Privateigenthums seiner Unterthanen;

2. Verweigerung der Erfüllung von Verbindlichkeiten, welche man sonst dem Gegner zu leisten schuldig wäre;

3. Aufhebung der Privilegien und Rechte, welche etwa den Unter thanen desselben eingeräumt worden sind;

4. Verbot an die Unterthanen des schuldigen Staates, das diesseitige Staatsgebiet zu betreten 2c.

Von den im Vorstehenden aufgeführten Repressalienmaßregeln sind nicht alle gleichwerthig und können sie in ihrer Wirkung und Art als generelle und specielle unterschieden werden. Zu den ersteren wären dann zu rechnen als die weitgehendste der Abbruch des diplomatischen Verkehrs, die Nichterweisung der durch das Völkerrecht für fremde Staatsangehörige eingeführten Vergünstigungen und des Rechtsschußes für dieselben, die Ausweisung oder Zurückweisung aller Fremden, die Hemmung des gesammten Verkehrs, zu leßteren dagegen die Ausweisung einzelner Fremden, die Lossagung von Verträgen, die Kündigung von Schifffahrts- und Handelsverträgen mit dem verlegenden Staat, die Weigerung vertragsmäßige Leistungen zu erfüllen, die Beschlagnahme

des Vermögens des verlezenden Staates oder seiner Angehörigen und die Verhaftung letterer. Da die Repressalie nur eine gleiche oder ähnliche erwidernde Handlungsweise darstellen darf, so wäre es unstatthaft, Handlungen der allgemeinen Kategorie oder allgemeinerer Tragweite als Repressalien auf Handlungen der besonderen Kategorie oder geringerer Tragweite folgen zu lassen.

und

Es scheinen hier zwei Fragen besonderer Beachtung werth:

1. Dürfen Repressalien auch das Privateigenthum betreffen?

2. Dürfen Repressalien auch in Gestalt einer Verhaftung von Personen vor sich gehen?

Vattel) meint, daß weil die Güter der Bürger einen Theil der Güter einer Nation bilden und von Staat zu Staat alles, was den Gliedern gehöre, als der Gesammtheit gehörend zu betrachten sei, daher auch für deren Schulden zu haften habe, man bei Repressalien ebensowohl die Güter der Unterthanen als die des Staates oder des Souveräns ergreifen könne. Alles, was der Nation gehöre, sei Gegenstand der Repressalien, sobald man desselben habhaft werden könne, mit Ausnahme indeß eines dem öffentlichen Glauben anvertrauten Depots. F. G. v. Martens anerkennt in ähnlicher Weise, daß weil der Unterthan oder Bürger mit seinen Gütern für die Schulden des Staates, dessen Glied er ist, verantworte, auch falls dieser völlig unschuldig sei, seine Güter ergriffen werden könnten. Heffter spricht wenigstens nicht dagegen; ebensowenig Oppenheim und F. v. Martens. Freilich ist dabei das Gut der Gesandten ausgenommen, wie besonders Phillimore3) hervorhebt; auch die älteren Repressalien erkannten das an und fügten noch hinzu das der Scholaren und Jahrmarktkaufleute. Die Exemtion der öffentlichen Deposita Fremder bezeichnet Vattel) als in Frankreich und England üblich. Die Exemtion der Anlagen Fremder in öffentlichen Fonds anlangend behauptet Burchardi7) und Wildman (I. 189), daß diese Exemtion in England, Frankreich und Spanien, sogar in Kriegen dieser Staaten zu Gunsten Staatsangehöriger ihrer Gegner gelte.

Bluntschli erklärt aber die Beschlagnahme von Privatgut für ein höchst bedenkliches Mittel der Selbsthülfe, da es weder die schuldigen, noch die verantw ortlichen Personen träfe. Derselbe Autor erörtert dabei drei auch von anderen Autoren angeführte Fälle. Zunächst 1) denjenigen, bei welchem Cromwell in Anlaß eines von den Französischen Behörden an Französischer Küste fortgenommenen Schiffes sofort zur Repressalie zwei Französische Handelsschiffe im Canal fortnehmen ließ, wobei das Unrecht der Staaten auf beiden Seiten unschuldige Private zu büßen hatten. Sodann 2) die Maßregel Friedrich des Großen, welcher Zahlung der Schlesischen Landesschuld an Englische Gläubiger aus dem Grunde hemmte, weil angeblich England Preußisches Handelsgut unrechtmäßig als Prise behandelt hätte, und 3) die Repressalien Eng

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