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lands gegen Griechenland in der oft erwähnten Pacifico-Angelegenheit (1850), indem wegen Zurückweisung der maßlosen Entschädigungsforderung an den Griechischen Fiscus durch die Griechische Regierung alle Griechischen Kriegs- und Kauffahrteischiffe, welche die Englische Flottenescadre erreichen würde, mit Wegnahme bedroht wurden.

In allen diesen drei Fällen tritt nicht blos eine unverhältnißmäßige Erwiderung hervor, sondern macht sich auch der Mangel eines vorhergehenden, genügenden, gütlichen, diplomatischen Verfahrens bemerkbar, in dem dieses im Seßen einer Frist von nur einigen Tagen wie beim ersten und von 24 Stunden wie beim dritten Fall zur Genugthuungserweisung nicht erblickt werden kann. Das Englische Oberhaus mißbilligte denn auch das Verfahren des Englischen Ministeriums im Paci fico-Fall, wenn auch das Unterhaus es billigte, Griechenland aber protestirte und Rußland remonstrirte, beide mit Recht.

Unzweifelhaft wäre, so wie beim Kriege, so auch bei Repressalien das Privateigenthum nicht anzutasten, indeß wird fremdes Staats. eigenthum oder das des verleßenden Staates schwer innerhalb der Grenzen des verlegten Staates oder im Verkehr zu erreichen sein, wie schon Groots) und Gronovius zu Groot bemerkten. Anders scheint die Sache zu liegen, wenn die Wegnahme des Privateigenthums als Gegenmaßregel gegen gleiche Wegnahme geübt wird, wenngleich Unrecht mit Unrecht zu erwidern unzulässig ist. Freilich hat das Völkerrecht die Fortnahme von Privateigenthum als Repressalie bisher als Unrecht nicht bezeichnet, während Repressalien, welche eine unmittelbare Verlegung des Völkerrechts enthalten, wie Mißhandlung eines Gesandten, wie schon Oppenheim richtig hervorgehoben, unzulässig sind.

Die Fortnahme des Privateigenthums ist nun von Heffter dadurch zu mildern gesucht, daß er nur Wegnahme, Jnnebehaltung und Beschlagnahme, nicht aber Appropriation der gepfändeten Sache zuläßt. Die Praxis hat sich freilich daran nicht immer genügen lassen. So z. B. wurden in dem aus Cromwells Zeit referirten Falle zwei Engliche Kriegsschiffe beauftragt, die ersten besten Französischen Schiffe nicht nur zu ergreifen, sondern auch zu verkaufen. Twiss) hält es aber auch für berechtigt, das fortgenommene Eigenthum auch der Unterthanen des verlezenden Staates zur Bezahlung der Schuld oder zur Compensation für das Unrecht zu verwenden, Phillimore (III. 32) zur Bezahlung der ursprünglichen. Schuld und der durch die Repressalien verursachten Kosten. Woolsey1o) aber erklärt diese Repressalien selbst für inhuman und hofft, daß sie gänzlich aufhören werden. Massé") hält es endlich für ganz unstatthaft, daß man anstatt an den Gütern oder Forderungen des Staates, an denen der einzelnen Unterthanen der ver legenden Nation Repressalien übe und hält nur vertragsmäßig vereinbarte Repressalien für zulässig.

Die zweite Frage: ob auch Repressalien in Gestalt der Verhaftung einer Person vor sich gehen könnten, ist, dem An

scheine nach, verschieden zu beantworten, je nachdem die Verhaftung einer amtlichen oder privaten Person beabsichtigt ist. Im ersteren Fall werden schon nach Völkerrecht alle der persönlichen Unverleßlichkeit sich erfreuende Personen ausgenommen sein, und hat, wie weiter oben ausgeführt, schon das frühere Repressalienrecht als solche Ausnahme die Gesandten und deren Gefolge anerkannt. Unter civilisirten und namentlich unter christlichen Staaten ist aber nicht einmal die Verantwortlichmachung von im Auftrage ihres Staates handelnden Staatsbeamten für dritte Staaten in Gestalt persönlicher Verhaftung üblich. Wie sollte denn da eine amtliche Person, welche an einer Rechtsverletzung eines Staates gar nicht mitgewirkt hat, mit Recht verhaftet werden. können? Giebt es aber keinen Rechtsgrund, amtliche Personen durch ihre Verhaftung als Repressalienmittel büßen zu lassen, so ist es noch weniger begründet, einer mit dem Staat in gar keinem amtlichen Connex stehenden blosen Privatperson solche Buße aufzuerlegen. Wir können daher namentlich auch wegen der garantirten persönlichen Freiheit eines jeden Staatsangehörigen und auch der des Fremden, welcher nur auf Grund von Gesezen und wegen Nichtbeachtung oder Verlegung der Geseze ver haftet werden kann, uns nur ganz entschieden gegen jede Verhaftung eines Fremden als Repressalie, blos weil er Angehöriger des verlegenden Staates ist, erklären. Schon das frühere Repressalienrecht hat, wie wir oben angeführt, eine Reihe von Personenkategorien von dem Repressalienrecht ausgenommen und überhaupt mehr das Recht an Sachen als Personen ausgeübt. Auch das heutige Repressalienrecht theilt diesen Standpunkt. Mit Recht hebt Phillimore 12) hervor, daß in modernen Zeiten die Repressalien hauptsächlich sich auf Güter erstrecken. Indeß muß die vorgeschrittenere Zeit und Rechtsanschauung noch weiter gehen. Bluntschli13) macht zwar als geltende Repressalie nicht nur die Zurückhaltung von Personen als Geißel namhaft, ohne freilich auch nur ein Beispiel aus der Staatspraxis dafür anzuführen, sondern auch die Gefangennahme von Personen im Staatsdienst und von Privatpersonen, indeß räumt er dabei doch ein, daß der Angriff auf die Freiheit nicht schuldiger Personen nur zur Noth und nur unter Voraussetzung der Wiedervergeltung und des Gegenrechts vertheidigt werden könne.

Wir anerkennen nicht einmal diese Einschränkungen, denn nicht nur kann sich der verlezende Staat noch anderer Mittel, welche gleich. falls Personen treffen, bedienen, wie der Aus- und Zurückweisung, son dern überhaupt anderer Mittel zur Erwiderung durch Repressalien. Es giebt solcher aber bei den weit ausgedehnten internationalen Verkehrsbeziehungen und Mitteln weit mehr als früher.

Zwar steht unsere Ansicht ziemlich vereinzelt da, denn sowohl die ältere als die neuere Doctrin gestatten die Ausübung der Repressalien an Personen, wie Bartolus, Groot, Wolff, Vattel, Moser, F. G. v. Martens, Wildman, Wheaton, Heffter, Phillimore und

Twiss. Indeß wird schon von Groot, Wolff, Vattel und F. G. v. Martens Schonung des Lebens des Verhafteten verlangt und von Leßterem auch, daß diese nicht auf Lebenszeit stattfindet. 14) Ferner schließen Wolff und Vattel auch die Vollstreckung von Leibesstrafen aus und ver langt Phillimore nicht blos Erhaltung des Lebens, sondern auch gute Behandlung der als Repressalien dienenden Personen und spricht zum Schluß noch die Hoffnung aus, daß die Repressalien an Personen mit anderen unnöthigen und unchristlichen Rigorositäten außer Gebrauch kommen würden.

Daß man aber durch Repressalienübung geschädigte, an der Repressalie unschuldige Privatpersonen zu entschädigen verpflichtet sei, darauf weisen schon Groot und Wolff 15) hin. Nach ihnen sind dazu verpflichtet Diejenigen, welche zu den Repressalien Veranlassung gaben, während Vattel besonders den Souverän dazu verpflichtet, denjenigen Unterthan, welchen die Repressalien betroffen, zu entschädigen.

Nach gewährter Genugthuung oder Entschädigung hat die Uebung der Repressalien vollständig aufzuhören, denn diese sind ja nur Mittel und nicht Zweck. An der Gesezmäßigkeit wie Nüßlichkeit der Repres salien kann aber, wenn sie nach den Bestimmungen des Völkerrechts und namentlich nicht über ihren Zweck hinaus geübt werden, kaum gezweifelt werden.

1) Oppenheim 227 ff.

2) Bluntschli § 500.

3) F. v. Martens, Völkerrecht § 105.

*) Vattel, § 344.

5) Phillimore III. 32.

6) Vattel, § 344.

7) Burchardi 507.

8) Groot III., II. § 2.

9) Twiss II. 21.

10) Woolsey 189.

11) Massé, Droit commercial I. 13.

12) Phillimore III. 31.

13) Bluntschli § 500.

14) F. G. v. Martens § 258.

15) Wolff, §§ 598, 599.

§ 31.

Vertragsmäßige Vereinbarung von Repressalien.

In unserem Jahrhundert sind wiederholt Repressalien vereinbart worden, freilich meist in Verträgen Europäischer christlicher mit orientalischen nichtchristlichen Staaten. Wir führen nur zwei Beispiele an.

Im Friedensvertrage zwischen Sardinien und Tunis vom 17. April 1816 Art. 61) wurde vereinbart, daß, falls irgend ein Streit zwischen dem König von Sardinien und dem Bey von Tunis entstehen würde, der König von Großbritannien zu jeder Zeit bereit sein würde, seine guten Dienste behuss eines Arrangements eintreten zu lassen, um eine gerechte Wiedergutmachung dem beleidigten Theil zu gewähren. Wenn diese aber verweigert würde, sollten gegen den sich weigernden Theil Repressalien statthaft sein, indem er diese dann mit Recht sich zu. gezogen hätte. Es wird demnach hier zuerst ein friedliches, sodann ein gewaltsames, aber in Friedenszeiten anzuwendendes Mittel vereinbart, in der wahrscheinlichen Absicht, um einem kriegerischen Austrag des Streites zu entgehen.

Im Art. 7 des Vertrages Rußlands mit der Pforte vom 14. Sep. tember 1829) wird aber ersterem für den Fall der Verlegung der in diesem Artikel enthaltenen Bestimmung von letterer das Recht eingeräumt, sich gegen sie der Repressalien zu bedienen.

In neuester Zeit hat man freilich in solchen Fällen vertragsmäßig Schiedssprüche vorgesehen, welche auch der gewollten friedlichen Entscheidung mehr entsprechen.

1) M. R. N. S. I. 487.
2) M. N. R. VIII. 143.

$ 32.

Repressalienfälle.

Repressalienfälle finden wir nicht nur in Charles de Martens, Causes célèbres du droit des gens 1858 1861, 5. Bde., sondern auch in verschiedenen Darstellungen des Völkerrechts. Wir erwähnten einige derselben schon im § 27.

Den ersten der in der vorgenannten Sammlung enthaltenen Fälle bilden die im Jahre 1703 durch den Herzog von Savoyen, Victor Amadeus geübten Gewaltmaßregeln wider den Gesandten Frankreichs, Herrn von Phélippeaug, als Repressalie wider die Entwaffnung der in den Dienst Frankreichs und Spaniens eingetretenen Sardischen Truppen.1) Wie unberechtigt auch diese Entwaffnung gewesen, so konnte sie doch nicht Gewaltmaßregeln gegen einen nach Völkerrecht unverleßlichen Gesandten motiviren.

Der zweite Fall betrifft die von der Republik von Genua durch Ludwig den XIII., König von Frankreich, erlittenen gewaltthätigen Repressalien. Die Genuesen hatten ihren Landsmann Claude Morini, welcher beim Herzog von Savoyen Gesandter Frankreichs war und ihnen angeblich sehr schlechte Dienste erwies, welche sie als einen unwürdigen

Verrath seinerseits ansahen, in contumaciam zum Tode verurtheilt, seine Güter confiscirt und einen Preis auf seinen Kopf gesezt. Der König erblickte darin eine Verlegung des Völkerrechts, befahl, daß die Effecten, Waaren, Güter und Handelsbücher der Genuesen, welche sich in seinem Königreich befanden, ergriffen und daß diejenigen, welchen sie gehören, gefänglich eingezogen würden. Es liegt uns das Material zur Beur theilung darüber nicht vor, inwiefern Morini mit Recht des Landesverraths schuldig befunden werden könnte. Jedenfalls hatte er aber als Vertreter Frankreichs nicht die Interessen Genuas zu vertreten. Ebenso scheinen uns aber auch die von Französischer Seite angeordneten Repressalien excessive zu sein und auch die Behauptung unhaltbar, daß das Völkerrecht durch die Behandlung seines Gesandten verlegt sei, da ja dieser nach Völkerrecht nur unverleßlich ist in dem Staat, in welchem er resi dirt. Wenn die Unverleßlichkeit auch in anderen Staaten gewährt wird, so geschieht dies nur nach Convenienz, nicht aber in Erfüllung einer recht lichen Verpflichtung.

Der dritte Fall behandelt die im § 30 erwähnte Repressalie Friedrichs des Großen aus Englischen Kaufleuten gehöriger Schlesischer An. leihe.) War die Exemtion des von Fremden in Staatsfonds angelegten Geldes schon zu jener Zeit anerkannt, so ist die Handlungsweise Fried. richs des Großen mit Recht durch Wildman1) Wurm3) und Phillimore®) verurtheilt und mit Unrecht durch Heffter) und Berner) vertheidigt und als rechtmäßig oder zulässig befunden worden. Jeden falls kann der allgemeine Saz, daß Repressalien an Privateigenthum geübt werden dürfen, dann nicht genügen, wenn ein besonders qualificirtes, wie eine Anleihe im öffentlichen Fonds, als eximirt gilt.

Der vierte Fall) ist der von uns im § 30 erwähnte und be sprochene Pacifico-Fall. Daß zu den von England in demselben er griffenen Repressalien keine genügenden Rechtsgründe vorlagen, bedarf wohl keiner Ausführung, da das Verfahren auch Englischer Seits verurtheilt worden ist.

Wir schließen hiermit ab, obgleich wir damit die uns anderweitig vorliegenden Fälle nicht erschöpft haben. Wenngleich diese und andere Fälle vielfach wegen ihrer Ausführung nicht als eigentliches Rechts. mittel charakterisirt werden können, stimmen auch wir dennoch gleich Phillimore Bynkershoek's Ausspruch bei: „Repressaliarum usum in totum tollere, eorum qui non uni Principi subsunt, improbitas non patitur." Wir möchten aber auch darunter nicht blos die Staatsangehörigen, sondern auch die Staaten verstanden haben, zu welcher Anschauung uns die willkürliche Politik der Staaten bei Anordnung und Ausübung der Repressalien, besonders gegenüber schwächeren Staaten zu berechtigen. scheint.

Handbuch des Völkerrechts IV.

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