Page images
PDF
EPUB

Maria und Joseph gingen alle Jahre nach Je= rusalem, um dort nach dem Geseze Mofis ihre Andacht zu verrichten. Es ist eine Zeit, dachten sie, zum Arbeiten; es ist aber auch eine Zeit nach Jerusalem zu gehen und Gott anzubeten.

So machen es alle rechtschaffnen, frommen Leute. Wenn es Zeit zum Gottesdienst ist, da lassen fie Alles liegen und stehen; und wenn sie auch noch so nothwendig zu thun hätten, so eilen sie doch dem Gotteshaus zu. Jawohl, daß man sie sagen hörte : „Heute kann ich nicht in die Kirche gehen; heute muß ich dieß und jenes thun; heute muß ich da und dorthin gehen." Sie haben ihre Freude an Gott und an Gottes Wort, und darum erfüllen fie genau ihre Christenpflicht, an Sonn- und Festtagen dem öffentlichen Gottesdienst beizuwohnen. & schmerzt sie genug, wenn sie eine Krankheit, oder sonst eine Nothwendigkeit vom Gottesdienst zurückhält. Das sind rechtschaffene fromme Leute, die dem Beispiel Josephs und Mariä nachfolgen.

Sonst hatten Joseph und Maria diese Reise immer allein gemacht. Aber dießmal nahmen sie ihren kleinen zwölfjährigen Jesus auch mit nach Jerusalem, um dort im Tempel seinen himmlischen Vater zu verherrlichen. Der Weg war weit und beschwerlich; aber das scheute der kleine Jesus nicht. Muthvoll verdoppelte er seine kurzen

Schritte, um ja nicht von seinen Eltern zurückzubleiben; um ihnen zu zeigen, daß ihm, seinem himmlischen Vater zulieb, nichts zu hart und beschwerlich sei.

Wie beschämend ist hier das Beispiel des fleinen Jesus für manche Christen, die es schon zu beschwer= lich finden, wenn sie auch nur eine halbe Stunde weit zum Gottesdienst haben! Doch die Allermeisten von euch thun hierin genau ihre Schuldigkeit. Der augenscheinliche Beweis hievon ist eure zahlreiche Versammlung bei dem pfarrlichen Gottesdienst, nicht nur an Festtagen, sondern auch an gewöhnlichen Sonntagen.

Nach geendigtem Osterfest kehrten nun Maria und Joseph mit den andern frommen Reisegefährten wieder zurück. Aber wie groß ist ihr Schrecken, als fie nach der ersten Tagreise den Knaben Jesus nicht unter den Reisegefährten finden. Wie ängstlich ist ihr Fragen, wie schleunig ihre Zurückreise nach Jerusalem, wie unermüdlich ihr Suchen, bis sie ihn endlich am dritten Tage finden, und zwar im Tempel mitten unter den Schriftgelehrten finden!

Maria und Joseph geben uns hier ein sehr schönes Beispiel, wie wir Jesum suchen sollen, wenn wir ihn durch die Sünde verloren haben. Sobald diese gottfeligen Eltern bemerkten, daß sie Jesum verloren hatten, so suchten sie ihn schnell. Sobald wir merken, daß wir Jesum durch eine schwere Sünde verloren

haben, so sollen wir es nicht Wochen und Monate anstehen lassen, sondern ihn, wie Joseph und Maria, durch eine herzliche Buße schnell und eilfertig wieder suchen; denn ohne Ihn können wir nichts Verdienstliches thun, ohne Ihn sind all unsre Leiden und Werke todt und vergeblich. Ohne Ihn können wir nicht gottgefällig arbeiten, leben, leiden, sterben. Und wie sollten wir denn in einem so erbärmlichen Zustand Monate und Jahre lang leben!

So groß nun auch die Freude der Eltern Jesu war, den so ängstlich gesuchten Sohn wieder gefunden zu haben, so konnte sich Maria doch nicht enthalten, sich über dieses Zurückbleiben zu beschweren, weil es ohne ihr Wissen geschehen war. „Mein Sohn,“ sagt fie, warum hast du uns das gethan? Sieh, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen ge= sucht." Der kleine Jesus gibt hierauf zur Antwort: „Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr denn nicht, daß ich mich mit Dingen beschäftigen muß, die meinen Vater betreffen ?" Diese Antwort, die nun Jesus seinen Eltern gibt, ist ihnen zwar noch dunkel; aber voll Ehrfurcht verlangen sie keine weitere Erflärung mehr, und Jesus geht mit ihnen nach Nazareth zurück.

Diese Wallfahrt des Knaben Jesus ist in seinem zwölften Jahre gëschehen. Was hat er denn aber von seinem zwölften bis in sein dreißigstes

Jahr gethan? Wo hat er denn diese Zeit zugebracht? Wenn man das Leben Jesu von seinem zwölften bis in sein dreißigstes Jahr beschreiben will, so ist mit diesen wenigen Worten unsres heutigen Evangeliums Alles gesagt: „Jesus ging mit seinen Eltern von Jerusalem nach Nazareth zurück, und war ihnen unterthan." Dieß ist wahrlich mit wenig Worten viel gesagt.

Die Eltern Jesu waren Leute von gemeinem Stand; sein Nährvater Joseph war ein Zimmermann, und Jesus half ihm bei seiner Arbeit. Er hat ganz still, ohne Aufsehen zu machen, im Hause seiner Eltern gelebt, sich wie ein Zimmermannsohn gekleidet, und sich mit einer solchen Einfalt und Demuth betragen, daß man an ihm nichts Besondres bemerken konnte. Die Leute in der Stadt Nazareth haben sich wenig um ihn bekümmert und wenig von ihm geredet.

Jesus, sagt das heutige Evangelium, war seinen Eltern gehorsam und unterthänig. Seine Mutter und sein Nährvater durften ihm nur befehlen und er gehorchte, und zwar nicht aus Zwang, sondern aus Liebe und aus kindlicher Pflicht. Jesus wollte nun durch sein eigenes Beispiel alle jungen Leute Lehren, daß sie auch gehorsam sein sollen ihren Eltern und andern Vorgesezten, unter denen sie stehen. Sie sollen also willig und ohne Murren, ohne Troß

und Eigenfinn dienen und sollen froh sein, wenn man ihre Dienste brauchen und annehmen kann.

Jesus war doch mehr als andere Menschen; er war der Sohn Gottes, und hielt es doch für keine Schande, gehorsam und unterthänig zu sein. Wenn tu also gleich zwanzig bis dreißig oder noch mehr Jahre alt bist: Gehorsam und Unterthänigkeit ist dir keine Schande, sondern deine Pflicht. Leider richten sich die wenigsten jungen Leute nach diesem Beispiel unsers Herrn. Der Gehorsam ist ihnen eine Last, welche sie nicht lang tragen mögen. Sobald sie glauben, daß sie ihre Jahre haben, so wollen fie nicht mehr gehorchen, sich nichts mehr einreden lassen; und wenn sie sehen, daß viel an ihnen gele= gen ist, daß ihre Dienste nothwendig sind, so machen fie fich wichtig und kostbar, werden hoffärtig und wollen davongehen, wenn man ihnen nicht in Allem ihren Willen läßt. Aber an solchen Kindern und Dienstboten kann der Heiland keine Freude haben, weil sie von seinem Gehorsam und von seiner Unterthänigkeit gar nichts mehr an sich haben.

Wie laut und wie dringend fordert hier das Beispiel des zwölfjährigen Knaben Jesus alle Kinder zum Gehorsam gegen ihre Eltern auf! Wenn ein Gottmensch, ein Gottsohn, unterthänig ist: sollten da Menschen, sollten Kinder, zu ihren Eltern sagen können: „Ich will dir nicht unterthänig sein,

« PreviousContinue »