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terische Eigenart Byrons in den Bereich unserer Betrachtung ziehen. Weil es nun in den meisten Fällen unmöglich ist, mit voller Gewissheit zu sagen: diesen Gedanken hat Byron von Rousseau geerbt, jenes Gefühl ist von einem zum andern übergegangen, so müssen wir uns notwendiger Weise darauf beschränken, ausführlich zu erweisen, worin sie selbst und worin ihre Werke mit einander übereinstimmen. Unsere Hauptaufgabe ist es somit, nach dem Geiste Rousseaus in in den Werken Byrons zu forschen, vorher aber nach those generic points of resemblance which it is so interesting to trace in the characters wir setzen hinzu: and in the lives

men of genius1).

of

Durch eine Reihe von Citaten 2), in denen beide Autoren das bestätigen, was wir behauptet, geben wir dem Leser das Mittel an die Hand, alles, was wir gesagt, auf seine Richtigkeit hin zu prüfen. Diese Citate sind zweierlei Art, entweder sind es Bemerkungen, die sie über sich und ihre Schriften in ihren Briefen, Tagebüchern, Memoiren und Confessionen gemacht haben; wie sie angesehen und benutzt werden müssen, zeigt uns folgende Stelle aus Lotheissens Geschichte der französischen Litteratur des XVII. Jahrhunderts: 3) Bei der Beurteilung eines Menschen muss man freilich mit solchen brieflichen Äusserungen, die vielleicht im Augenblick der Ermüdung geschrieben sind, vorsichtig sein. Wenn sie aber durch die ganze Lebensweise des Schreibenden als wirkliche Meinung desselben bestätigt werden, gewinnen sie doppelt an Gewicht, oder es sind Worte, die sie den Geschöpfen ihrer Phantasie in den Mund gelegt haben; was diese anbetrifft, so verwahren wir uns hier in der Einleitung gleich von vornherein gegen den Vorwurf, die Dichter mit den letzteren.

1) Moore. II. 143.

2) Wir haben dieselben teils im Text angeführt, teils in einen Appendix verwiesen.

3) Band I, S. 182.

zu verwechseln1). Da aber gerade Rousseau und Byron in alles, was sie geschrieben, derart ihr eigenstes, innerstes Denken und Fühlen verwebt haben, dass es selbst für denjenigen, der sich eingehend mit ihnen beschäftigt hat, sehr schwer ist, stets die Grenzlinien zwischen ihnen und ihren Phantasiegebilden deutlich zu sehen, da sie anerkanntermassen die subjektivsten Schriftsteller, nicht allein der neueren Litteraturen, sondern der Weltlitteratur überhaupt gewesen 2), so werden wir, mit der gehörigen Vorsicht und in gewissen Grenzen 3), mit Recht Aussprüche, ja Charaktereigenschaften von Personen aus ihren Werken zur Erklärung und Ergänzug des von uns Gesagten anführen 4), wir werden mit Recht ihre Werke durch sie selbst erklären können und sie selbst durch ihre Werke.

Nach dem Gesagten wird der Leser ersehen, dass wir vermeiden ihm unser persönliches Urteil aufzudrängen, wir breiten nur den Stoff vor ihm aus, damit er selbst zu demselben Resultat gelangen möge wie wir, zu der Überzeugung, dass eine höchst seltsame und bemerkenswerte Ähnlichkeit zu finden zwischen Rousseau und Byron, eine Ähnlichkeit, die nicht ohne einen gewissen Einfluss des einen auf den andern hat entstehen können.

1) The reader must not fall into the error of supposing that I endeavour to identify Shakspere with any one of his dramatic personages. Dowden, Mind and Art p. XIII.

2) Lord Byron n'a pas écrit une ligne qui n'eût quelque rapport direct ou indirect avec lui-même. Blaze de Bury, Lord Byron et le Byronisme. Je n'avais pas besoin de le voir pour le connaître. Je le connais par ses œuvres; c'en est assez et même trop. Hist. des Dial.

3) Diese Grenzen scheinen uns gerade in zwei Büchern, denen wir manche Anregung verdanken, sehr gut innegehalten zu sein, in E. Schmidt: Richardson, Rousseau und Goethe und in Dowden: Shakspere's Mind and Art.

4) Je crus qu'en méditant très attentivement ses ouvrages, et comparant soigneusement l'auteur avec l'homme, je parviendrais à éclairer ces deux objets l'un par l'autre. 3. Dial.

No one, J suppose, would maintain that a product of mind can fail in some measure to reveal its origin and cause.

Dowden, Mind and Art p. XIII.

Schon von vielen ist dieselbe erwähnt worden, in allen grösseren Litteraturgeschichten findet man Hinweisungen auf sie, aber auch nichts mehr; ausführlich und eingehend ist das Thema noch nirgends behandelt worden. Die meisten Litterarhistoriker beschränken sich auf oberflächliche Angaben, aus denen wir wohl ungefähr entnehmen, dass eine Geistesverwandtschaft zwischen beiden Männern vorhanden ist, die uns aber im Unklaren lassen über die Grösse derselben. Derjenige, welcher am ausführlichsten den Gegenstand behandelt hat, ist Elze1); aber so dankenswert dies ist, und so klar er die Hauptpunkte hervorhebt, so kann sein Vergleich doch nicht genügen, besonders auch weil er Rousseau zu schlecht bei demselben wegkommen lässt. Wenn er sagt: Rousseau suchte im Katholizismus Beruhigung, und Byron wäre bei längerem Leben vermutlich demselben Schicksal anheimgefallen, jedenfalls war er dem Katholizismus nicht abgeneigt2), so ist dies in Bezug auf Rousseau wenig glaubwürdig; derselbe trat zum Katholizismus über als 16-jähriger Knabe, aus Leichtsinn und aus Liebe zu seiner maman, die dies von ihm wünschte. Auch die Behauptung: Byron hatte weniger zu beichten, als Rousseau in seinen Bekenntnissen gethan hat, ist nicht zutreffend; von Byrons Jugend wissen wir, wie Elze selbst sagt, im Vergleich zu seinem Mannesalter sehr wenig, können aber nach allem annehmen, dass er sicherlich nicht weniger Abenteuer erlebt, dass er in sittlicher Beziehung nicht höher stand als der jugendliche Rousseau. Es ist wahr, dass Rousseau einem falschen Idealismus huldigt, aber dass er das Tier im Menschen zum Engel herausputzt, heisst die Sache doch etwas stark ausdrücken.

Wir erinnern im Gegensatz hierzu an die Stelle, wo Villemain den Einfluss Rousseaus auf Byron erwähnt und gerade hervorhebt, dass dasjenige, was Byron unter Rousseau stellt, der gänzliche Mangel der émotion morale

1) Lord Byron 3, p. 355–359.

2) Lord Byron 3, p. 357.

sei!1) Aber auch er hat nur teilweise recht; die sittliche Idee fehlt weder in den Werken Byrons noch Rousseaus, sie tritt in ihnen nur in verschiedener Form auf, beide wirken nur in verschiedener Weise für dieselbe. Wir sehen, dass bei Elzes Vergleich dem Romanen Rousseau, bei Villemains Vergleich dem Germanen Byron nicht volle Gerechtigkeit widerfährt.

Die erste nun, welche die Ähnlichkeit Byrons mit Rousseau erwähnte, war niemand anders, als Byrons eigene Mutter, und zwar that sie dies schon bevor er das 20. Lebensjahr erreicht hatte. Dann nahm Frau von Staël, als sie Byron 1813 in London kennen lernte, diesen Vergleich wieder auf, und W. Scott ging auf denselben ein in seiner Kritik des IV. Gesanges von Childe Harold. Byron selbst sagt uns das und knüpft daran eine längere Betrachtung, in der er den Vergleich als einen wenig begründeten bezeichnet; aber schon Elze hat darauf hingewiesen, dass seine Gegengründe sich meist auf rein Äusserliches und Nebensächliches beziehen.

Die Stelle, in der Byron die Ähnlichkeit verneint, ist für uns so wichtig, dass wir sie hier vollständig wiedergeben; wir lassen ihr jedoch noch eine andere vorhergehn, in

1) L'influence de Rousseau n'est pas moins sensiblement marquée dans les ouvrages du grand poète anglais de notre époque. Mais elle y est gâtée bien plus que corrigée. En fortifiant chez Byron cette haine contre la société, qui n'est pas le jugement de l'homme vertueux et du sage, elle s'empreint d'un alliage de scepticisme. De là cette poésie mélancolique et pourtant sensuelle, amère sans être sérieuse, empruntant au spectacle de la nature les plus riches couleurs, et comme illuminée de cet éclat physique du monde, mais n'y portant pas l'émotion morale qui en serait la grandeur et la vie. Le génie de Rousseau n'en a pas moins une grande part dans les impressions qui ont formé le poétique égoisme du peintre de Childe Harold et de Lara, comme Voltaire dans l'éducation philosophique du peintre de Don Juan. Byron avait dans la mémoire et devant les yeux le bosquet imaginaire de Clarens, comme les bords enchanteurs et tant de fois parcourus du Léman; et Rousseau lui a donné plus d'une inspiration de misanthropie et d'amour. Villemain, Cours de Litt. fr. II. 418.

welcher er bei Aufzählung aller Persönlichkeiten, denen er in irgend einer Beziehung ähneln sollte, auch Rousseau anführt: I have been thinking over, the other day, on the various comparisons, good or evil, which I have seen published of myself in different journals, English and foreign. This was suggested to me by accidentally turning over a foreign one lately, for I have made it a rule latterly never to search for any thing of the kind, but not to avoid the perusal, if presented by chance.

To begin, then: I have seen myself compared, personally or poetically, in English, French, German (as interpreted to me), Italian, and Portuguese, within these nine years, to Rousseau, Goethe, Young, Aretine, Timon of Athens, Dante, Petrarch, „an alabaster vase, lighted up within", Satan, Shakespeare, Buonaparte, Tiberius, Eschylus, Sophocles, Euripides, Harlequin, the Clown, etc1).

Vergessen wir nicht, zu bemerken, dass Rousseau in dieser Liste zuerst genannt ist; vielleicht hat das nur eine zeitliche Bedeutung, vielleicht hat aber Byron Rousseau vorangestellt, weil er sich ihm von allen am meisten verwandt fühlte.

Jedoch die Hauptstelle ist die folgende: The idea, entertained by Mrs. Byron, of a resemblance between her son and Rousseau was founded chiefly, we may suppose, on those habits of solitariness, in which he had even already shown a disposition to follow that selfcontemplative philosopher, and which, manifesting themselves thus early, gained strength as he advanced in life. In one of his Journals, to which I frequently have occasion to refer (the journal entitled by himself Detached Thoughts"), he thus, in questioning the justice of

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1) Journal. Moore II. 501. Moore fügt in einer Anmerkung die Worte hinzu: It would not be uninteresting, were there either space or time for such a task, to take a review of the names of note in the preceding list, ond show in how many points, though differing so materially among themselves, it might be found that each presented a striking resemblance to Lord Byron. Journal. Moore II. 501. Wir sind im Begriff diesen Wunsch Moores zu erfüllen.

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